Zusammen für fünf Jahrzehnte
„Die Nacht der Nächte“porträtiert vier Paare unterschiedlicher Kulturen.
Plötzlich steht das indische Ehepaar Kamala und Nagarajayya nicht mehr selbst vor der Kamera, sondern als Knetfiguren. Gemeinsam reißen sie eine Mauer ein und gehen hindurch. Die kurze Szene steht symbolisch für eine Kernbotschaft des Films „Die Nacht der Nächte“, der im vergangenen Jahr als bester Dokumentarfilm mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet wurde: Gegen alleWiderstände einen gemeinsamen Weg finden.
„Die Nacht der Nächte“porträtiert gleich vier Paare aus unterschiedlichen Kulturen, die allesamt zumindest eines gemein haben: Sie haben mehr als 50 Jahre miteinander verbracht. Es ist wunderbar anzuschauen, wie vertraut diese Paare aus Indien, Japan, den USA und Deutschland miteinander sind. Und es ist bemerkenswert, wie es den beiden FilmemacherinnenYasemin und Nesrin Samdereli gelingt, dem Zuschauer ihre Geschichten nahezubringen.
Denn die Kunst des Films besteht darin, das Leben dieser vier Paare als eine Geschichte zu erzählen, und das ist die der unbedingten Liebe zueinander. Dafür kämpfen sie gegen Kastenunterschiede, die zerrüttende Arbeit auf Reisfeldern und die Tatsache, sich als homosexuelles Paar erst nach fünf gemeinsam durchlebten Jahrzehnten endlich vermählen zu können. Der Film lässt seine Protagonisten schweigen, wei- nen, lachen, abschweifen. Er nimmt sich Zeit.
Somit ist er auch ein Film der subtilen Zwischentöne. Er ist besonders dann herrlich, wenn ein Paar aus der Rolle fällt. Wie Heinz etwa, der trotz Drängen seiner Frau noch erzählen muss, dass die ursprünglichen Latten für seinen Sarg nun überall auf dem Familienhof verbaut sind – oder das nicht enden wollende Gelächter des indischen Paares, wenn es vom ersten Kinobesuch berichtet. Er habe Taten sprechen lassen, sagt Nagarajayya mit funkelnd stolzen Augen. „Hör auf, sonst erzählst du noch alles“, entgegnet die Frau. Und auch Hildegard aus dem Ruhrgebiet meint, dass man das alles doch gar nicht erzählen könne. Wohl wahr, über 50 Jahre Liebesgeschichte, doch was berichten?
Es ist genau jener Umstand, der den Film so faszinierend wirken lässt. Vieles bleibt offen, die gezeich- neten Biografien werden gezielt mit Leerstellen versehen. Über Beruf und Familie erfährt der Zuschauer wenig. Und so ist es an ihm, genau hinzusehen, was diese illustren Paare vor der Kamera eigentlich treiben.
„Die Nacht der Nächte“offenbart in guten Momenten die Entbehrungen, die so eine lange, gemeinsame Zeit mit sich bringt. Brillant wird der Film dann, wenn er trotz aller Widrigkeiten die komischen Seiten des gemeinsamen Miteinanders abbildet; sowie die Tatsache, dass es vielleicht ein Rezept für das langjährige Miteinander gibt: Die Marotten des anderen zu akzeptieren. Das, und ein Picknick unter Kirschblüten mit Bananen.
Die Nacht der Nächte Deutschland 2018, von Nesrin Samdereli und Yasemin Samdereli, mit Mechthild Barth, Marcus Winterbauer und Anja-Karina Richter, 92 Minuten.