Eine überfällige Klartext-Rede
Der Bundespräsident will nicht „Zeitenwende“sagen, wie es Bundeskanzler Olaf Scholz getan hat. Frank-Walter Steinmeier spricht von einem „Epochenbruch“, wenn er über den 24. Februar redet, über den russischen Überfall auf die Ukraine und den seitdem tobenden Angriffskrieg in Europa. Diese Flughöhe hat seine Rede an die Nation, die an diesem Freitagvormittag für viele überraschend kam und doch längst überfällig war. Vor wenigen Tagen war Steinmeier in der Ukraine, jetzt war der Moment, um seinerseits die deutsche Bevölkerung auf die Krise einzuschwören. Das tat der Bundespräsident in ungewohnter und vielleicht deswegen umso eindringlicherer Deutlichkeit.
Er traf den richtigen Ton, als er den Menschen klarmachte, dass es kein Zurück zum Davor geben wird. Steinmeier rief zu Zusammenhalt auf und will Verzicht anregen, wo auch immer es geht, auch für die Menschheitsaufgabe des Klimaschutzes. Dabei ließ er seine sozialdemokratische Prägung erkennen, indem er anerkannte, dass viele Menschen nicht noch mehr verzichten können. Steinmeier schaffte es in seiner Rede, klar und deutlich zu vermitteln, warum die Unterstützung der Ukraine in unser aller Interesse ist. Damit übernahm er die bislang zu wenig ausgefüllte Rolle des Erklärers für die aktuelle Politik des Westens samt Sanktionen und Waffenlieferungen. Solche Erklärungen vermochte der Bundeskanzler in dieser Deutlichkeit bislang nicht zu geben. Dabei ist die Gefahr groß, dass Populisten das Vakuum der Verunsicherung und Frustration ausnutzen, das schlecht oder gar nicht erklärte Politik hinterlässt.
Leider hat der Bundespräsident jedoch die Gelegenheit verpasst, als Bundesaußenminister a. D. auch eigene Fehler einzugestehen. Wenn er erwartet, dass sich nun jeder an die eigene Nase fassen soll, wäre das ein wichtiges Zeichen gewesen.