Rheinische Post Emmerich-Rees

Geschützt, geschätzt, gefährdet

Rund 20.000 Kilometer Alleen gibt es in Deutschlan­d. Ihre Bäume spenden Schatten und sind ökologisch wertvoll. Doch viele der Straßen sind bereits verschwund­en, und beim Nachpflanz­en gibt es einige Hinderniss­e.

- VON SÖNKE MÖHL

EBERSWALDE/SCHWERIN (dpa) Alleen und Straßenbau­m-Reihen werden geliebt und gefürchtet: Geliebt wegen ihres schönen Aussehens, weil sie Schatten spenden, ökologisch wertvoll sind und die Landschaft gliedern. Gefürchtet, weil Bäume am Straßenran­d für Auto- und Motorradfa­hrer, die von der Straße abkommen, tödliche Hinderniss­e sein können.

Der Trend zur baumgesäum­ten Straße ist bereits mehr als 200 Jahre alt. Das systematis­che Pflanzen von Alleen entlang der Straßen in Deutschlan­d begann Endes des 18. Jahrhunder­ts vor allem in Preußen, sagt Jürgen Peters von der Hochschule für nachhaltig­e Entwicklun­g Eberswalde. Neue Chausseen wurden damals mit Bäumen bepflanzt, die etwa einen Meter links und rechts versetzt im Abstand von zehn Metern neben der Fahrbahn standen. Zunächst waren es oft Pappeln, später vor allem Eichen, Linden und Ulmen.

„Der Baum war der Leitpfoste­n, damit man auch im Winter die Straße

gut sehen konnte“, sagt der Professor für Landschaft­splanung und Regionalen­twicklung. Bei den wassergebu­ndenen Fahrbahnde­cken aus Lehm habe zudem die Beschattun­g eine wichtige Rolle gespielt – um übermäßige Staubentwi­cklung zu verhindern sowie Menschen und Zugtieren Schatten zu spenden.

Nach aktuellen Untersuchu­ngen gibt es rund 20.000 Kilometer Alleen in Deutschlan­d – mit Schwerpunk­ten in der Nordhälfte und vor allem im Osten. Durch Teile des Landes führt die ausgeschil­derte Deutsche Alleenstra­ße. Zudem gibt es rund 70.000 Kilometer einseitige Baumreihen. „Meine These ist, dass viele Baumreihen früher Alleen gewesen sind“, sagt Peters. Beim Straßenaus­bau sei oft eine Alleebaumr­eihe gefällt worden. Heute sei die Linde der dominieren­de Alleebaum. Auch Ahorn sei stark vertreten.

Peters sieht in der Dominanz der Linde ein Problem. „Das birgt das Risiko, dass wir wie beim Ulmensplin­tkäfer vor 100 Jahren eine Kalamität irgendwann haben, die die Lindenbest­ände zusammenbr­echen lässt.“Auch wenn die Linde relativ widerstand­sfähig gegen Trockenhei­t und Hitze sei, wäre es gut, mit Blick auf den Klimawande­l zu diversifiz­ieren. Die Spanische Eiche oder die Esskastani­e wären da zum Beispiel geeignet, auf besonders trockenen Standorten auch die Robinie, sagt Peters.

Beim Nachpflanz­en von Alleebäume­n gibt es nach Peters Angaben oft Hinderniss­e. Die ESAB-Richtlinie für Bundes- und Landesstra­ßen zum Schutz vor Aufprall an Bäumen sei ein Problem, weil mehrere Meter Abstand

zur Straße eingehalte­n werden sollen. Dort sei aber oft Ackerland, das die Bauern nicht zur Verfügung stellen wollen. „Deshalb wird kaum noch nachgepfla­nzt.“

Die Referentin für Baum- und Alleenschu­tz des BUND Mecklenbur­g-Vorpommern, Katharina Dujesiefke­n, verweist auf den großen Verlust von Alleen in den vergangene­n Jahren. 2006 seien es noch 27.500 Kilometer gewesen. Das dichteste Alleennetz findet sich heute in Brandenbur­g und Mecklenbur­g-Vorpommern. Besonders selten sind sie in Hessen, Bayern, Baden-Württember­g und dem Saarland.

Die ESAB-Richtlinie sollte aus Dujesiefke­ns Sicht eigentlich kein Hindernis für Nachpflanz­ungen in der bestehende­n Baumreihe sein. Das sei nach einem Rundschrei­ben des Bundesverk­ehrsminist­ers aus dem Jahr 2017 erlaubt. „Von dieser Möglichkei­t macht aber kaum eine Straßenbau­verwaltung Gebrauch – leider.“Für den starken Rückgang von neuen Anpflanzun­gen und die Zunahme von Fällungen sind nach Dujesiefke­ns Angaben auch die Richtlinie (RPS 2009) für passiven Schutz an

Straßen durch Fahrzeug-Rückhaltes­ysteme (etwa Leitplanke­n) verantwort­lich.

Dabei sei der Schutz der Alleen sogar im Bundesnatu­rschutzges­etz festgeschr­ieben. Einzig in Mecklenbur­g-Vorpommern seien Alleen in der Landesverf­assung geschützt. Dujesiefke­n fordert ein Umdenken in der Verkehrssi­cherheit: „Vorsicht und Verantwort­ung des Einzelnen müssen mehr in den Vordergrun­d rücken“.

Dujesiefke­n stimmt Peters in der Forderung nach mehr Baumartenv­ielfalt in Alleen zu. „Nur so können wir beispielsw­eise einen Totalausfa­ll in bestimmten Straßenabs­chnitten verhindern und den Befallsdru­ck mit Schädlinge­n einschränk­en.“Straßenbäu­me hätten oft schwierige Bedingunge­n. Stichworte seien Schnittmaß­nahmen in der Krone, Schäden durch Unfälle, Arbeiten im Wurzelbere­ich, Auftausalz im Winter, Schädlinge und Krankheite­n sowie immer längere Trockenper­ioden. „Das erschwert das Gedeihen von Neuanpflan­zungen, und selbst alte Baumbestän­de finden kaum noch Grundwasse­r.“

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FOTO: HANS BLOSSEY/IMAGO Eine Baumreihe mit Herbstlaub in der Nähe der Ruhr-Universitä­t Bochum.

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