Im Donbass droht ein Ermüdungskrieg
Der russische Blitzfeldzug ist gescheitert, doch kann die Ukraine den neuen Angriffen im Osten und Süden standhalten? Dies dürfte acht Wochen nach dem Überfall auf das Land schwierig werden – aus mehreren Gründen.
Der Überraschungseffekt einer von Moskau unerwartet effektiven Gegenwehr der ukrainischen Verteidiger ist nach acht Wochen Krieg verpufft. Russlands Streitkräfte haben sich neu formiert und realistischere Schwerpunkte gebildet. Im Kampfraum Donbass sind ihre Nachschublinien wegen der nahen Grenze deutlich verkürzt, dagegen muss die Ukraine Waffen und Munition über mehr als 1000 Kilometer aus dem Westen des Landes heranschaffen. Und schließlich verfügt Russland über ein scheinbar unerschöpfliches Potenzial an Truppen und Waffensystemen aller Art, während die Ukraine Gefahr läuft, ihr Pulver im direktesten Wortsinn zu verschießen.
Der russische Blitzfeldzug ist offensichtlich gescheitert. Trotzdem müssen die ukrainischen Streitkräfte vor allem die Hauptstadt Kiew schon wegen ihrer Symbolkraft weiterhin schützen. Sie können vermehrte Angriffe im Westen nicht ausschließen, die das Ziel haben könnten, den Nachschub aus den Nato-Staaten abzuschneiden. Dazu müsste Russland letztlich auch Heereskräfte einsetzen, die aber bereits seit Angriffsbeginn nördlich im Raum Brest in Belarus und im Südwesten entlang der moldauischen Grenze bereitstehen, ohne dass eine Bewegung erkennbar ist. So oder so ist jetzt ein Abnutzungskrieg im Donbass und entlang des Asowschen Meeres zu erwarten. Er stellt für die Ukraine nicht nur wegen der zu erwartenden Dauer bis hin zu Monaten eine besondere Herausforderung dar: Sie kann nicht mehr mit einzelnen Jagdkommandos erfolgreich Nachschubkolonnen oder einzelne Panzerfahrzeuge
attackieren, sondern muss zum Gefecht der verbundenen Waffen in eine offene Feldschlacht übergehen: Hier stehen starke Panzerverbände im Mittelpunkt, unterstützt durch Luftstreitkräfte und Artillerie. Fraglich ist, ob sie ihre bisherigen Verluste und den hohen Verbrauch an modernen Präzisionswaffen wie Drohnen oder Raketen zumindest ansatzweise ausgleichen konnte. So leiden die Verteidiger Mariupols nach mehr als 40 Tagen Kampf unter massivsten Versorgungsengpässen, ihre Chancen stehen schlecht.
Die Waffenlieferungen, die die Amerikaner jetzt zugesagt haben, würden die Flexibilität und Feuerkraft der Verteidiger erhöhen. Die
Ukrainer haben beim ersten russischen Angriff 2014 schlechte Erfahrungen damit gemacht, grenznah verteidigen zu wollen. Angesichts der russischen Übermacht wurden ihre Truppenteile damals entweder überrollt oder eingekesselt. Daraus werden sie gelernt haben, und müssen nun möglichst flexibel kämpfen. Bewegungen vor allem bei Tage werden aber durch eine russische Luftüberlegenheit erschwert.
Die russische Seite verfügt traditionell über eine große und schwere Artillerie. Ihre bisherigen Einsätze in Tschetschenien und in Syrien lassen befürchten, dass diese besonders zerstörerische Form der Kriegsführung, die auch Zivilisten nicht verschont, bei der Offensive im Süden und Osten noch verstärkt wird. Infanterie wird erst dann angreifen, wenn ihr Zielgebiet weitgehend in Trümmern liegt. Nach US-Angaben hat Moskau in den vergangenen Tagen weitere elf Kampfgruppen in Bataillonsstärke zu den bereits 65 im Donbass stehenden hinzugefügt. Es handelt sich demnach um knapp 70.000 Mann, die mit Kampf- und Schützenpanzern, Flugabwehr, Artillerie und Helikoptern ausgerüstet sind. Bilder des russischen Fernsehens zeigen lange Fahrzeugkolonnen, die hinter der Grenze offenbar auf den Angriffsbefehl warten. Sie sind als einheitliche Panzer- und Panzergrenadierverbände strukturiert und deutlich moderner als das schwer erklärbare Sammelsurium von Fahrzeugen, das zunächst in die Mitte der Ukraine vorrückte und dabei schwere Verluste erlitt.
Ist die im Westen vermutete Absicht korrekt, wonach Präsident Wladimir Putin am 9. Mai zum Jahrestag des Sieges über Deutschland im Zweiten Weltkrieg einen weiteren militärischen Triumph seiner Armee verkünden will? Dann kann es nur ein Teilerfolg sein. Ausgerechnet eine vom österreichischen Bundesheer veröffentlichte chinesische Karte zum aktuellen Kriegsverlauf in der Ukraine gibt einen Hinweis darauf, wie eine solche Lösung aussehen könnte: Kämpfe an der Schwarzmeer-Küste rund um die Stadt Cherson sind dort mit der Bezeichnung „Volksrepublik Cherson“verortet, demnach ein dritter Marionetten-Kleinstaat neben Luhansk und Donezk.