„Viele wissen gar nicht mehr, wie schlimm es war“
Am Donnerstag treffen sich Irland und Nordirland zum Freundschaftsspiel. Eine Fußballpartie, die das Erbe des Nordirland-Konflikts in sich trägt.
DUBLIN/DÜSSELDORF Dass bei Länderspielen auf europäischer Ebene Nachbarländer ab und an aufeinandertreffen, liegt in der Natur der Sache. Und in den meisten dieser Spiele sorgt die sportliche Rivalität letztlich für die Farbtupfer im ausufernden Spielplan der Uefa. Doch zuweilen fällt diese sportliche Rivalität hinter politische, ethnische oder religiöse Animositäten zurück, und ein Fußballspiel wird plötzlich hochstilisiert. In dieser Woche gibt es gleich drei Partien, die über den reinen Wettstreit auf dem Platz hinausgehen. Serbien spielt gegen Montenegro, den ehemaligen Partner im Staatenbund, Tschechien tritt gegen die Slowakei an. Doch ein Duell steht über allen: Irland gegen Nordirland am Donnerstag (20.45 Uhr) in Dublin. 90 Minuten in Freundschaft, die aber selbst gut 20 Jahre nach dem offiziellen Ende des Nordirland-Konflikts unweigerlich dessen Erbe in sich tragen. Die Frage ist nur: in welchem Ausmaß?
„Für manchen Fan wird dieses Duell noch viel von der Feindschaft früherer Tage in sich tragen, so wie vor 20, 30 Jahren eben. Für die radikalen Protestanten in Nordirland wird es immer Teil dieses Duells sein, es dem mythischen Gegner in Dublin zu zeigen. Aber für andere ist es längst nur ein Fußballspiel mit nationaler Rivalität. Und dann gibt es sogar moderate Unionisten im Norden, die in allen anderen Spielen außer diesem zu Irland als ihrem zweiten Lieblingsteam halten“, sagt Benjamin Roberts. Der Brite, eigent- lich beruflich in der Musikindustrie zu Hause, brachte 2017 unter dem Titel „Gunshots and Goalposts“, etwa: „Zwischen Gewehrschüssen und Torpfosten“, eine Geschichte des nordirischen Fußballs heraus.
Und die ist eben eine Geschichte der Konflikte zwischen Katholiken und Protestanten, irlandtreuen und englandtreuen. „Der Fußball auf der irischen Insel muss dahin kommen, religiös motivierte Rivalität auszuklammern“, sagt Roberts, der selbst etliche Verwandte in Nordirland hat.„Nordirische Teams haben heute schon Spieler aus beiden Konfessionen, aber die Fangemeinden orientieren sich nach wie vor stark entlang religiöser Grenzziehungen. Solange die nordirische Gesellschaft das vor allem durch Schulbildung nicht überwinden kann, wird es wahrscheinlich auch so bleiben. In Irland ist das mit der Religion im Fußball ein viel kleineres Thema. Es gibt kaum Protestanten, die Mehrheit von ihnen zieht sowieso Rugby und Cricket dem Fußball vor, und in diesen Sportarten gibt es eine gesamtirische Nationalmannschaft.“
Was den Fußball anbelangt, standen die Nordiren lange im Schatten des großen Bruders auf der Insel. Doch spätestens seit der EM 2016 hat sich das geändert. „Der Effekt war riesig. Nordirland hatte 30 Jahre lang an keinem großen Turnier teilgenommen. Und weil das Für und Wider der Existenz eines nordirischen Staates seit jeher diskutiert wird, war die EM 2016 für die Fans einfach eine Selbstbestätigung. Dann noch genauso gut wie Irland und England abzuschnei-
den
[Alle drei scheiterten im Achtelfinale, Anm. d. Red.],
war ein richtiger Schub für ein Land mit weniger als zwei Millionen Einwohnern. Sportlich sollte es dann auch am Donnerstag ein enges Spiel zweier Teams auf ähnlichem Niveau sein“, sagt Roberts.
Das Insel-Duell ist das erste seit 2011. Damals gewannen die Iren 5:0. Auch in Dublin. Damals blieb es rund um das Spiel ziemlich ruhig. Und jetzt, sieben Jahre später, sollte man meinen, sei der Friedensprozess in allen Köpfen doch noch einmal weiter vorangeschritten, oder? Genau das ist für Roberts jedoch die zentrale Frage. „Viele Jugendliche wissen gar nicht mehr, wie es war, als der Konflikt richtig schlimm war. Und sie wollen es auch gar nicht wissen. Das ist bitter. Und so gewin- nen paramilitärische Gruppen wieder an Zulauf, vor allem auf der englandtreuen Seite“, sagt der Autor.
Im Mittelpunkt der Partie stehen für ihn zwei Namen: der irische Nationalspieler James McClean und Arlene Foster, die Vorsitzende der konservativen, englandtreuen Protestanten in Nordirlands Politik. Roberts erklärt: „McClean dürfte die Gemüter der Nordiren am meisten erhitzen, weil er für Irland aufläuft, obwohl er die nordirischen Nachwuchsmannschaften durchlaufen hat.“
Und was ist mit Arlene Foster? „Viele werden genau registrieren, ob sie vor oder nach der irischen Nationalhymne ins Stadion kommt. Und wenn sie bei der Hymne anwesend sein sollte, ob sie sich auch zu ihr erhebt“, sagt Roberts.