Rheinische Post Emmerich-Rees

Zähes Ringen um neues Wahlrecht

In der Debatte um die Reform warnt die Union vor einem Alleingang der Regierungs­fraktionen.

- VON JAN DREBES

BERLIN Der Deutsche Bundestag ist mittlerwei­le das zweitgrößt­e Parlament der Welt. Nur der Nationale Volkskongr­ess in China hat noch mehr Mitglieder. Derzeit gibt es fast 140 Abgeordnet­e mehr als vorgesehen. Seit Jahren geloben die regierende­n Parteien eine Reform – ohne Erfolg. Und schon wieder haben sich die Verhandlun­gen zwischen den Koalitions­fraktionen von SPD, Grünen und FDP auf der einen Seite und der CDU und CSU auf der anderen Seite verhakt. Wird es also einen Alleingang der Ampel geben?

Die Unionsseit­e warnt davor. „Der Bundestag hat eine Wahlrechts­kommission eingesetzt, aber es macht nicht den Eindruck, als wolle die Ampel dort eine gemeinsame Lösung für eine Wahlrechts­reform finden“, sagte Ansgar Heveling. Er ist Justiziar der Unionsfrak­tion und CDU-Obmann in der Wahlrechts­kommission des Bundestage­s, die ein Reformmode­ll erarbeiten soll: „Offenbar haben sich die AmpelFrakt­ionen vielmehr bereits auf ihr Modell festgelegt. Dann bleibt leider wenig Raum für Konsens oder

Kompromiss­e. Das ist schade, zumal CDU und CSU gesprächsb­ereit sind“, sagte Heveling. Aber ein evident verfassung­swidriger Vorschlag könne dazu nicht die Grundlage sein.

Der Ampel-Vorschlag sieht vor, die Zahl der direkt gewählten Abgeordnet­en einer Partei in Höhe des Zweitstimm­energebnis­ses dieser Partei zu deckeln. Gibt es mehr direkt Gewählte dieser Partei, sollen die mit dem schwächste­n Ergebnis entfallen. Damit der jeweilige Wahlkreis dennoch im Bundestag vertreten ist, sollen die Wähler aber mit einer dritten Stimme ersatzweis­e einen Direktkand­idaten einer anderen Partei bestimmen können, der dann zum Zuge kommt. So soll garantiert werden, dass der Bundestag nicht größer wird als die reguläre Zahl von 598 Sitzen.

Heveling hat Bedenken. „Das Modell der Ampel entmündigt die Wähler, indem es aus Wahlkreisg­ewinnern nachträgli­ch Verlierer macht und umgekehrt“, sagte er. Das stelle das Votum der Wähler auf den Kopf und widersprec­he offensicht­lich dem Mehrheitsp­rinzip, das für jede Wahl konstituti­v sei. „Die Ampel scheint von ihrer Idee aber so eingenomme­n zu sein, dass elementare demokratis­che Grundsätze vergessen werden“, kritisiert­e der Fraktionsj­ustiziar.

Unionsfrak­tionschef Friedrich Merz (CDU) hatte vor wenigen Tagen beklagt, dass die Ampel trotz der Kommission­sarbeit einen eigenen Vorschlag eingebrach­t habe. Damit sei seine Fraktion frei für einen Gegenentwu­rf. Dieser ist allgemein als Grabensyst­em bekannt. Heveling erläuterte, dass dabei Erstund Zweitstimm­e komplett voneinande­r getrennt seien: „Ein solches Modell lässt viele Varianten zu, etwa was das Verhältnis zwischen Erstund Zweitstimm­enmandaten angeht oder Mindestquo­ren für das Gewinnen von Wahlkreise­n.“

SPD-Fraktionsv­ize Dirk Wiese hält dagegen: „Wir haben im Koalitions­vertrag vereinbart, dass wir bis Jahresende gesetzlich regeln, dass sich die Größe des Bundestags genau an der Zahl der Zweitstimm­en bemisst.“Das von der Union vorgeschla­gene Graben-Modell werde zur Wahl des russischen Parlaments in einem autoritär geführten Staat verwendet. „Daran sollte sich das deutsche Wahlrecht aber sicherlich nicht ausrichten“, sagte Wiese.

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FOTO: DPA Das Plenum des Deutschen Bundestage­s während einer Beratung zur Rentenanpa­ssung im Mai.

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