Gefragter Verlierer
Der Topmanager Thomas Middelhoff landete 2014 wegen Steuerhinterziehung und Veruntreuung im Gefängnis, verlor seinen Ruf, sein Vermögen und seine Gesundheit. Nun ist es ihm ein Anliegen, sich als geläutert zu präsentieren.
FRANKFURT Eine der ersten Fragen an Thomas Middelhoff ist schonungslos. Ob Narzissten wie er ein Scheitern überhaupt kennten, solange man ihnen den Saft für die Scheinwerfer nicht abdrehe. Middelhoff, einst als Managerstar gefeiert und 2014 wegen Veruntreuung und Steuerhinterziehung verurteilt, antwortet mit ruhiger Stimme: „Ich bin hier, weil ich vielleicht noch 15 Jahre Leben vor mir habe und in dieser Zeit noch jungen Menschen mitgeben kann, nicht die gleichen Fehler zu machen wie ich.“Die 1200 Gäste im Hörsaal der Frankfurter Goethe-Uni applaudieren. Der ExChef von Bertelsmann und Arcandor ist einer Einladung zu einer sogenannten Fuckup-Night gefolgt. Unternehmer oder Start-up-Gründer berichten dort regelmäßig über schmerzhafte Erfahrungen mit dem Scheitern. FDP-Chef Christian Lindner war auch schon da.
Middelhoff (65) hat 2017 ein Buch über seine Zeit in Haft geschrieben. Eine Abrechnung mit der Justiz und dem geschlossenen Vollzug, aber auch mit sich selbst, dem arroganten, gierigen Manager, der er nun nicht mehr sei. SeitWochen und Monaten nutzt er jede erdenkliche Gelegenheit, sich landauf, landab als neuer, geläuterter Thomas Middelhoff zu präsentieren. Vor Studenten und Unternehmern berichtet er, wie es zu seinem eigenen Absturz kommen konnte.
„Nach dem größten Deal meines Lebens saß ich in einer Bar in New York mit einem Glas in der Hand und dachte mir: Jetzt kann mir keiner mehr etwas sagen“, erzählt Middelhoff. Der gebürtige Düsseldorfer hatte da gerade für Bertelsmann Anteile am Internetkonzern AOL verkauft. Aus einem Investment von fünf Millionen Euro waren binnen sechs Jahren acht Milliarden geworden. Er habe dafür einen Bonus in dreistelliger Millionenhöhe kassiert. „Da bin ich gierig geworden und ungenießbar“, sagt Middelhoff. Plötzlich habe er sich gedacht, das Geld müsse doch auch steuerfrei zu haben sein. „Ich wünschte, ich hätte dieses Geld nie besessen; das hätte mir vieles erspart.“Warnhinweise und Kritik aus seinem engeren Umfeld habe er nicht ernstgenommen.
Bei der Verurteilung 2014 ging es unter anderem um Hubschrauberflüge zwischen der Arcandor-Firmenzentrale in Essen und Middelhoffs Zuhause in Bielefeld – zum gemeinsamen Mittagessen mit der Familie. Außerdem um eine teure Festschrift für einen ehemaligen Förderer, die er dem Unternehmen in Rechnung stellte. Middelhoff wurde im Gerichtssaal verhaftet.
„Der Moment, der mich wachgerüttelt hat, war, als ich mich in der Gefangenenaufnahme der JVA komplett ausziehen musste und das Kommando bekam: Hände an die Wand, Beine auseinander“, berichtet Middelhoff. Er betont, dass er sei- ne Gier, Arroganz und Überheblichkeit als Manager erst hinter Gittern erkannt habe. Dass er das Urteil von 2014 für zu hart hält, darüber verliert er kein Wort. Stattdessen kritisiert er die gängige Suizidkontrolle, für die er in sechs Wochen seiner Haftzeit nachts alle 15 Minuten geweckt worden sei. Der Schlafentzug habe bei ihm zu einer unheilbaren Autoimmunerkrankung geführt. „Das ist in Guantanamo nicht zulässig, aber in deutschen Gefängnissen.“
Middelhoff rät den Zuhörern, lieber einen Karriereschritt auszulassen, als seinen Charakter zu verbiegen. „Ich war auch nicht immer ein Arschloch“, sagt Middelhoff und erntet Gelächter. Ob er sein Vermögen in Sicherheit gebracht habe und insgeheim noch reich sei, wie es ihm Gläubiger vorwerfen, fragt ein Zuhörer. Middelhoff sagt, er lebe nach seiner Privatinsolvenz nun von dem Teil seiner Pension, der unterhalb der Pfändungsgrenze liege. „Ja, ich bin reich“, sagt er, „an Erfahrung.“