Puritanismus
Zu „Kirchner im Zwielicht“(RP vom 27. November): Dass die Expressionisten im Allgemeinen und Kirchner im Besonderen neben vielen anderen Themen auch eine Vorliebe für die Aktdarstellung junger Mädchen hatte, dürfte allen kunstinteressierten Menschen geläufig sein. Damit steht der Expressionismus in einer Jahrtausende alten ikonographischen Tradition, nämlich der der künstlerischen Hingabe an die erotische Schönheit junger Menschen. Ich erinnere hier nur an indische Reliefs, an den Kamasutra, an japanische Holzschnitte, an römische Wandmalereien, an Peter Paul Rubens, an Egon Schiele. Und auch hier waren die Modelle zum Teil sicher sehr jung und aus heutiger Sicht minderjährig. Würde man diese zeitlosen Kunstwerke aus der Kunstgeschichte und den Museen verbannen, wäre plötzlich ein wesentlicher Teil der Kulturgeschichte des Menschen eliminiert. Die Abhängung eines Waterhouse-Gemäldes mit jungen Mädchenakten in Manchester (das inzwischen wieder aufgehängt wurde) zeigt dies exemplarisch, die USA entwickeln sich gegenwärtig stetig in diese Richtung. Diesem Puritanismus folgt die Bonner Ausstellung glücklicherweise nicht.
Reinhardt Heinen per Mail