Dieser Weg wird kein leichter sein
Per Videobotschaft hat sich der Musiker Xavier Naidoo von radikalen Äußerungen distanziert. Aber ist sein Bekenntnis auch glaubhaft?
MANNHEIM Nicht mit vielen einig zu sein, diente Xavier Naidoo immer als Beleg dafür, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben, und sei er noch so steinig und schwer. Dass der Sänger unterwegs nicht nur Glaubwürdigkeit und Ansehen, sondern auch einen großen Teil seiner Anhängerschaft und Geschäftspartner verloren hat, unterstrich für ihn nur seinen Nimbus als ewig Unverstandener und unbequemer Wahrheitsapostel.
„Dieser Weg wird kein leichter sein“, hatte er vorausschauend schon 2005 erfolgreich gesungen. Fast 20 Jahre später gibt er nun per dreiminütiger Videobotschaft zu, sich auf seinem Weg zur Wahrheit verrannt, falsche Abzweigungen genommen zu haben. Er sei wie in einer Blase gewesen, habe sich vom Bezug zur Realität entfernt. Das habe er leider jetzt erst erkannt, erklärt Naidoo mit betont bekümmerter Miene: „Ich habe Dinge gesagt und getan, die ich heute bereue.“
Xavier Naidoos Pfad zur Erkenntnis soll also ein Irrweg gewesen sein. Das öffentliche Bekenntnis schlägt am Mittwoch hohe Wogen. Zu fest schien der 50-Jährige im Dunstkreis von Querdenkern, Impfgegnern, Corona-Leugnern und Antisemiten verortet. Nur ein paar der falschen Abzweigungen: Mannheim hat Naidoo einmal als das neue Jerusalem bezeichnet, außerdem vor Reichsbürgern gesprochen; er hält Deutschland nicht für einen souveränen Staat und Amerika für die Inkarnation des Bösen. In seinen Texten vermengt er christliche Symbolik mit esoterischem Geschwafel, dass sich jeder in irgendwelchen Wortfetzen wiedererkennt. Seinen Vornamen hört er gerne intoniert wie Saviour, Erlöser, und hat sich wohl auch so gesehen – als einer, dessen Wahrheiten die Menschen erlösen. Wovon auch immer.
Obwohl sich Naidoo mit Deutschland nicht identifizieren kann, nominierte ihn der NDR im Jahr 2016 als Kandidaten für den Eurovision Song Contest, ruderte aber schon nach kurzer Zeit nach heftigen Protesten zurück. Im Privatfernsehen durfte Naidoo aber weitersingen und -senden. Erst als der Musiker in einem Lied rassistisch hetzte, warf ihn RTL als Juror bei „Deutschland sucht den Superstar“raus.
Mit Beginn der Pandemie agitierte der Sänger gegen die CoronaMaßnahmen;
wegen seiner verbalen Angriffe auf Juden urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass er als Antisemit bezeichnet werden dürfe. In einem Video beklagte er gar unter Tränen, dass Kindern in Gefangenschaft Blut für die Welt-Elite abgezapft werde und verbreitete damit Mythen aus der QAnon-Ideologie. Wenn Naidoo nun davon spricht, dass er sich „Theorien, Sichtweisen und teilweise auch Gruppierungen geöffnet“habe, von denen er sich „ohne Wenn und Aber distanziere und lossage“, wirkt das angesichts des über Jahre angesammelten kruden Irrsinns fast beiläufig. Was nicht heißen muss, dass es nicht ernst gemeint sein kann.
Ausgelöst haben soll Naidoos Lossagung der Krieg in der Ukraine, das Leid der Menschen dort, das ihn aufgerüttelt habe. Seine Frau stamme aus der Ukraine. „Und aus diesem wunderschönen Land musste ich jetzt Familie und Freunde rausholen, weil dort Angst und Schrecken herrschen“, erzählt der Musiker im Video. Die Welt sei wie auf den Kopf gestellt, deshalb habe er sich selbst kritisch hinterfragt und festgestellt, viele Fehler gemacht zu haben.
Mit verstörenden Äußerungen habe er Familie, Freunde und Fans „irritiert und provoziert“. Er sei von Verschwörungserzählungen geblendet gewesen. Deshalb distanziere er sich von allen Extremen, insbesondere rechten und verschwörerischen Gruppen. Naidoo: „Ich stehe für Toleranz, Vielfalt und ein friedliches Miteinander. Nationalismus, Rassismus, Homophobie und Antisemitismus sind mit meinen Werten nicht vereinbar.“Beobachter sehen Naidoos Bekenntnis skeptisch. Der Politikwissenschaftler Josef Holnburger schrieb bei Twitter: „Wenn er sich jetzt tatsächlich distanzieren will, braucht es mehr als ein vages Distanzieren von unbenannten Gruppen und Sichtweisen.“Es brauche vielleicht juristische Konfrontation und Aufarbeitung, meinte Holnburger, der auch in sozialen Medien unter anderem Radikalisierungstendenzen beobachtet: „Der von ihm verbreitete Antisemitismus ist nicht mit einem Videostatement weg.“
Genauso wenig wie seine zweifelhaften Lieder. Auch von diesen müsste er sich eindeutiger distanzieren, sie erklären oder ganz aus seinem Oeuvre streichen. Laut Holnburger war Naidoo zudem auch beim Nachrichtendienst Telegram aktiv, teilte ein antisemitisches Pamphlet und nahm mit einem Holocaust-Leugner an Konferenzen teil. Von Naidoos Anhängern, die ihm auf seinem Irrweg bis jetzt folgten, wollen denn auch viele nicht glauben, dass ihr Guru vom rechten Weg abgekommen ist. Möglicherweise sei er zu dem Video gezwungen worden, wird geraunt.
Andere, wie der rechtsextreme Aktivist Attila Hildmann, wenden sich öffentlich von Xavier Naidoo ab. Der Sänger scheint also an einem Scheideweg zwischen Wahn und Wirklichkeit zu stehen. Ist er in der Lage, seine Entschuldigung glaubhaft zu unterfüttern, und folgt er nicht wieder seinem bewährten Muster aus Provokation und Distanzierung, vermag das die Verschwörungsszene ernsthaft zu erschüttern. Und vielleicht sogar Einzelne ermuntern, ihre Weltsicht ebenfalls infrage zu stellen. Aber eins ist klar: Dieser Weg wird kein leichter sein.
„Ich habe Dinge gesagt und getan, die ich heute bereue“Xavier Naidoo Sänger