Auf der Suche nach dem Licht
Eine Fahrt mit den Hurtigruten-Postschiffen im Winter ist eine Reise ans Ende der Welt – auf der Suche nach den Farben und dem Licht. Gerade das Eis, der Schnee und die bittere Kälte machen die Seereise zu einer der schönsten überhaupt.
Torstein Gaustad löst Alarm aus. Nordlicht-Alarm. Noch ist da nur ein grüner Schimmer am Horizont. Doch die Passagiere der „Kong Harald“haben auf die Durchsage sehnsüchtig gewartet. Viele lassen ihren Rinderbraten im Restaurant stehen, laufen in die Kabine, um Jacke, Mütze und Handschuhe zu holen, und gehen nach draußen aufs Promenadendeck, Backbordseite, so wie es Expeditionsleiter Gaustad geraten hat.
Fast alle sind absichtlich im Winter auf diese Reise mit Hurtigruten entlang der norwegischen Küste aufgebrochen, um das berühmte Himmelsphänomen zu sehen. „Wegen der Nordlichter“, sagt das Ehepaar aus Großbritannien. Eine alleinstehende Frau aus Australien: „Ich wollte einmal in meinem Leben die Nordlichter sehen und die Kälte erleben. In Australien haben wir derzeit 40 Grad Hitze.“Auch Japaner sind dabei. „Sie glauben, dass es besonderes Glück bringt, unter dem Nordlicht ein Kind zu zeugen“, erklärt Gaustad. „Dementsprechend rennen nur die älteren japanischen Passagiere bei Nordlicht-Alarm aufs Deck, die jüngeren rennen in entgegengesetzte Richtung.“Auf dieser Reise sind offenbar nur ältere Japaner an Bord.
Auch für Gaustad, der seit sechs Jahren auf den Hurtigruten-Schiffen fährt, sind die Nordlichter immer noch etwas ganz Spezielles. In klaren Nächten schaut er oft in den Himmel und gibt dann den ersehnten Alarm. „Wir sagen den Gästen immer: Ja, ihr könnt natürlich Fotos machen. Aber konzentriert euch nicht zu sehr darauf. Es ist viel wichtiger, dass ihr dieses Erlebnis einfach in euch aufnehmt.“
In der ersten Nacht hier oben nördlich des Polarkreises, wo es die Nordlichter in der Regel überhaupt nur gibt, ist die Ausbeute noch nicht so ergiebig. Das ändert sich in der darauffolgenden. Und jetzt ist es nicht mehr nur ein grünes Schimmern, sondern ein echter Farbentanz, von Gelb über Grün bis Blau und Lila. Wer das gesehen hat, vergisst es so schnell nicht.
In dieser Nacht auf dem Weg zwischen Tromsö und Honningsvag stehen die Passagiere noch lange an Deck. Die Hurtigruten-Mitarbeiter zitieren gerne einen Spruch aus Nordnorwegen: Schlafen kannst du im Süden. Nur, wer es vor lauter Kälte gar nicht mehr aushält, verzieht sich in die Aussichtslounge. Doch wer im Winter auf diese Seereise geht, weiß eigentlich, worauf er sich einlässt und ist gerüstet: mit Funktionskleidung, Thermounterwäsche, Mützen und Handschuhen. Da kann einem selbst der Fahrtwind bei minus zwölf Grad nichts anhaben.
Am Tag das gleiche Bild: dick vermummte Gestalten auf dem Promenadendeck 5, entweder mit Kamera im Anschlag oder der Nase im Wind. Das Schiff bietet keine große Ablenkung. Wer ein Spa, eine Kletterwand oder ein Theater wie auf einem normalen Kreuzfahrtschiff sucht, wird bei Hurtigruten nicht fündig.
Nur einen kleinen Raum mit ein paar Fitnessgeräten gibt es auf der „Kong Harald“und tief unten im Schiffsbauch eine kleine Sauna, die den Charme des heimischen Hobbykellers versprüht. Natürlich gibt es gutes, meist regionales Essen, und das Expeditionsteam bietet Vorträge an. Doch das ist es in Sachen Bordun- terhaltung. Wofür bräuchte man sie auch?
Und so steht man an Deck, im Februar, und kann sich nichts Schöneres vorstellen als das Farbenspiel zu beobachten: Wenn es am Morgen nach der Nacht mit Polarlichtern langsam hell wird, sich die Sonne aber noch lange Zeit lässt und dieses ganz besondere magische Licht der blauen Stunde produziert. Die tief verschneiten Berge erstrahlen in rosa-rotfarbenen Tönen, darüber der Himmel in allen Blauschattierungen, dazu die immer noch hell erleuchteten kleinen Städte, in denen die „Kong Harald“anlegt, und das Schwarz der Fjorde, durch die sich das Schiff fast lautlos fortbewegt.
Meist im Abstand von zwei bis drei Stunden legt die „Kong Harald“nach einem festen und für alle Schiffe gleichen Fahrplan in den Städten entlang der Route an. Selten dauern die Stopps länger als 15 Minuten, zu wenig zum Aussteigen und Bummeln. Längere Aufenthalte gibt es nur in größeren Städten wie Tromsö. Dort stehen geführte Wanderungen oder Hundeschlittentouren auf dem Programm.
Und dann ist es ganz nahe, das Ende der Welt – zumindest das Ende von Europa. Etwas mehr als 30 Kilometer Fahrstrecke sind es noch vom Hafen Honningsvag aus bis zum Nordkap. Schon die Busfahrt über die vereiste und verschneite Straße aus der kleinen Stadt hinaus in die Berge ist ein Erlebnis. Das letzte Drittel der Strecke ist durch Schneeverwehungen oft so gefährlich, dass die Durchfahrt im Winter nur im Konvoi hinter einem Schneepflug erlaubt ist. Nur noch Spitzbergen und rund 2100 Kilometer trennen die Gruppe an diesem Ort vom Nordpol.