Zähes Ringen um neues Wahlrecht
In der Debatte um die Reform warnt die Union vor einem Alleingang der Regierungsfraktionen.
BERLIN Der Deutsche Bundestag ist mittlerweile das zweitgrößte Parlament der Welt. Nur der Nationale Volkskongress in China hat noch mehr Mitglieder. Derzeit gibt es fast 140 Abgeordnete mehr als vorgesehen. Seit Jahren geloben die regierenden Parteien eine Reform – ohne Erfolg. Und schon wieder haben sich die Verhandlungen zwischen den Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und FDP auf der einen Seite und der CDU und CSU auf der anderen Seite verhakt. Wird es also einen Alleingang der Ampel geben?
Die Unionsseite warnt davor. „Der Bundestag hat eine Wahlrechtskommission eingesetzt, aber es macht nicht den Eindruck, als wolle die Ampel dort eine gemeinsame Lösung für eine Wahlrechtsreform finden“, sagte Ansgar Heveling. Er ist Justiziar der Unionsfraktion und CDU-Obmann in der Wahlrechtskommission des Bundestages, die ein Reformmodell erarbeiten soll: „Offenbar haben sich die AmpelFraktionen vielmehr bereits auf ihr Modell festgelegt. Dann bleibt leider wenig Raum für Konsens oder
Kompromisse. Das ist schade, zumal CDU und CSU gesprächsbereit sind“, sagte Heveling. Aber ein evident verfassungswidriger Vorschlag könne dazu nicht die Grundlage sein.
Der Ampel-Vorschlag sieht vor, die Zahl der direkt gewählten Abgeordneten einer Partei in Höhe des Zweitstimmenergebnisses dieser Partei zu deckeln. Gibt es mehr direkt Gewählte dieser Partei, sollen die mit dem schwächsten Ergebnis entfallen. Damit der jeweilige Wahlkreis dennoch im Bundestag vertreten ist, sollen die Wähler aber mit einer dritten Stimme ersatzweise einen Direktkandidaten einer anderen Partei bestimmen können, der dann zum Zuge kommt. So soll garantiert werden, dass der Bundestag nicht größer wird als die reguläre Zahl von 598 Sitzen.
Heveling hat Bedenken. „Das Modell der Ampel entmündigt die Wähler, indem es aus Wahlkreisgewinnern nachträglich Verlierer macht und umgekehrt“, sagte er. Das stelle das Votum der Wähler auf den Kopf und widerspreche offensichtlich dem Mehrheitsprinzip, das für jede Wahl konstitutiv sei. „Die Ampel scheint von ihrer Idee aber so eingenommen zu sein, dass elementare demokratische Grundsätze vergessen werden“, kritisierte der Fraktionsjustiziar.
Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) hatte vor wenigen Tagen beklagt, dass die Ampel trotz der Kommissionsarbeit einen eigenen Vorschlag eingebracht habe. Damit sei seine Fraktion frei für einen Gegenentwurf. Dieser ist allgemein als Grabensystem bekannt. Heveling erläuterte, dass dabei Erstund Zweitstimme komplett voneinander getrennt seien: „Ein solches Modell lässt viele Varianten zu, etwa was das Verhältnis zwischen Erstund Zweitstimmenmandaten angeht oder Mindestquoren für das Gewinnen von Wahlkreisen.“
SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese hält dagegen: „Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir bis Jahresende gesetzlich regeln, dass sich die Größe des Bundestags genau an der Zahl der Zweitstimmen bemisst.“Das von der Union vorgeschlagene Graben-Modell werde zur Wahl des russischen Parlaments in einem autoritär geführten Staat verwendet. „Daran sollte sich das deutsche Wahlrecht aber sicherlich nicht ausrichten“, sagte Wiese.