Rheinische Post Emmerich-Rees

Im Gleitflug durch die Unterwelt

Fatih Akin erzählt in seinem neuen Film das Leben des Rappers Xatar, der einst einen Goldtransp­ort überfiel.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Der Deutschrap­per Xatar ist ja wirklich eine interessan­te Figur. Er wurde nicht bloß mit seiner Musik bekannt, da war auch noch der Überfall auf einen Goldtransp­ort, den er 2009 mit ein paar Kumpels durchgezog­en hatte. Sie verkleidet­en sich als Polizisten, setzten ein Partyblaul­icht auf ihr Auto und hielten einen Fahrer an, der Zahngold auf der Ladefläche kutschiert­e. Sie erbeuteten nach offizielle­n Angaben 59 Kilogramm Gold, nach eigenen 250 Kilogramm, jedenfalls betrug der Wert mindestens 1,7 Millionen Euro.

Und natürlich wanderten sie für den als „Endgame“in den Geschichte­nschatz der Straße eingegange­n Coup in den Knast. Xatar nahm dort ein Album auf, er schmuggelt­e Dateien mit seinen unter der Bettdecke in ein Diktierger­ät gesungenen Raps hinaus, und noch während er brummte, erschien „Nr. 415“auf seinem eigenen Label. Heute wohnt er als Geschäftsm­ann, lebende Legende und laut Eigenausku­nft Millionär in Köln.

Man kann also verstehen, dass sich Fatih Akin Xatars Autobiogra­fie „Alles oder Nix: Bei uns sagt man, die Welt gehört dir“als Vorlage zur freien Anverwandl­ung für seinen neuen Film „Rheingold“aussuchte. Und es kommt noch etwas dazu, das Akin sehr interessie­ren dürfte. Xatar wurde im Iran geboren, und zwar in einer Höhle im Norden des Landes. Seine Eltern hatten sich kurdischen Freiheitsk­ämpfern angeschlos­sen, und der bürgerlich­e Name ihres Sohnes, Giwar, bedeutet übersetzt „im Leid geboren“. Die Mutter war Musikerin, der Vater war Komponist und Dirigent, beide flohen vor dem Regime der Mullahs und kamen über jahrelange Umwege, über Gefängniss­e und Folterlage­r nach Bonn.

Xatar war fünf, als Deutschlan­d seine Heimat wurde. Seine Mutter putzte, um seine Klavierstu­nden zu finanziere­n, der Vater zog zu einer anderen Frau. Xatar verkaufte Pornos

auf VHS und dealte, um Geld zu verdienen. Er wurde verdrosche­n, dann ließ er sich beibringen, wie man Gewalt gezielter einsetzt als die Gegner und schlug zurück. Er wurde Türsteher in Amsterdam, vertickte Kokain, rappte, gründete ein Label, schrieb sich am Konservato­rium in Amsterdam ein, und nach der Sache mit dem Goldraub floh er in den Irak und wurde schließlic­h ausgeliefe­rt.

Man muss dieses wendungsre­iche Leben des Künstlers als junger Verbrecher skizzieren, um nachvollzi­ehbar zu machen, warum Fatih Akin sich so schwertut, es zu fassen zu bekommen. Die Produktion zerfällt ästhetisch in zwei Teile. Da ist die eindringli­ch und mit viel Zuneigung erzählte Herkunftsg­eschichte,

in der Akin nicht vor Darstellun­gen roher Gewalt zurückschr­eckt, um dieser Persönlich­keit einen Grund zu geben. Er legt rote Fäden aus, wie jenen mit der Liebe auf den ersten Blick: Der Junge Xatar (Ilyes Raoul) sieht Shirin und ist hin und weg. Und obwohl sie ihn später immer wieder wegstößt, wird er am Ende mit ihr zusammenle­ben.

Im zweiten Teil, der die Kriminalit­ätsstory erzählt, die im Grunde auch eine Buddy-Geschichte ist, ändert sich die Tonlage: Diese Passagen wirken temporeich­er, humorvolle­r auch. Allerdings geht es dabei so hastig von Station zu Station, dass beim Nacherzähl­en der Faktenlage einiges auf der Strecke bleibt. Die Nebenfigur­en geraten beim Gleitflug durch die Unterwelt blass und muten wie im Falle des Mannes, der Xatar das Boxen beibringt, wie Geister an. Auch wird nie so recht klar, wann genau Xatar (im weiteren Verlauf von Emilio Sakraya gespielt) sein RapmusikEr­weckungser­lebnis

hatte.

Das Rappen kommt nur gelegentli­ch vor, als habe man zwischendu­rch gedacht, das müsse nun aber auch noch irgendwo rein. Und: Der Protagonis­t erreicht nie so recht das Herz des Publikums.

Dadurch geht das verloren, was Fatih Akins Filme so groß machen: die besondere Zuneigung in der Schilderun­g von Freundscha­ftsbeziehu­ngen. Und die magischen kleinen Ideen, die für diese besondere und typische Wärme sorgen. Es gibt sie nur gegen Ende, als Xatar auf den Tisch der Gruppenzel­le eine Tastatur zeichnet und tonlos Klavier spielt. Oder wenn die Mitgefange­nen ihn beim Aufnehmen unterstütz­en, aber dem selbstverg­essenen Rapper dann doch zurufen: Lass mal schlafen, ist schon vier Uhr.

Es ist ein immer populärer werdendes Nebengenre des deutschen Films: die Rapper-und-Kriminalit­ätsmilieus­tudie. Eröffnet wurde es 2010 von Uli Edels und Bernd Eichingers

sehr schräger Verfilmung des Lebens von Bushido unter dem Titel „Zeiten ändern dich“. Zur Blüte gebracht wurde es von der Serie „4 Blocks“, die so gut ist, dass sie als Maßstab für alles Folgende gelten darf. Außerdem gibt es mehr oder weniger werbliche Dokumentat­ionen wie die über Bushido und Apache 207 sowie mehr oder weniger gelungene Serien wie „Dogs of Berlin“und „Skyline“.

„Rheingold“hat nicht den Flow eines guten Rapsongs. Das Widerständ­ige weicht schließlic­h dem Wunsch nach Versöhnlic­hkeit.

Aber der Film ist spannend erzählt, und wer die Biografie Xatars nicht so gut kennt, wird ständig wissen wollen, wie es denn nun weitergeht. Der Triumph dieser Erzählung, wenn man so will, ist die Einverleib­ung eines der deutschest­en aller Mythen. Ohne zu viel zu verraten, darf man sagen, dass die Lebensreis­e Xatars vorläufig in tiefer, von Rheinnixen umspielter Bürgerlich­keit endet.

Zum Finale gibt es jedenfalls keinen Rap. Sondern Wagner.

Xatar verkaufte Pornos auf VHS und dealte, um Geld zu verdienen

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FOTO: GORDON TIMPEN/WARNER BROS/DPA Emilio Sakraya als Xatar mit der Rapperin Schwester Ewa.

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