Wenn Daten eingefroren werden dürfen
Der EuGH betont: Datensammlung ohne Anlass ist verboten. Und er entwickelt Grundsätze für Ausnahmen.
BRÜSSEL/LUXEMBURG Durfte in Irland ein Mann wegen der Ermordung einer Frau zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt werden, obwohl er mit Standortdaten überführt werden konnte, deren Sammlung gegen europäisches Recht verstößt? Mit dieser Frage hatte sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg zu befassen. Seine Antwort fiel an diesem Dienstag zweigeteilt aus: Einerseits ist die anlasslose Aufzeichnung von Verkehrs- und Standortdaten tatsächlich mit den Grundrechten aller Europäer unvereinbar. Andererseits aber muss von nationalen Gerichten entschieden werden, ob solche Erkenntnisse trotzdem gerichtsverwertbar sind. Doch über diesen Einzelfall hinaus hat die Entscheidung weitreichende Bedeutung – auch auf die Situation in Deutschland.
Der EuGH beließ es nämlich nicht dabei, seine Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung zu unterstreichen, wonach die anlasslose Sammlung von Verkehrs- und Bestandsdaten grundsätzlich verboten bleibt, weil sie einen Eingriff in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten darstellt. Die Richter entwickelten eine Reihe von Grundsätzen, nach denen eine gezielte Sammlung von Vorratsdaten erlaubt ist.
Auch wenn es keine zwingenden und konkreten Anhaltspunkte für die Vorbereitung oder Begehung schwerer Straftaten gibt, können Vorratsdaten in einem geografischen Gebiet gesammelt werden, in dem zum Beispiel eine überdurchschnittliche Kriminalität verzeichnet wird. Das gilt auch für Orte, an denen sich regelmäßig viele Personen aufhalten, oder auch „strategische Orte“wie Flughäfen, Bahnhöfe, Seehäfen oder Mautstellen. Hier erlauben es die Richter den Behörden, Informationen über die dort anwesenden Personen zu sammeln, um schwere Kriminalität zu bekämpfen.
Außerdem erwähnt der Gerichtshof das Stichwort Quick Freeze, also das schnelle Einfrieren von Daten in dem Augenblick, in dem Ermittlungen wegen einer schweren Bedrohung der öffentlichen Sicherheit eingeleitet werden können. Bereits in diesem frühen Stadium kann eine Sicherung aller Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit diesen Ermittlungen angeordnet werden, auch wenn davon Personen betroffen sind, die nicht zu den Verdächtigen gehören. Allerdings unterstreicht der Gerichtshof, dass es nicht reicht, wenn ein Polizeibeamter Zugang zu den gespeicherten Daten haben will. Es gehe um die „vollständige Einhaltung der strengen Voraussetzungen“. Deshalb sei ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle einzuschalten.
Die FDP will nun eine zügige Änderung der Rechtslage in Deutschland. „Die Bundestagsmehrheit aus SPD, Grünen und FDP sollte die anlasslose Vorratsdatenspeicherung nun zügig aus dem Gesetz streichen und durch einen Quick-Freeze-Ansatz ersetzen“, sagte der stellvertretende FDP-Fraktionschef Konstantin Kuhle. Damit würden die Grundrechte geschützt, und die Ermittlungsbehörden erhielten ein Instrument zur Verbrechensbekämpfung, das nicht vor Gericht scheitere.
Wegen der derzeitigen Aussetzung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland bleibe die Hälfte aller BKA-Anfragen ergebnislos. Über 19.000 Hinweise aus den USA auf Kindesmissbrauch in Deutschland hätten nicht verfolgt werden können, und wegen der fehlenden Verknüpfung von IP-Adressen hätten auch viele potenzielle Zeugen oder Mitwisser des Attentäters von Hanau nicht ermittelt werden können. „Die bisherige Blockadehaltung von Grünen, FDP und SPD ist fahrlässig“, kritisierte die Bundestagsabgeordente Andrea Lindholz (CSU).