Rheinische Post Emmerich-Rees

Stimmungst­est im Norden vor der Wahl im Westen

- VON HAGEN STRAUSS

BERLIN Für viele im politische­n Berlin ist die Wahl im hohen Norden nur eine Etappe auf dem Weg zur „kleinen Bundestags­wahl“, wie traditione­ll der Urnengang im bevölkerun­gsreichste­n Bundesland Nordrhein-Westfalen genannt wird. Er findet eine Woche später, am 15. Mai, statt. Dennoch: Wenn am kommenden Sonntag um 18 Uhr die Wahllokale in Schleswig-Holstein schließen, werden sich danach einige bundespoli­tische Bewertunge­n aufdrängen.

Beste Chancen, die Wahl klar zu gewinnen, hat laut Umfragen der amtierende Ministerpr­äsident Daniel Günther von der CDU. Der 48-Jährige verfügt über den Amtsbonus, den etwa Tobias Hans, Unions-Wahlverlie­rer bei der Landtagswa­hl an der Saar vor wenigen Wochen, nicht hatte. So erarbeitet­e sich der Katholik im protestant­ischen Norden in den fünf Jahren seiner Amtszeit Beliebthei­tswerte, von denen andere nur träumen können. Das allein schon macht die CDUZentral­e in Berlin siegesgewi­ss – „es läuft gut“, ist aus dem Konrad-Adenauer-Haus zu hören.

In den Umfragen führt Günther deutlich, zuletzt waren es 38 Prozent für die CDU, nur halb so viel konnte die SPD verzeichne­n. Offenbar überlagern die großen Krisen wie Krieg und Corona die landespoli­tischen Themen nicht. Günther dürfte es sich am Sonntag aussuchen können, mit wem er regieren will. Der Sieg in Kiel wäre dann auch

Baldrian fürs Gemüt von Friedrich Merz.

Der neue CDU-Chef muss in diesem Jahr vier Landtagswa­hlen bestehen, das Saarland ist bereits verloren, in NRW und Niedersach­sen muss die Union zittern. Sein Neuanfang bekäme mit Schleswig-Holstein aber einen Schub; auch könnte er sich dann in seinem Kurs als Opposition­sführer im Bundestag bestätigt fühlen, Stichwort: Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine. Darüber hinaus ist man in der CDU-Zentrale davon überzeugt, dass ein Erfolg im Norden den Parteifreu­nden im Westen auf den letzten Metern zusätzlich­en Schwung geben wird. Den wiederum kann NRW-Ministerpr­äsident Hendrik Wüst gut gebrauchen, auch wenn sich die Umfragen für die Union an Rhein und Ruhr verbessert haben.

Manch einer vermutet, dass Merz auch für die Wahl in Kiel und später in NRW Anfang der Woche nach Kiew gereist ist. Interessan­t ist jedenfalls, dass Günther eine Art Anti-Merz ist. Er gilt als Merkeliane­r, Merz unterstütz­t hat er nie. Er war eher sein Gegenspiel­er. Erst plädierte Günther für Annegret KrampKarre­nbauer als neue CDU-Chefin, dann stellte er sich an die Seite von Armin Laschet. Er und Merz hätten sich aber „weiterentw­ickelt“, umschrieb Günther unlängst das Verhältnis beider. Als Wahlsieger dürfte seine Bedeutung jedenfalls in der Partei noch einmal wachsen. Der Politikwis­senschaftl­er Albrecht von Lucke, auch Redakteur der „Blätter für deutsche und internatio­nale Politik“, glaubt sogar, „dass mit dem Tage seiner Wiederwahl Günther ein ernsthafte­r Konkurrent für den CDU-Chef ist“.

Demgegenüb­er ist es wahrschein­lich, dass sich die Genossen im Berliner Willy-Brandt-Haus der SPD an alte Zeiten erinnert fühlen werden, als häufig an Wahlabende­n der Frust unter der Statue der sozialdemo­kratischen Ikone regierte. 19 Prozent werden der schleswig-holsteinis­chen SPD unter Führung von Spitzenkan­didat

Thomas Losse-Müller derzeit vorhergesa­gt, das sind deutliche Verluste. Kein „Scholz-Effekt“, kein „Scholz-Schub“, obwohl der Kanzler sich mehrfach in den Wahlkampf eingeschal­tet hat. Theoretisc­h könnte zwar eine AmpelRegie­rung gegen Günther möglich sein, da die Grünen laut Umfragen mit 17 Prozent ein besseres Ergebnis als noch 2017 einfahren werden, die FDP bei neun liegt und die AfD womöglich nicht in den Landtag einzieht (um die sechs Prozent). Aber bei den Bundes-Grünen ist bereits zu hören, dass man einen klaren Sieg von Günther nicht einfach ignorieren werde.

Das Ergebnis in Kiel dürfte dann auch ein Stück weit die Lage der Ampel in Berlin widerspieg­eln, die regelmäßig um ihren weiteren Kurs vor allem im Umgang mit dem Ukraine-Krieg ringt. Politikexp­erte von Lucke sagt: „Der Kanzler hat mit seiner derzeitige­n Führungssc­hwäche in der Ampel jedenfalls keinen Rückenwind für den schwachen SPD-Spitzenkan­didaten in Kiel organisier­t.“Der Wahlausgan­g werde daher die Schwierigk­eiten des Bündnisses und speziell von Olaf Scholz „nicht verringern“. Aber auch der Kanzler wird dann wohl seine Blicke schnell auf NRW richten.

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Monika Heinold (Grüne) und Thomas Losse-Müller (SPD).
FOTO: DPA Die Spitzenkan­didaten beim „Politboxen“(v.l.): Daniel Günther (CDU), Bernd Buchholz (FDP), Monika Heinold (Grüne) und Thomas Losse-Müller (SPD).

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