Selenskyj warnt vor russischem Durchstoß
Der Präsident der Ukraine blickt mit Sorge auf den Donbass. Schwer umkämpft ist noch immer die Stadt Sjewjerodonezk. Bundeskanzler Scholz besucht die Nato-Ostflanke in Litauen.
VILNIUS/KIEW Erstmals seit Beginn des Ukraine-Kriegs besucht Bundeskanzler Olaf Scholz an diesem Dienstag mit Litauen ein NatoLand, das an Russland grenzt und sich durch die Atommacht besonders stark bedroht fühlt. Der SPDPolitiker soll in der Hauptstadt Vilnius zusammen mit dem litauischen Präsidenten Gitanas Nauseda die Regierungschefs aller drei baltischen Staaten treffen, zu denen neben Litauen auch Lettland und Estland zählen. Anschließend besucht er auf dem Truppenübungsplatz bei Prabade Bundeswehrsoldaten, die in Litauen zur Sicherung der NatoOstflanke stationiert sind.
Beim Nato-Gipfel in Madrid wird es Ende des Monats darum gehen, ob die Truppen an der Ostflanke des Bündnisses noch einmal aufgestockt werden. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte im April bei ihrem Besuch in Litauen schon einen „substanziellen Beitrag“Deutschlands dazu zugesagt. In Litauen sind derzeit 1000 deutsche Soldaten stationiert. Das Land gehört neben Lettland, Estland, Polen und Norwegen zu den fünf NatoStaaten, die eine Landgrenze mit Russland haben.
In die Ukraine selbst war am Montag Kulturstaatsministerin Claudia Roth gereist. Sie will der ukrainischen Stadt Odessa bei der Bewerbung zum Unesco-Welterbe helfen. Das sicherte die Grünen-Politikerin dem ukrainischen Kulturminister Olexandr Tkatschenko und dem Bürgermeister der südwestukrainischen Stadt, Hennadij Truchanow, zu. „Deutschland unterstützt diese Bewerbung“, sagte Roth im Namen der Bundesregierung.
In der strategisch wichtigen Stadt Sjewjerodonezk lieferten sich unterdessen ukrainische und russische Streitkräfte einen erbitterten Straßenkampf. Die Invasoren seien zahlenmäßig zwar im Vorteil, sagte der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, am Montag. Dennoch habe sein Land jede Chance, in der ostukrainischen Stadt zurückzuschlagen. Sollte Russland im Donbass einen Durchstoß erzielen, werde es schwer für die Ukraine. Vom Donbass aus könnten dann strategische industrielle Ziele in der Zentralukraine angriffen werden.
Selenskyj hatte am Sonntag die Städte Lyssytschansk und Soledar nur wenige Kilometer südlich der umkämpften Stadt Sjewjerodonezk besucht. Zwei aufgezeichnete Videos, die am Sonntag ausgestrahlt wurden, zeigen Selenskyj bei Gesprächen mit Soldaten in bunkerähnlichen Gebäuden und bei der Verleihung von Auszeichnungen. „Ihr alle habt den Sieg verdient – das ist das Wichtigste. Aber nicht um jeden Preis“, sagt Selenskyj in einem der Videos.
Die Lage für die Ukraine hat sich nach Angaben des Gouverneurs von Luhansk etwas verschlechtert. Serhij Gaidai sagte dem staatlichen Fernsehen: „Unseren Verteidigern ist es gelungen, eine gewisse Zeit einen Gegenangriff zu führen, sie haben fast die Hälfte der Stadt befreit. Aber jetzt hat sich die Situation für uns wieder ein wenig verschlechtert.“Ukrainische Soldaten hielten jedoch Stellungen im Industriegebiet der Stadt, die in der Region Luhansk liegt.
Aber auch anderswo gehen die russischen Angriffe weiter. In der südukrainischen Stadt Mykolajiw seien Explosionen zu hören gewesen, teilte Bürgermeister Olexander Senkewytsch im Nachrichtendienst Telegram mit. Die nahe an der Grenze zur Ukraine gelegene Ortschaft Tjotkino in der Region Kursk im Westen Russlands ist nach Behördenangaben erneut beschossen worden. „Tote und Verletzte hat es nicht gegeben“, teilte Gouverneur Roman Starowoit auf seinem Account in einem sozialen Netzwerk mit. Demnach wurde vor allem eine Brücke im Ort beschossen. Getroffen habe es aber auch ein Wohnhaus und die lokale Zuckerfabrik.
Den Bildern nach zu urteilen, wurde eine Eisenbahnbrücke durch die Einschläge zerstört. Das russische Militär nutzt die Bahn in den Grenzregionen für den Nachschub.
Russland hat die ersten Leichen ukrainischer Soldaten aus dem lange umkämpften Azovstal-Stahlwerk in Mariupol an die Ukraine übergeben. Mehrere Dutzend Todesopfer seien nach Kiew überstellt worden, wo DNA-Proben entnommen werden sollen, sagte Maxym Schorin, ehemaliger Kommandeur des Asow-Regiments am Montag. Auch mehrere Angehörige von Soldaten aus dem Werk bestätigten der Nachrichtenagentur AP, dass sie über die Übergabe der Leichen informiert worden seien. (mit dpa/rtr)