Die Ruhe im Milieu war trügerisch
Vier Verletzte, 15 Festnahmen, zahlreiche Einschusslöcher. So wie am Mittwochabend in Duisburg sind Konflikte bei Clans und Rockern lange nicht eskaliert. Eindrücke und Erkenntnisse vom Tag danach.
DUISBURG Wer am Donnerstag den Hamborner Altmarkt besuchen möchte, sieht sich mit einem Labyrinth konfrontiert. Überall sind Polizisten zu sehen, mehrere Bereiche rund um den Platz sind großflächig mit rot-weißem Absperrband umgeben. Die Ereignisse vom Vorabend sind hier nach wie vor gegenwärtig: die wilde Auseinandersetzung, die sich laut Polizei rund 80 bis 100 Menschen lieferten; die Schüsse, die Passanten in Angst versetzten und vier Menschen verletzten.
Am späten Vormittag hatte Duisburgs Polizeipräsident Alexander Dierselhuis eine erste Erklärung zum Geschehen vom Mittwochabend und den darauffolgenden Ermittlungen abgegeben. Er bestätigte erste Berichte, dass es sich bei der Schießerei um eine Auseinandersetzung im Rocker- und Clanmilieu gehandelt habe. Die genauen Hintergründe seien aber noch unklar. 15 vorläufig festgenommene Personen würden dazu noch befragt. Bislang habe die Polizei bereits 19 Hülsen (9 mm) sichergestellt. „Dass mindestens 19 Schüsse auf offener Straße abgegeben werden, ist nicht alltäglich und daher umso erschreckender“, sagte Dierselhuis. Der frisch ernannte Duisburger Polizeipräsident hatte in der Nacht extra seine Dienstreise zu einer Tagung in Dresden abgebrochen.
Dort, wo die Polizisten die Patronenhülsen und andere Gegenstände gefunden haben, sind am Donnerstag weiße Kreidekreise auf dem Boden eingezeichnet. Daneben steht die Nummer des jeweiligen Beweismittels. Solche Kreise finden sich an vielen verschiedenen Stellen rund um den Altmarkt. Die meisten vor dem Medizinischen Zentrum Nord an einer Ecke des Platzes. Während draußen Polizisten die Absperrung bewachen, sitzen auf der anderen Seite bereits wieder die ersten Patienten im Warteraum.
Wie sehr die Auseinandersetzung am Mittwochabend ab etwa 20.40 Uhr eskaliert ist, wird in den sozialen Netzwerken bereits kurze Zeit später fleißig geteilt. Auf mehreren Videos ist zu sehen, wie Passanten weglaufen, während im Hintergrund ganze Schusssalven zu hören sind, wie mehrere Dutzend Menschen eine Dönerbude attackieren, die Scheibe einwerfen und dann schnell weglaufen. Ein weiteres Video soll zudem einen der Verletzten zeigen. Hinter ihm sind Blutspuren zu sehen.
Die zerstörte Scheibe der Dönerbude ist am nächsten Tag durch das Provisorium einer Glasreparaturfirma abgedeckt. Auf dem Boden davor liegen noch die zusammengekehrten Glasreste. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sind in der Scheibe eines Möbelgeschäfts noch vier große Einschusslöcher zu sehen, die gerade von drei Polizisten begutachtet werden. Rund um die Absperrungen ist ein kleiner Stau entstanden. Eine Frau erklärt ihrer verwundert dreinblickenden Tochter die Szenerie. „Da haben sich zwei gestritten gestern“, sagt sie im Vorbeigehen. Ein Mann mit halb gefüllter Bierflasche in der Hand spricht einen Polizisten an, der gerade eine der Absperrungen abbaut: „Nicht, dass nochmal sowas passiert. Das war schon heftig gestern.“
Was genau am Vorabend zu einer derartigen Eskalation geführt hat, ist laut offizieller Seite am Donnerstag noch unklar. Noch in der Nacht findet ein SEK-Einsatz an einer Wohnung in Duisburg-Homberg statt, bei der jedoch niemand angetroffen wird. Auch Berichte, dass die Schießerei mit einem gezielten Anschlag auf eine Person in einer Hamborner Bäckerei begonnen habe, will Polizeipräsident Dierselhuis zunächst nicht bestätigen. „Eine verletzte Person hat sich in einer Bäckerei befunden. Ob sie bewusst angeschossen wurde, ist unklar.“
Die Anwohner in Hamborn sind Kummer gewohnt. Bereits vor rund vier Jahren, im März 2018, war es auf dem Altmarkt zu einer Massenschlägerei gekommen. Auch damals hatten sich dort zwei, teils bewaffnete, Gruppen gegenübergestanden. Die Polizei konnte Schlimmeres verhindern. Allgemein war es im Rockermilieu seit dem Kuttenverbot vor fünf Jahren auch in Duisburg ruhiger geworden. Wie trügerisch Ruhe manchmal sein kann, zeigte die Schießerei am Mittwochabend.