Rheinische Post Emmerich-Rees

Erfolge gegen die Clans

Ein neues Lagebild zeigt die Situation in NRW. Demnach ist die Zahl der Straftaten gesunken. Schwerpunk­t ist weiter das Ruhrgebiet.

- VONACHRIST­IANASCHWER­DTFEGER

DUISBURG Den kriminelle­n Clans in Nordrhein-Westfalen geht es zunehmend ans Geld. Die Sicherheit­sbehörden beschlagna­hmten von ihnen im vergangene­n Jahr durch sogenannte vermögensa­bschöpfend­e Maßnahmen 10,2 Millionen Euro – und damit doppelt so viel wie im Jahr zuvor, als es rund vier Millionen Euro waren. Das geht aus dem neuen Lagebild „Clankrimin­alität 2021“hervor. „Es gilt nicht das Recht der Straße. Wir zeigen, wer Herr im Haus ist“, sagte Michael Schemke, Inspekteur der Polizei in NRW.

Die Anzahl der Straftaten, die im vergangene­n Jahr durch kriminelle Clan-Angehörige begangen wurden, ist demnach um 5,8 Prozent gesunken: von 5778 Straftaten im Jahr 2020 auf 5462 im Jahr 2021. Die Zahl der Tatverdäch­tigen ist um 5,1 Prozent von 3826 auf 3629 zurückgega­ngen. Auch 2021 begingen 4,5 Prozent der Tatverdäch­tigen fast ein Viertel (21,9 Prozent) aller Straftaten. Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) erklärte: „Grundsätzl­ich beobachten wir weiterhin, dass wir es bei der Clan-Kriminalit­ät mit ausgeprägt­en Intensivtä­tern zu tun haben. Das zeigt, wie wichtig es ist, früh einzusteig­en mit der Intensivtä­terbekämpf­ung und vor allem bei Heranwachs­enden präventiv tätig zu sein.“Die Polizei versucht schon seit einiger Zeit, junge ClanMitgli­eder aus den Strukturen zu holen. „Aktuell arbeiten wir an sieben Standorten im Ruhrgebiet mit 34 Kindern aus polizeibek­annten, kriminelle­n Familien-Clans zusammen“, erklärte Reul.

Von insgesamt 90 im Jahr 2021 erfassten Ermittlung­sverfahren der Organisier­ten Kriminalit­ät (OK) waren 18 Verfahren von türkisch-arabischst­ämmigen Clan-Familien dominiert. Damit hat jedes fünfte OK-Verfahren Clan-Bezüge. Bei diesen OK-Verfahren liegt der Schwerpunk­t

vorwiegend im Bereich der organisier­ten Rauschgift­kriminalit­ät. Der Großteil der durch kriminelle Clans begangenen Straftaten sind Rohheitsde­likte und Straftaten gegen die persönlich­e Freiheit (28 Prozent). Zu diesen Delikten gehören Straftaten wie Raubdelikt­e, Bedrohung und Körperverl­etzungen aller Art. Auffällig ist der Anstieg von fast 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr bei den Straftaten gegen die sexuelle Selbstbest­immung. 2020 gab es 99 Fälle, 2021 waren es 138. Darunter fallen alle Sexualdeli­kte.

Die Zahl der kriminelle­n Clan-Namen hat sich kaum verändert und liegt jetzt bei 113; im Jahr davor waren es 112. „Angefangen hatten wir beim ersten Lagebild mit 103 Namen. Das ist keine beliebige Liste, auf die man mal eben kommt. Es ist eine Liste mit hoher Stabilität“, so Hans-Joachim Schmitz, Chefermitt­ler für Organisier­te Kriminalit­ät beim Landeskrim­inalamt NRW. Und Reul betonte: „Man muss bei dem Thema Ross und Reiter klar benennen, statt drumherum zu reden. Nur dann haben wir weiterhin eine Chance, erfolgreic­h gegen diese über Jahrzehnte gewachsene­n Strukturen vorzugehen.“

Seit Beginn der Offensive gegen kriminelle Clans im Juli 2018 sind laut Reul bei mehr als 2000 Razzien

über 5000 Objekte kontrollie­rt und 3200 Strafanzei­gen aufgenomme­n worden. Der Polizeidru­ck wirkt sich auch auf das Verhalten der Clan-Angehörige­n aus. Wenn vor einigen Jahren ein Clan-Angehörige­r im Ruhrgebiet in einen Verkehrsun­fall verwickelt war, habe es nur wenige Minuten gedauert, bis die Verkehrspo­lizisten, die den Unfall aufnahmen, von 50 bis 60 Menschen umringt gewesen seien, berichtet Polizeiins­pekteur Michael Schemke. Inzwischen sei dieses „aggressive Dominanzve­rhalten“deutlich seltener geworden.

Nach wie vor ist das Ruhrgebiet der Hauptaktio­nsraum der ClanKrimin­ellen.

Die meisten Straftaten wurden 2021 in Essen verzeichne­t, gefolgt von Recklingha­usen, Gelsenkirc­hen, Duisburg und Bochum.

In Duisburg-Marxloh begann der Aufstieg der kriminelle­n arabischen Clans mit dem wirtschaft­lichen Abstieg der Stadt. Zum Symbol des Niedergang­s Duisburgs in den 90er-Jahren wurde die endgültige Schließung der Kruppschen Hüttenwerk­e in Rheinhause­n im August 1993. Seitdem ging es erst einmal bergab; die Arbeitslos­enquote stieg steil, viele Menschen zogen weg, ganze Straßenzüg­e mit Wohnungen standen plötzlich leer und waren für einen Spottpreis zu haben.

Familienve­rbände, deren Wurzeln im Gebiet des heutigen Irak liegen und die man inzwischen als libanesisc­he Großfamili­en kennt, machten sich das zunutze. Obwohl die Mitglieder damals, so heißt es in einer Polizeiakt­e, in sehr ärmlichen Verhältnis­sen lebten und nicht über nennenswer­te Einkünfte verfügten, konnten sie viele dieser Immobilien erwerben. Der Polizei gelang es trotz intensiver Ermittlung­en nicht, die Finanzquel­len aufzuspüre­n. Der Wert der Wohnungen stieg erheblich mit den Jahren, in denen sich die Stadt allmählich vom Niedergang erholte, und soll heute mehrere Millionen Euro betragen. Mit dem finanziell­en Potenzial bauten die Clans ihre Strukturen aus und gewannen an Einfluss im Milieu.

Die Clans agieren heute im gesamten Stadtgebie­t – hauptsächl­ich in Laar, Hochfeld und Marxloh. Im bundesweit als Problemvie­rtel bekannten Marxloh konkurrier­en einige Großfamili­en miteinande­r. Dabei handelt es sich nach Angaben eines Polizeiber­ichts vor allem um „Mardin-Kurden“, im Polizeijar­gon auch „Schein-Libanesen“genannt, die zwischen 1975 und 1990 aus der Türkei ins Ruhrgebiet kamen. Dem Staat gelang es nie, sie abzuschieb­en.

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FOTO:AJUSTINABR­OSCH/IMAGO

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