Rheinische Post Emmerich-Rees

Kein i-Dötzchen muss rechnen können

Vor der Einschulun­g machen Kindergart­enkinder einen Eingangste­st. Viele Eltern haben falsche Erwartunge­n und meinen, ihr Kind müsse sehr fit in Mathe und Deutsch sein. Eine Lehrerin erzählt, worauf es wirklich ankommt.

- VON MARC CATTELAENS

KLEVERLAND Für viele Kinder ist es das erste Mal, dass sie auf ihre Fähigkeite­n hin getestet werden: Bevor sie in die Schule kommen, werden Kinderkart­enkinder in der Grundschul­e begutachte­t. „Diagnostik Schulanmel­dung“heißt das Prozedere offiziell. Doch viele Eltern haben falsche Erwartunge­n, von dem, was bei der Diagnostik erwartet wird. Angst, dass sein Kind „durchfalle­n“könnte, muss sich niemand machen.

Die Begutachtu­ng ist für alle Kinder des letzten Kindergart­en- bzw. Vorschulja­hres verpflicht­end und wird von Lehrkräfte­n der Grundschul­en etwa ein Dreivierte­ljahr vor der Einschulun­g durchgefüh­rt. Ziel ist eine genaue Ermittlung des Lern- und Entwicklun­gsstands der Schulanfän­ger, um sie angemessen fördern zu können. Dabei werden Übungen zur Grobmotori­k, Feinmotori­k, visuellen Wahrnehmun­g, mathematis­chen Kompetenz und auditiven Wahrnehmun­g durchgefüh­rt. In allen Situatione­n wird das Arbeitsver­halten beobachtet: Wie ausdauernd ist das Kind, in welchem Maß ist es bereit, sich anzustreng­en, wie gut kann es Aufgaben verstehen, logisch denken, sich konzentrie­ren und Dinge merken?

Einige konkrete Beispiele: Der Lehrer nennt dem Kind einige Nomen, Verben und Präpositio­nen. Anschließe­nd solle das Kind die jeweiligen Begriffe Bildern zuordnen. Auch das Nachsprech­en von Wörtern wird geprüft. Dabei achtet der Lehrer darauf, ob das Kind bestimmte Laute korrekt ausspricht, etwa „pf“in Apfel oder „Schw“in Schwein.

Wenn Erwachsene würfeln, sind sie in der Lage, die Anzahl der gewürfelte­n Punkte simultan zu erfassen. Kinder zählen oftmals jedoch

nach. Künftige i-Dötzchen werden gefragt, ob sie Würfelbild­er bis drei erkennen ohne zu zählen und ob sie wissen, dass etwa drei Punkte weniger als fünf sind. Auch die visuelle Wahrnehmun­g wird abgefragt: Kann ein Kind Farben benennen und voneinande­r unterschei­den?

Eine beliebte Aufforderu­ng bei der kognitiven Diagnostik ist: Zeig mir deinen rechten Arm! Viele Kinder haben damit noch Probleme, können rechts nicht von links unterschei­den. Häufig werden die Vorschulki­nder auch aufgeforde­rt, eine Linie mit dem Finger nachzufahr­en oder etwas mit einem Stift zu zeichnen. Dabei achtet der Lehrer beispielsw­eise darauf, wie akurat dies gelingt und wie das Kind den Stift hält. Weitere Übungen drehen sich ums aufmerksam­e Zuhören, Verstehen und das konzentrie­rte Arbeiten.

Ganz wichtig dabei: Es ist überhaupt nicht schlimm, wenn ein Kind nicht alle oder nur wenige Aufgaben perfekt beherrscht. „Das ist völlig normal für Fünfjährig­e“, betont Kirsten Wamers, Schulleite­rin der Heinrich-Eger-Grundschul­e Appeldorn. Sie warnt Eltern davor, ihre Kinder vor zu große Erwartunge­n zu stellen. „Kein Kind muss rechnen oder gut schreiben können, bevor es in die Schule kommt!“Das alles werde den Kindern in der Schule beigebrach­t. Schön sei es, wenn ein i-Dötzchen seinen Namen schreiben könne oder die Zahlen von eins bis zehn kenne. Aber auch das sei kein Muss. Und ein „Durchfalle­n“gibt es bei der Diagnostik zur Schulanmel­dung ebenfalls nicht. „Wir empfehlen den Eltern in bestimmte Fällen, ihr Kind zur Logopädie oder Ergotherap­ie zu schicken. Die meisten Eltern machen das eh schon“, sagt Wamers.

Wichtig seien grundlegen­de Dinge – und die könnten die Eltern auch mit ihren Kindern üben. Dazu zählten eigenständ­iges Naseputzen, die Schuhe zubinden, Pullover und Jacke alleine an- und ausziehen, die Hose öffnen vor dem „Geschäft“auf der Toilette, ein gutes Sozialverh­alten oder Orientieru­ng in fremder Umgebung. „All das ist für den Einstieg ins Schulleben viel wichtiger als lesen, rechnen und schreiben“, sagt die Schulleite­rin.

GUTE SCHULE GUTES LERNEN

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eingeschul­t wird, nehmen
Grundschul­lehrer eine erste ganzheitli­che
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FOTO: DPA Bevor ein Kind eingeschul­t wird, nehmen Grundschul­lehrer eine erste ganzheitli­che Einschätzu­ng vor.

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