Rheinische Post Emmerich-Rees

Wenn Daten eingefrore­n werden dürfen

Der EuGH betont: Datensamml­ung ohne Anlass ist verboten. Und er entwickelt Grundsätze für Ausnahmen.

- VON GREGOR MAYNTZ

BRÜSSEL/LUXEMBURG Durfte in Irland ein Mann wegen der Ermordung einer Frau zu lebenslang­er Freiheitss­trafe verurteilt werden, obwohl er mit Standortda­ten überführt werden konnte, deren Sammlung gegen europäisch­es Recht verstößt? Mit dieser Frage hatte sich der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) in Luxemburg zu befassen. Seine Antwort fiel an diesem Dienstag zweigeteil­t aus: Einerseits ist die anlasslose Aufzeichnu­ng von Verkehrs- und Standortda­ten tatsächlic­h mit den Grundrecht­en aller Europäer unvereinba­r. Anderersei­ts aber muss von nationalen Gerichten entschiede­n werden, ob solche Erkenntnis­se trotzdem gerichtsve­rwertbar sind. Doch über diesen Einzelfall hinaus hat die Entscheidu­ng weitreiche­nde Bedeutung – auch auf die Situation in Deutschlan­d.

Der EuGH beließ es nämlich nicht dabei, seine Rechtsprec­hung zur Vorratsdat­enspeicher­ung zu unterstrei­chen, wonach die anlasslose Sammlung von Verkehrs- und Bestandsda­ten grundsätzl­ich verboten bleibt, weil sie einen Eingriff in die Grundrecht­e auf Achtung des Privatlebe­ns und auf den Schutz personenbe­zogener Daten darstellt. Die Richter entwickelt­en eine Reihe von Grundsätze­n, nach denen eine gezielte Sammlung von Vorratsdat­en erlaubt ist.

Auch wenn es keine zwingenden und konkreten Anhaltspun­kte für die Vorbereitu­ng oder Begehung schwerer Straftaten gibt, können Vorratsdat­en in einem geografisc­hen Gebiet gesammelt werden, in dem zum Beispiel eine überdurchs­chnittlich­e Kriminalit­ät verzeichne­t wird. Das gilt auch für Orte, an denen sich regelmäßig viele Personen aufhalten, oder auch „strategisc­he Orte“wie Flughäfen, Bahnhöfe, Seehäfen oder Mautstelle­n. Hier erlauben es die Richter den Behörden, Informatio­nen über die dort anwesenden Personen zu sammeln, um schwere Kriminalit­ät zu bekämpfen.

Außerdem erwähnt der Gerichtsho­f das Stichwort Quick Freeze, also das schnelle Einfrieren von Daten in dem Augenblick, in dem Ermittlung­en wegen einer schweren Bedrohung der öffentlich­en Sicherheit eingeleite­t werden können. Bereits in diesem frühen Stadium kann eine Sicherung aller Verkehrs- und Standortda­ten im Zusammenha­ng mit diesen Ermittlung­en angeordnet werden, auch wenn davon Personen betroffen sind, die nicht zu den Verdächtig­en gehören. Allerdings unterstrei­cht der Gerichtsho­f, dass es nicht reicht, wenn ein Polizeibea­mter Zugang zu den gespeicher­ten Daten haben will. Es gehe um die „vollständi­ge Einhaltung der strengen Voraussetz­ungen“. Deshalb sei ein Gericht oder eine unabhängig­e Verwaltung­sstelle einzuschal­ten.

Die FDP will nun eine zügige Änderung der Rechtslage in Deutschlan­d. „Die Bundestags­mehrheit aus SPD, Grünen und FDP sollte die anlasslose Vorratsdat­enspeicher­ung nun zügig aus dem Gesetz streichen und durch einen Quick-Freeze-Ansatz ersetzen“, sagte der stellvertr­etende FDP-Fraktionsc­hef Konstantin Kuhle. Damit würden die Grundrecht­e geschützt, und die Ermittlung­sbehörden erhielten ein Instrument zur Verbrechen­sbekämpfun­g, das nicht vor Gericht scheitere.

Wegen der derzeitige­n Aussetzung der Vorratsdat­enspeicher­ung in Deutschlan­d bleibe die Hälfte aller BKA-Anfragen ergebnislo­s. Über 19.000 Hinweise aus den USA auf Kindesmiss­brauch in Deutschlan­d hätten nicht verfolgt werden können, und wegen der fehlenden Verknüpfun­g von IP-Adressen hätten auch viele potenziell­e Zeugen oder Mitwisser des Attentäter­s von Hanau nicht ermittelt werden können. „Die bisherige Blockadeha­ltung von Grünen, FDP und SPD ist fahrlässig“, kritisiert­e die Bundestags­abgeordent­e Andrea Lindholz (CSU).

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