Ein Bruch mit Gewissheiten
Die amerikanische Notenbank überrascht mit einem ungewöhnlich harten Kurs.
Die mächtigste Institution der Börsenwelt ist ohne Zweifel die amerikanische Notenbank, kurz Fed genannt. In ihrer über 100-jährigen Geschichte hat sie einige Traditionen geprägt. Die werden in diesem Jahr einer harten Prüfung unterzogen.
Für Anleger bedeutet das nichts Gutes, denn wo Gewissheiten schwinden, fallen die Kurse. Aktuell muss die Fed handeln. Verbraucherpreise, die um acht Prozent pro Jahr und mehr steigen, brauchen dringend eine Bremse durch höhere Zinsen. Doch genau hier wird es kritisch: Meist steigern Notenbanken den Preis fürs Geld nur langsam. Denn erstens wollen sie den Eindruck von Panik vermeiden und zweitens allen genügend Zeit geben, sich auf die veränderten Bedingungen
einzustellen. Gerade hat die Fed aber ihren Zins um einen halben Prozentpunkt angehoben – doppelt so stark wie üblich.
Das bricht mit zwei vermeintlichen Gewissheiten: Erstens versteht sich die Notenbank unpolitisch, sodass sie markante Entscheidungen ungern in Wahlkampfzeiten trifft. Und zweitens ist sie der Stabilität des Finanzsystems verpflichtet, wie sich in der Lehman-Krise 2008 gezeigt hat. Nun stehen in den USA im November Kongresswahlen an; die dünne Mehrheit der Demokraten ist in Gefahr. Gleichzeitig sind die wirtschaftlichen Risiken durch Pandemie, Krieg und Energiepreisexplosion ungewöhnlich hoch und gefährden die Finanzstabilität. In einem solchen Umfeld würde die Fed traditionell diskret vorgehen und laute Paukenschläge vermeiden. Diesmal nimmt sie solche Rücksicht nicht, was an der Börse gegensätzlich interpretiert wird: Die eine Seite fürchtet, die Fed sei in Panik und habe den Kampf gegen die Inflation schon verloren; die andere Seite sieht die Fed in voller Kontrolle und unbesorgt im Hinblick auf die wirtschaftlichen Risiken. Das Tauziehen zwischen beiden Lagern lässt die Kurse stark schwanken. Für Anleger leitet sich nur eine Gewissheit ab: Der US-Dollar bleibt vorerst eine der stärksten Währungen weltweit.
Unser Autor leitet die Vermögensabteilung von HSBC Deutschland in Düsseldorf. Er wechselt sich hier mit den beiden Wirtschaftsprofessoren Ulrike Neyer und Justus Haucap ab.