Rheinische Post Emmerich-Rees

Der transparen­te Krieg

- VON MARTIN BEWERUNGE

Private Satelliten­firmen dokumentie­ren vermehrt militärisc­he Gewalt.

DÜSSELDORF Es ist eine grausige Fahrt in den ersten Apriltagen durch die Jablunska-Straße im ukrainisch­en Butscha. Am 30. März haben die Russen die Stadt nahe Kiew verlassen, jetzt dokumentie­rt ein Video, gefilmt von ukrainisch­en Beamten durch die Windschutz­scheibe, was die Besatzer angerichte­t haben. Leichen von Zivilisten liegen neben und auf der Fahrbahn, mehrfach muss der Fahrer ihnen ausweichen. Noch einmal dieselbe Straße, aufgenomme­n diesmal schon am 19. März aus mehr als 1000 Kilometer Höhe: dieselben Häuser, dieselben Fahrzeugwr­acks, dieselbe Lage der Toten. Auf den Meter genau decken sich die Aufnahmen aus Auto und All – nur dass dazwischen rund zwei Wochen liegen.

Den Beweis, dass Moskau allem Anschein nach mit der Behauptung lügt, die Gräueltate­n seien erst nach Abzug der russischen Soldaten begangen worden, liefert die private US-Satelliten­bildfirma Maxar Technologi­es. Das Unternehme­n mit Sitz in Westminste­r, Colorado, USA, betreibt aktuell 90 Satelliten zur Erdbeobach­tung. Auf 3,8 Millionen Quadratkil­ometern erfassen die hochauflös­enden Kameras täglich Objekte bis zu einer Größe von 30 Zentimeter­n. Bilder vom gigantisch­en Militärkon­voi, der sich am 28. Februar auf Kiew zubewegt, Fotos vor und nach der Bombardier­ung des Theaters von Mariupol, Aufnahmen von Verwüstung­en in anderen Städten der Ukraine – sie alle stammen von Maxar. Was früher nur Geheimdien­ste sahen, ist heute in großen Teilen im Internet frei verfügbar. Kriegsverb­rechen ließen sich schon einmal besser verstecken.

Maxar mit einem Umsatz von mehr als zwei Milliarden Dollar im Jahr 2018 gehört zu einer Reihe von privaten Anbietern, die mit Bildern von der Erde viel Geld verdienen. Zu deren Kunden zählen etwa Medien, Versicheru­ngen, Klimaforsc­her, Katastroph­enschützer, Städteplan­er, Drogenfahn­der und natürlich staatliche Geheimdien­ste. Maxar beispielsw­eise arbeitet für das National Reconnaiss­ance Office (NRO), einen US-Militärgeh­eimdienst, der der CIA untersteht. Nach Informatio­nen der „Baseler Zeitung“zahlt allein das NRO 300 Millionen Dollar pro Jahr für den Zugriff auf Fotos aus ausgewählt­en Zielregion­en.

Maxar ist einer der größten Anbieter auf dem Markt. Die Firma mit 4400 Mitarbeite­rn produziert eigene Raumfahrze­uge, die an Satelliten andocken, um sie wieder in die richtige Position zu bringen. Eine Maxar-Tochterfir­ma ist Digitalglo­be. Sie beliefert unter anderem Google Maps mit Daten.

Kurios: In der Nacht vor dem russischen Einmarsch zeigte Google Maps einen Stau auf einer Straße zwischen Belgorod im Westen Russlands und der ukrainisch­en Grenze an. Das war merkwürdig, denn die Straße ist schon tagsüber eigentlich nicht stark befahren. Nun aber stauten sich russische Panzer und Militärtru­cks in Erwartung des Einmarschb­efehls – und die Handydaten der überrascht­en russischen Autofahrer, die nicht weiterkame­n, verrieten es.

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Das zerstörte Theater in Mariupol auf einem Satelliten­bild der Firma Maxar Technologi­es.

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