In aller Freundschaft
Vor dem entscheidenden Spiel in der Nations League hat die DFB-Auswahl gegen Russland Selbstvertrauen getankt.
LEIPZIG Es war ziemlich einsam um den Andenkenverkäufer vor dem Leipziger Stadion. Zwei Stunden vor dem Testländerspiel zwischen Deutschland und Russland war von Kundschaft keine Spur, eine Klage wegen Überbeschäftigung hat der Mann sicher nicht eingereicht. Auch auf den Rängen blieb es übersichtlich, die Zeit ausverkaufter Häuser ist offenbar vorbei. Unter den Zuschauern gaben sich viele lautstark als Anhänger der russischen Mannschaft zu erkennen, die Fans des deutschen Teams hielten sich vornehm zurück. Dabei bekamen sie doch ordentlich Tore serviert. Die DFB-Auswahl setzte sich mit 3:0 durch.
Bundestrainer Joachim Löw schickte reichlich Jugend auf den Rasen. Die Startelf der Deutschen hatte ein Durchschnittsalter von gerade mal 24,5 Jahren, und wenn man bedenkt, dass Kapitän Manuel Neuer mit 32 Jahren den Schnitt ein gutes Stück nach oben hob, war das schon bemerkenswert.
Vor allem die Tempoläufer im Angriff zeigten sogleich den taktischen Ansatz. Mit ihren Sprints in die Tiefe boten Serge Gnabry, Leroy Sané und Timo Werner ihren Mitspielern die Räume an. Und die Kollegen ließen sich nicht lange bitten. Thilo Kehrer leistete mit einem Pass genau in die vielzitierte Tiefe des Raumes die Vorarbeit zum frühen 1:0. Gnabry nahm das Zuspiel schnell auf, Sané vollstreckte kühl und sicher.
Dieses Muster blieb das deutsche Rezept gegen eine russische Abwehr, die mit der Schnelligkeit der Deutschen erhebliche Probleme hatte. Joshua Kimmich und Kai Havertz zogen aus der Mittelfeldzentrale das Spiel auf, ihre Pässe machten die Aktionen schnell. Und Havertz bewies in seinem zweiten Länderspiel sein erstaunliches Gefühl für Raum und Ball.
Beide waren an den weiteren Toren beteiligt, die schon im ersten Durchgang zeigten, wohin der Weg in der Partie führen würde. Nach Kimmichs Eckstoß stand dessen bayerischer Teamkollege Niklas Süle bildschön frei, er schob unbehelligt von seinen Gegnern zum 2:0 ein. Und Havertz öffnete mit seinem fein dosierten Steilpass Gnabry den Weg zum 3:0. Der Münchner vollstreckte humorlos.
Das war sehr früh ein Ausdruck der Kräfteverhältnisse auf dem Platz. Der Kombinationslust der Deutschen hatten die Gäste wenig entgegenzusetzen. Für Gefahr sorgten sie aber auch deshalb äußerst selten, weil sie nach ein paar Konzentrationsschwächen in Löws Team nicht entschlossen nachsetzten. In der Rückwärtsbewegung leistete sich namentlich Sané ein paar Flapsigkeiten. Und was Antonio Rüdiger an Aufbauarbeit aus seiner Position auf der linken Seite der Abwehrdreierkette leistete, war nicht immer rundum sicher. Stärkere Gegner hätten daraus mehr Kapital ge- schlagen.
Trotzdem gibt das System mit einer Dreier-Abwehr und zwei Mittelfeldaußen davor (diesmal Kehrer und Jonas Hector) Löws Mannschaft eine gesunde Basis für ihr Kombinationsspiel und eine brauchbare Absicherung, wenn der Ball vorn mal verloren geht. Außerdem ist das Zentrum geschlossen, wenn sich zwischen den Außen die zentralen Spieler Kimmich und Havertz sich mit so viel Spielintelligenz bewegen wie in Leipzig. Das Gerüst für einen Neuaufbau auch in taktischer Hinsicht steht damit. Dass aber nicht von heute auf morgen ein neuer WM-Favorit geboren wird, bewies die Begegnung mit den ersatzgeschwächten Russen ebenfalls. Gelegentliche Abstimmungsschwie- rigkeiten und kleinere schöpferische Pausen in der Laufarbeit wie in der zerfahrenen Phase nach der Pause sind kein Beleg für höchstes Niveau.
Aber da will Löws Team ja auch erst hin. Für eine Mannschaft, die bei der WM sang- und klanglos ausgeschieden ist, bot die DFB-Auswahl viele sehenswerte Ansätze. Sie hat auf jeden Fall den richtigen Weg eingeschlagen. Auch wenn ihre Lust am Spiel mit einem Schuss Sorglosigkeit versehen ist, macht das allemal mehr Spaß als der müde Verwaltungsfußball der WM. Das fand auch irgendwann das deutsche Publikum, als es die Welle über die Ränge liefen ließ. Und es hatte immer noch seinen Spaß, als ein russischer Fan mit einsamem Platzsturm die Partie in die Länge zog.