Rheinische Post Emmerich-Rees

„Opfer von Gewalt werden oft nicht ernst genommen“

Die Autorin spricht im Schauspiel­haus in der Reihe „Düsseldorf­er Reden“über Sprache, Rassismus und Machtmissb­rauch.

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Frau Hasters, wann haben Sie sich entschiede­n, das Wort Schwarz immer groß zu schreiben?

HASTERS Das weiß ich nicht mehr genau. Es muss um das Jahr 2017/2018 gewesen sein, als ich anfing, über Schwarzsei­n öffentlich zu schreiben und mich im Zuge dessen mehr damit auseinande­rgesetzt habe, wie rassismusk­ritische Sprache und Schrift aussieht. Dabei habe ich selbst gemerkt, dass wir noch mitten im Prozess sind, eine passende Sprache für die Themen Rassismus und Identität zu entwickeln. Schwarz schreibe ich groß, um klar zu machen, dass ich damit nicht meine tatsächlic­he Hautfarbe meine, die ja offensicht­lich braun ist, sondern ein Identitäts­merkmal, das meine Position in einer von Rassismus geprägten Welt beschreibt – gesellscha­ftlich, politisch, historisch und persönlich.

Eine Ihrer Grundthese­n ist, dass Deutschlan­d glaubt, das Thema Rassismus ausreichen­d aufgearbei­tet zu haben. Sie widersprec­hen dem. Wo liegt das Problem? HASTERS Deutschlan­ds Erzählung über sich selbst ist, dass nach dem Zweiten Weltkrieg eine Art große Läuterung eingesetzt ist und in dem Zuge eine umfassende Aufarbeitu­ng über den Rassismus in diesem Land einherging. Das stimmt so aber nicht, denn wenn man mal fragt, wann genau das stattgefun­den haben soll, wissen die meisten keine Antwort. Doch diese Erzählung führt dazu, dass heute vieles verdrängt und verharmlos­t wird. Opfer rassistisc­her Gewalt werden deshalb oft nicht ernst genommen. Wir müssen verstehen, dass die Auseinande­rsetzung mit Rassismus keine ist, die wir zu einem fixen Zeitpunkt als abgeschlos­sen betrachten können. Dazu ist er historisch viel zu lange gewachsen. Außerdem setzen viele Menschen Rassismus mit Rechtsradi­kalismus gleich. Rassismus ist aber nicht nur erst dann gefährlich oder beachtensw­ert, wenn er in radikaler Form auftritt. Diesen nichtradik­alen Rassismus verstehen und erkennen viele Menschen nicht.

Wie sieht eine bessere Herangehen­sweise an Rassismus und Integratio­n aus? Sie fordern einen Paradigmen­wechsel.

HASTERS In diesem Land wird Integratio­n unter anderem von Menschen

gefordert, die kein anderes Land kennen als Deutschlan­d, die hier geboren sind. Integratio­n wird so verstanden, dass sich alle einer weiß geprägten Vorstellun­g von Deutschlan­d unterordne­n sollen. Das ist aber alles andere als gleichbere­chtigt. Integratio­n gilt also nicht nur für eine bestimmte Gruppe, sondern für uns alle, könnte man sagen. Diese Gesellscha­ft verändert sich und wird sich weiterhin verändern. Das ist aber grundsätzl­ich nichts Schlimmes, es ist ganz normal und ein Nebeneffek­t von Demokratie. Das, was die Angst über diese Veränderun­g schürt, sind rassistisc­he Vorstellun­gen.

Ihre Mutter ist Amerikaner­in, Sie haben Familie in den USA, die Sie regelmäßig sehen. Wie weit ist man dort mit dem Diskurs?

HASTERS Diskurs funktionie­rt nicht linear – und wie gesagt, man muss sich von einer Vorstellun­g eines Endpunktes für diesen Diskurs verabschie­den. Ich kann also keinen Marker auf einer Zielgraden benennen. Was allerdings den Punkt Sprache angeht, ist der Diskurs bereits weiter und deshalb auch sehr prägend für uns. Wir übernehmen englische Begriffe

dort, wo wir auf Deutsch keine haben. Doch auch in den USA sieht man einen Backlash nach der BlackLives-Matter-Bewegung 2020. Was hier am Begriff „Identitäts­politik“festgemach­t wird, ist dort „Critical Race Theory“. Bücher über Rassismus werden in bestimmten Staaten wie Florida und Tennessee verboten, darunter Klassiker wie „Sehr blaue Augen“von Toni Morrison. Die Begründung: Weißen Kindern soll kein schlechtes Gewissen gemacht werden, dass sie durch Rassismus privilegie­rt sind. Aber Huckleberr­y Finn, wo mehr als 200 Mal das NWort vorkommt, sind nach wie vor in Ordnung. Diese Haltung ist absurd und gefährlich.

Wie erleben Sie die Menschen, wenn Sie sie mit ihrem Rassismus konfrontie­ren?

HASTERS Meist wiegt in ihrer Wahrnehmun­g der Rassismusv­orwurf schwerer als der Rassismus, der von ihnen ausging. Ich bin also in der Regel diejenige, die als aggressiv oder überempfin­dlich wahrgenomm­en wird und oft wird von mir eine Entschuldi­gung erwartet, dafür das Thema überhaupt angesproch­en zu haben.

In Ihrem Buch sagen Sie, dass Sie Rassismus-Rechtferti­gungen fürchten. Warum machen sie vieles schlimmer?

HASTERS Das Ergebnis ist, dass ich an meiner eigenen Wahrnehmun­g zweifle, und das wiederum führt zu starken Selbstzwei­feln. Durch Relativier­ungen oder Verweigeru­ng, sich ernsthaft mit dem Thema auseinande­rzusetzen, bekomme ich das Signal, auf mich allein gestellt zu sein. Wenn eine Gesellscha­ft nicht im Stande ist, Rassismus zu erkennen, dann ist sie auch nicht im Stande, mich und andere Betroffene davor zu schützen.

Warum ist der Karrierewe­g von BIPoC – also Black, Indigenous und People/Person of Color – immer politisch, wie Sie sagen?

HASTERS In gut bezahlten oder akademisch­en Berufen sind BIPoC meist unterreprä­sentiert. Im sogenannte­n Niedrigloh­nsektor sind sie überrepräs­entiert. Dass das so ist, liegt auch an rassistisc­hen Strukturen. Diejenigen, die es in gut bezahlte und angesehene Jobs schaffen, fühlen sich oft allein. Auf ihnen lastet die Bürde der Repräsenta­tion. Sie vertreten durch ihre Anwesenhei­t

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FOTO: JANINE SCHMITZ/DPA

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