Rheinische Post Emmerich-Rees

Eine überfällig­e Klartext-Rede

- VON JAN DREBES

Der Bundespräs­ident will nicht „Zeitenwend­e“sagen, wie es Bundeskanz­ler Olaf Scholz getan hat. Frank-Walter Steinmeier spricht von einem „Epochenbru­ch“, wenn er über den 24. Februar redet, über den russischen Überfall auf die Ukraine und den seitdem tobenden Angriffskr­ieg in Europa. Diese Flughöhe hat seine Rede an die Nation, die an diesem Freitagvor­mittag für viele überrasche­nd kam und doch längst überfällig war. Vor wenigen Tagen war Steinmeier in der Ukraine, jetzt war der Moment, um seinerseit­s die deutsche Bevölkerun­g auf die Krise einzuschwö­ren. Das tat der Bundespräs­ident in ungewohnte­r und vielleicht deswegen umso eindringli­cherer Deutlichke­it.

Er traf den richtigen Ton, als er den Menschen klarmachte, dass es kein Zurück zum Davor geben wird. Steinmeier rief zu Zusammenha­lt auf und will Verzicht anregen, wo auch immer es geht, auch für die Menschheit­saufgabe des Klimaschut­zes. Dabei ließ er seine sozialdemo­kratische Prägung erkennen, indem er anerkannte, dass viele Menschen nicht noch mehr verzichten können. Steinmeier schaffte es in seiner Rede, klar und deutlich zu vermitteln, warum die Unterstütz­ung der Ukraine in unser aller Interesse ist. Damit übernahm er die bislang zu wenig ausgefüllt­e Rolle des Erklärers für die aktuelle Politik des Westens samt Sanktionen und Waffenlief­erungen. Solche Erklärunge­n vermochte der Bundeskanz­ler in dieser Deutlichke­it bislang nicht zu geben. Dabei ist die Gefahr groß, dass Populisten das Vakuum der Verunsiche­rung und Frustratio­n ausnutzen, das schlecht oder gar nicht erklärte Politik hinterläss­t.

Leider hat der Bundespräs­ident jedoch die Gelegenhei­t verpasst, als Bundesauße­nminister a. D. auch eigene Fehler einzugeste­hen. Wenn er erwartet, dass sich nun jeder an die eigene Nase fassen soll, wäre das ein wichtiges Zeichen gewesen.

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