Erfolge gegen die Clans
Ein neues Lagebild zeigt die Situation in NRW. Demnach ist die Zahl der Straftaten gesunken. Schwerpunkt ist weiter das Ruhrgebiet.
DUISBURG Den kriminellen Clans in Nordrhein-Westfalen geht es zunehmend ans Geld. Die Sicherheitsbehörden beschlagnahmten von ihnen im vergangenen Jahr durch sogenannte vermögensabschöpfende Maßnahmen 10,2 Millionen Euro – und damit doppelt so viel wie im Jahr zuvor, als es rund vier Millionen Euro waren. Das geht aus dem neuen Lagebild „Clankriminalität 2021“hervor. „Es gilt nicht das Recht der Straße. Wir zeigen, wer Herr im Haus ist“, sagte Michael Schemke, Inspekteur der Polizei in NRW.
Die Anzahl der Straftaten, die im vergangenen Jahr durch kriminelle Clan-Angehörige begangen wurden, ist demnach um 5,8 Prozent gesunken: von 5778 Straftaten im Jahr 2020 auf 5462 im Jahr 2021. Die Zahl der Tatverdächtigen ist um 5,1 Prozent von 3826 auf 3629 zurückgegangen. Auch 2021 begingen 4,5 Prozent der Tatverdächtigen fast ein Viertel (21,9 Prozent) aller Straftaten. Innenminister Herbert Reul (CDU) erklärte: „Grundsätzlich beobachten wir weiterhin, dass wir es bei der Clan-Kriminalität mit ausgeprägten Intensivtätern zu tun haben. Das zeigt, wie wichtig es ist, früh einzusteigen mit der Intensivtäterbekämpfung und vor allem bei Heranwachsenden präventiv tätig zu sein.“Die Polizei versucht schon seit einiger Zeit, junge ClanMitglieder aus den Strukturen zu holen. „Aktuell arbeiten wir an sieben Standorten im Ruhrgebiet mit 34 Kindern aus polizeibekannten, kriminellen Familien-Clans zusammen“, erklärte Reul.
Von insgesamt 90 im Jahr 2021 erfassten Ermittlungsverfahren der Organisierten Kriminalität (OK) waren 18 Verfahren von türkisch-arabischstämmigen Clan-Familien dominiert. Damit hat jedes fünfte OK-Verfahren Clan-Bezüge. Bei diesen OK-Verfahren liegt der Schwerpunkt
vorwiegend im Bereich der organisierten Rauschgiftkriminalität. Der Großteil der durch kriminelle Clans begangenen Straftaten sind Rohheitsdelikte und Straftaten gegen die persönliche Freiheit (28 Prozent). Zu diesen Delikten gehören Straftaten wie Raubdelikte, Bedrohung und Körperverletzungen aller Art. Auffällig ist der Anstieg von fast 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr bei den Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. 2020 gab es 99 Fälle, 2021 waren es 138. Darunter fallen alle Sexualdelikte.
Die Zahl der kriminellen Clan-Namen hat sich kaum verändert und liegt jetzt bei 113; im Jahr davor waren es 112. „Angefangen hatten wir beim ersten Lagebild mit 103 Namen. Das ist keine beliebige Liste, auf die man mal eben kommt. Es ist eine Liste mit hoher Stabilität“, so Hans-Joachim Schmitz, Chefermittler für Organisierte Kriminalität beim Landeskriminalamt NRW. Und Reul betonte: „Man muss bei dem Thema Ross und Reiter klar benennen, statt drumherum zu reden. Nur dann haben wir weiterhin eine Chance, erfolgreich gegen diese über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen vorzugehen.“
Seit Beginn der Offensive gegen kriminelle Clans im Juli 2018 sind laut Reul bei mehr als 2000 Razzien
über 5000 Objekte kontrolliert und 3200 Strafanzeigen aufgenommen worden. Der Polizeidruck wirkt sich auch auf das Verhalten der Clan-Angehörigen aus. Wenn vor einigen Jahren ein Clan-Angehöriger im Ruhrgebiet in einen Verkehrsunfall verwickelt war, habe es nur wenige Minuten gedauert, bis die Verkehrspolizisten, die den Unfall aufnahmen, von 50 bis 60 Menschen umringt gewesen seien, berichtet Polizeiinspekteur Michael Schemke. Inzwischen sei dieses „aggressive Dominanzverhalten“deutlich seltener geworden.
Nach wie vor ist das Ruhrgebiet der Hauptaktionsraum der ClanKriminellen.
Die meisten Straftaten wurden 2021 in Essen verzeichnet, gefolgt von Recklinghausen, Gelsenkirchen, Duisburg und Bochum.
In Duisburg-Marxloh begann der Aufstieg der kriminellen arabischen Clans mit dem wirtschaftlichen Abstieg der Stadt. Zum Symbol des Niedergangs Duisburgs in den 90er-Jahren wurde die endgültige Schließung der Kruppschen Hüttenwerke in Rheinhausen im August 1993. Seitdem ging es erst einmal bergab; die Arbeitslosenquote stieg steil, viele Menschen zogen weg, ganze Straßenzüge mit Wohnungen standen plötzlich leer und waren für einen Spottpreis zu haben.
Familienverbände, deren Wurzeln im Gebiet des heutigen Irak liegen und die man inzwischen als libanesische Großfamilien kennt, machten sich das zunutze. Obwohl die Mitglieder damals, so heißt es in einer Polizeiakte, in sehr ärmlichen Verhältnissen lebten und nicht über nennenswerte Einkünfte verfügten, konnten sie viele dieser Immobilien erwerben. Der Polizei gelang es trotz intensiver Ermittlungen nicht, die Finanzquellen aufzuspüren. Der Wert der Wohnungen stieg erheblich mit den Jahren, in denen sich die Stadt allmählich vom Niedergang erholte, und soll heute mehrere Millionen Euro betragen. Mit dem finanziellen Potenzial bauten die Clans ihre Strukturen aus und gewannen an Einfluss im Milieu.
Die Clans agieren heute im gesamten Stadtgebiet – hauptsächlich in Laar, Hochfeld und Marxloh. Im bundesweit als Problemviertel bekannten Marxloh konkurrieren einige Großfamilien miteinander. Dabei handelt es sich nach Angaben eines Polizeiberichts vor allem um „Mardin-Kurden“, im Polizeijargon auch „Schein-Libanesen“genannt, die zwischen 1975 und 1990 aus der Türkei ins Ruhrgebiet kamen. Dem Staat gelang es nie, sie abzuschieben.