Lindner warnt vor globaler Schuldenkrise
Der Ukraine-Krieg überschattet die erste USA-Reise des Bundesfinanzministers: Der russische Angriffskrieg habe die Welt für immer grundlegend verändert, sagt Christian Lindner bei der Tagung des IWF und der G20-Staaten.
WASHINGTON Die internationale Lage ist ernst – so ernst, dass Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sein Statement am Mittwochmorgen in Washington mit drastischen Sätzen beginnt. Es gebe Jahre, in denen es nicht zu großen Veränderungen komme, „und es gibt Wochen, die Dekaden prägen“, sagt Lindner im „Kennedy Ballroom“des Fairmont Hotels in der US-Hauptstadt. In einer solchen Situation befinde sich die Welt jetzt: Der russische Angriffskrieg in der Ukraine verändere „alles, was wir kannten“, die „geo- und makropolitischen Umfelder“– auch die Deutschlands – seien künftig grundlegend andere. Globale Schuldenkrise, Stagflation, die gefährliche Kombination aus Stagnation und Inflation, Hyperinflation und Rezession – all das sind Szenarien, die für Lindner nicht mehr undenkbar sind.
Es ist seine erste USA-Reise als Finanzminister, seine erste Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) – und es ist klar, dass sich der Neuling in Washington ein anderes, ein gesünderes Umfeld gewünscht hätte. Unter Hochdruck versuchen die IWF-Gremien und die Gruppe der 20 größten Volkswirtschaften der Weit (G20) an diesem Mittwoch, ein gemeinsames Verfahren zu finden, wie sie mit dem Aggressor Russland umgehen, der aus den Gremien offiziell nicht ausgeschlossen werden konnte. Russische Vertreter nehmen teil an den Sitzungen, teils digital, teils auch persönlich. Der russische Finanzminister Anton Germanowitsch Siluanow soll wohl digital zugeschaltet werden, russische Beamte sollen jedoch auf hintere Plätzen verwiesen werden. Es dürfe keinesfalls passieren, dass Russland andere Länder von vorderen Plätzen verdränge, so ist aus der Delegation zu hören.
Auch Lindner selbst lässt keinen Zweifel daran, dass die Staatengemeinschaft Russland ächten muss. Von der IWF-Tagung müsse die klare Botschaft ausgehen, dass „allein Russland die Verantwortung“dafür trage, was an Elend und wirtschaftlichen Krisensituationen auf die Welt zukommt – bis hin zu Hungersnöten, Schuldenkrise der Ärmsten und weltweiter Stagflation. Selbst wenn Kreml-Herrscher Wladimir Putin das Unwahrscheinliche täte und den Krieg bald beendete, sieht Lindner das Verhältnis dauerhaft beschädigt: Mit einem „Putin-Russland“werde eine Rückkehr zur Normalität „auf sehr lange Zeit“nicht mehr möglich sein, sagt er.
Der Ukraine-Krieg löst in Washington Befürchtungen in alle Richtungen aus: Der IWF sieht Gefahren für die internationale Finanzstabilität, den Welthandel und die Weltkonjunktur. Die Weltbank warnt vor Hungersnöten in ärmeren Ländern. Die Europäer, insbesondere die Deutschen, befürchten Energieengpässe. Die Mehrheit der G20-Staaten, der Gruppe der 20 größten Volkswirtschaften der Wekt, fordere China als größten Gläubiger auf, den ärmsten Ländern der Welt Zinsen zu erlassen, um eine Schuldenkrise abzuwenden, sagt Lindner. Deutschland werde mehrere IWFFonds zusätzlich unterstützen, kündigt er an. Der Nachhaltigkeitsfonds, der für einen besseren Gesundheitsund Klimaschutz sorgen soll, werde erheblich befüllt. Deutschland werde Darlehen von 6,3 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Außerdem werde es weitere 100 Millionen Euro für den IWF-Topf für die ärmsten Entwicklungsländer geben, so Lindner.
Bundesbankpräsident Joachim Nagel, der an diesem Mittwochmorgen neben Lindner Platz genommen hat, sieht im Falle eines Gas-Lieferstopps vor allem für Deutschland enorme wirtschaftliche Auswirkungen. Dann seinen „zweistellige Inflationsraten“denkbar, die deutsche Wirtschaft könne sich dann „sehr nahe in Richtung einer Rezession“bewegen.
Anders als von vielen erwartet spielt Kritik an Deutschland wegen seiner zögerlichen Haltung bei Waffenlieferungen an die Ukraine oder dem Verzicht auf russische Energie in Washington offenbar kaum eine
Rolle. Es gebe im Gegenteil „großen Respekt“, dass Deutschland jetzt bereit sei, sich von der verfehlten Appeasement-Politik gegenüber Russland und der Vernachlässigung der Bundeswehr zu verabschieden, sagt Lindner.
Mit der jüngsten Ankündigung des Kanzlers, der Ukraine weitere Waffen zu liefern, ist der FDP-Vorsitzende nur allzu einverstanden. Er würde aber auch noch weiter gehen. Drei Kriterien müssten dafür erfüllt sein, sagt Lindner: Waffenlieferungen müssten mit den engsten Verbündeten abgestimmt sein, sie dürften die eigene Verteidigungsfähigkeit nicht gefährden und Deutschland dürfe dadurch nicht Kriegspartei werden. „Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, dann ist und muss Deutschland bereit sein, jede Unterstützung für die Ukraine zu leisten, die von dort angefordert wird“, sagt Lindner – und eilt zur nächsten wichtigen Sitzung.