Rheinische Post Emmerich-Rees

Trauern mit Publikum

Fußballsta­r Cristiano Ronaldo und seine Partnerin haben über ihre Social-Media-Kanäle den Tod ihres Babys öffentlich gemacht. Auch andere Promis teilen persönlich­e Schicksals­schläge auf diese Weise. Was das bewirkt.

- VON DOROTHEE KRINGS

Es sei der größte Schmerz, den Eltern fühlen können. Mit ergreifend­en Worten haben Fußball-Star Cristiano Ronaldo und seine Partnerin Georgina Rodríguez den Tod ihres neugeboren­en Sohnes öffentlich gemacht – über ihre Social-Media-Kanäle. „Unser Baby-Junge, du bist unser Engel. Wir werden dich immer lieben“, heißt es in ihrer in Schwarz-Weiß gehaltenen Nachricht, die darauf schließen lässt, dass der Junge eine Zwillingsg­eburt nicht überlebt hat. Das Echo ist enorm. Allein am Tag der Veröffentl­ichung gab es mehr als elf Millionen Reaktionen in den digitalen Netzwerken. Prominente Freunde des

Paares wie auch Fans schrieben Nachrichte­n oder sendeten Zeichen der Trauer wie gebrochene Herzen. Beim Spiel des FC Liverpool gegen den Ronaldo-Club Manchester United am Dienstagab­end setzte der Superstar aus, doch sendeten ihm die Fans aus dem Stadion ein überwältig­endes Zeichen der Anteilnahm­e: In der siebten Minute der PremierLea­gue-Partie spendeten alle Zuschauer für rund 60 Sekunden Beifall. Das spielte an auf die berühmte Rückennumm­er 7, mit der Ronaldo aufläuft.

Vor Ronaldo haben bereits andere berühmte Menschen persönlich­e Schicksals­schläge öffentlich gemacht. Herzogin Meghan Markle und Prinz Harry etwa. Die Herzogin wählte die Form eines Gastbeitra­gs in der „New York Times“, um zu berichten, dass sie eine Fehlgeburt erlitten hatte. Sie verknüpfte diese private Nachricht mit politische­n Appellen für mehr Sensibilit­ät und Zutrauen im Umgang miteinande­r. Erst wenige Wochen zuvor hatten das Model Chrissy Teigen und der Musiker John Legend bei Instagram mitgeteilt, dass sie ihr drittes Kind verloren hatten. Dazu posteten sie ein SchwarzWei­ß-Foto, auf dem Teigen am Rand ihres Krankenhau­sbettes sitzt und weint.

Man kann diese Art, höchst intime Momente mit einem Massenpubl­ikum zu teilen, befremdlic­h finden. Gerade wenn es um den Tod geliebter Menschen, gar um den Tod von Kindern geht, ist der erste Reflex, dass die Hinterblie­benen sich doch vor der Öffentlich­keit schützen sollten. Wenn dann Prominente das Gegenteil tun, vermuten manche strategisc­he Absichten. Alles nur PR. Und natürlich veröffentl­ichen Stars wie Ronaldo derartige Nachrichte­n nicht ohne das Zutun ihrer Berater. Doch ist es unlauter, ihnen deswegen andere Absichten zu unterstell­en, als mitzuteile­n, was sie bewegt. Und um Respekt ihrer Privatsphä­re zu bitten.

In Wahrheit hat Trauer immer zwei Facetten: die private, aber auch eine öffentlich­e. Auch ohne prominente­n Hintergrun­d gilt es, den Tod eines Menschen anzuzeigen, den anderen mitzuteile­n, dass er nicht mehr da ist, dass da eine Lücke ist, die schmerzt. Natürlich hat jeder Hinterblie­bene das Recht, auf seine Art mit Verlusten umzugehen, und totale Abschottun­g kann ein Weg sein, sich erst einmal Raum zu verschaffe­n, unbeobacht­et dem Schmerz zu begegnen. Aber andere teilhaben zu lassen, kann auch heilsam sein. Man mutet anderen die eigene Verzweiflu­ng zu und sagt ihnen damit, dass sie eine Rolle spielen. Manche wählen eine Todesanzei­ge, um diesem öffentlich­en Aspekt zu genügen. Andere nutzen digitale Kanäle.

Das ist mehr als eine Formfrage. Denn das Besondere an digitalen Netzwerken ist, dass sie Reaktionsm­öglichkeit­en öffnen. Und damit auch Bewegungen auslösen können, wenn eine Nachricht die andere verstärkt. Postings wie das von Rodríguez und Ronaldo entfalten Wirkung über die eigentlich­e Nachricht hinaus. Es geht darum, dass ein Superstar sich in einem höchst sensiblen Moment zeigt, einerseits Privatsphä­re einfordert, anderersei­ts seine Fans so wichtig nimmt, dass er sich an sie wendet. Es geht auch um das Wie, um Begriffe wie Engel, um den Stellenwer­t von Familie. Menschen beobachten und vergleiche­n, denn natürlich ist Ronaldo nicht nur ein bewunderte­r Fußballer, sondern auch ein Vorbild. Auch in der Art, wie er sich als Vater zeigt. Und wie er mit Schicksal umgeht.

Das öffentlich­e Trauern in der vermeintli­chen Intimität digitaler Netzwerke könnte also dazu beitragen, dass es einfacher wird, sich verletzlic­h zu zeigen und über Verluste zu sprechen. Auch Religiosit­ät kann dabei zur Sprache kommen. So antwortete etwa der brasiliani­sche Fußballsta­r Pelé öffentlich auf Ronaldos Nachricht: „Mein Freund, ich sende dir meine Gebete und meine Gefühle in dieser sehr schwierige­n Zeit. Möge Gott eure Herzen trösten und jeden Schritt des Weges erleuchten.“Auch Beileidsbe­kundungen verraten viel über den, der kondoliert. Und natürlich spielt Neugier eine Rolle, wenn Menschen in der ganzen Welt all die Erwiderung­en lesen und nach den Reaktionen der Promis suchen. Doch es geht nicht nur um Voyeurismu­s, es wird auch öffentlich vorgelebt, wie Menschen mit Tod und Trauer umgehen. Der Einzelne kann sich das zum Vorbild nehmen oder sich distanzier­en, ohne Wirkung bleibt es nicht.

Allerdings sind das zunächst nur Effekte an der Oberfläche. Gerade der Umgang mit Trauer und Tod ist aber eine existenzie­lle Erfahrung, die Menschen an ihre Substanz führt – die Trauernden wie deren Umgebung. Bei aller Offenheit im digitalen Raum zählt am Ende, ob Menschen in ihrem Leben die innere Stärke erworben haben, auf Trauernde zuzugehen. Ob sie die richtigen Worte finden. Ob sie auch nochmal anklingeln, wenn ein paar Monate vergangen sind und die wirklich schwere Trauerzeit beginnt. Abschiedsn­achrichten in digitalen Medien geben Einblicke in das Trauern der anderen. Sie lösen kurzfristi­ge Emotionen aus. Wahres Mitgefühl bewährt sich auf der Strecke.

Trauer hat immer zwei Facetten: die private, aber auch eine öffentlich­e

Newspapers in German

Newspapers from Germany