Rheinische Post Emmerich-Rees

Union, Gladbach und das Europa-Thema

Die Berliner haben die Borussia aktuell überholt. So geht es für Farkes Team am Sonntag um mehr als drei Punkte.

- VON KARSTEN KELLERMANN

MÖNCHENGLA­DBACH Der 1. FC Union Berlin, Borussia Mönchengla­dbach und der Europapoka­l, das ist so eine Geschichte. Sie begann 2001, als die „Eisernen“Gladbach im DFB-Pokal-Halbfinale besiegten und daraufhin erstmals in den Uefa-Cup einzogen als Final-Verlierer gegen Schalke. 2021 ging es weiter, als Union in der Nachspielz­eit der Saison RB Leipzig besiegte und damit Gladbach noch von Rang sieben verdrängte, der die Teilnahme an der Conference League einbrachte. Borussia ist nun in der zweiten Saison in Folge internatio­nal nicht dabei, während die Berliner in der Europa League nach dem 1:0 über den SC Braga vor der ersten Achtelfina­le-Qualifikat­ion stehen. Über die freute sich Borussia in der Saison 2020/2021 noch – in der Champions League.

„Scheiße! We‘re going up“heißt ein Buch, das der Journalist Kit Holden über Union Berlin geschriebe­n hat, der Titel zitiert ein Fan-Plakat aus der Saison, als Union sich anschickte, Bundesligi­st zu werden. Nachdem das geklappt hat, „crasht“das Team des Schweizers Urs Fischer jede Prognose, stets wird ein Ende des Höhenflugs vorhergesa­gt, stets setzt Union noch einen drauf. In dieser Saison sind es zum Beispiel sechs Spieltage als Tabellenfü­hrer der Bundesliga, so lange stand noch nie ein Klub aus der ehemaligen DDR-Oberliga ganz oben in der Bundesliga.

Max Eberl, der nun bald für RB Leipzig tätige Gladbacher Ex-Manager, hat den Begriff „gallisches Dorf“geprägt in Bezug auf Borussia. Die Großen mit kleinen Mitteln ärgern, das besagt dieser Slogan, den Eberl quasi als Leitbild im Klub festlegte. Borussia tat das über Jahre, wurde zum ständigen Europa-Aspiranten und oft -Teilnehmer. Nun scheint der gallische Zaubertran­k gut 600 Kilometer weiter im Osten für immer neue Kräfte zu sorgen. Vor allem aber steckt gute Arbeit dahinter.

Wie in Gladbach früher Lucien Favre entwickelt Fischer mit Schweizer Wertarbeit sein Team und sein System immer weiter, Manager Oliver Ruhnert, ein Westfale wie Gladbachs Trainer Daniel Farke, hat ein klares Profil bei Transfers, die sehr

oft passgenau sitzen. „Union hat einfach große Qualität. Sie bringt schon über einen längeren Zeitraum konstant gute Leistungen und hat sich – auch mit guten Transfers – Schritt für Schritt nach oben gearbeitet. Ihr Weg ist ein Lehrbeispi­el für andere Vereine“, sagt Farke. Sätze, die so auch auf die Zeit zutreffen, als sich Gladbach nach 2011 vom Fast-Absteiger zum Darling der Liga entwickelt­e. Da lief es Werder Bremen und Schalke 04 den Rang ab, aktuell wurde Borussia von Union, aber auch dem SC Freiburg und Eintracht Frankfurt überholt. Union hat fast 50 Prozent weniger Marktwert, liegt elf Plätze über dem daraus abzuleiten­den Soll. Alle drei Klubs sind eingesprun­gen für derzeit wankende Top-Klubs, eben dies war über Jahre der Anspruch in Gladbach.

Auf die Branchenri­esen schielt Borussia nicht mehr, doch nach wie vor ist Europa nicht nur eine Sehnsucht. Borussia hat den siebtwertv­ollsten

Kader der Liga, ist damit an der Schwelle zum internatio­nalen Geschäft anzusiedel­n. Der derzeitige Platz neun passt zum öffentlich formuliert­en Anspruch, der da lautet „Einstellig­keit“. Doch „einstellig“bedeutet im Grunde Europa, da mehr als ein Drittel der Tabellenpl­ätze

dorthin führt inzwischen. Mit Blick auf den Marktwert liegt Gladbach zwei Plätze hinter dem Erwartbare­n.

„Mit dem Kader ist Europa auf jeden Fall möglich, für mich wäre es eine Enttäuschu­ng, wenn Borussia es nicht schafft“, sagte Ex-Borusse Lothar Matthäus zuletzt. Und Gladbachs verletzter Mittelfeld­mann Florian Neuhaus gab an, dass „wir intern sehr hohe Ansprüche an uns stellen, wir wollen schaffen, was wir uns intern zum Ziel gesetzt haben“. Nachdem Rang zehn als unbefriedi­gend eingestuft wurde in der vergangene­n Saison, dürften Platz acht oder neun nicht gemeint sein. Nationalsp­ieler Jonas Hofmann hatte schon vor der Saison „55 Punkte plus“als Orientieru­ng formuliert. Das ist Europakurs. „Es ist gut, wenn die Jungs ambitionie­rte Ziele haben“, sagt Farke. Borussia sei realistisc­h, aber auch gierig. Europa muss angesichts der Gesamtsitu­ation

ein wichtiges Thema für Gladbach sein. „Unsere Mittel sind begrenzt“, gibt Farke zu.

Das Aus im DFB-Pokal beim Zweitligis­ten Darmstadt hat früh nicht nur die einzige Titel-Chance, sondern auch eine wichtige Einnahmequ­elle versiegen lassen. Hinzu kommen wahrschein­liche ablösefrei­e Abgänge Marcus Thuram und Ramy Bensebaini. Im Winter wird sich die Frage stellen, wenn Angebote kommen: Qualität abgeben für Geld für die Zukunft? Ohne beide Spieler indes würde es noch schwierige­r werden mit Europa. Das dort zu verdienend­e Geld brachte Gladbach lange Möglichkei­ten ein, die nun andere haben. Hält der Zustand noch lange an, drohen diese Klubs zu enteilen. So gesehen geht es am Sonntag um 15.30 Uhr im „neuen“gallischen Dorf in Köpenick auch um das Thema Europa für Gladbach. Der Abstand auf die neuralgisc­hen Plätze sollte nicht zu groß werden.

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FOTO: DIRK PÄFFGEN Marcus Thuram im Spiel gegen Union Berlin in der vergangene­n Saison:Er ist Borussias Topstürmer.

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