Als die Beatles in die Zukunft aufbrachen
Das schönste Album der Gruppe erlebt eine Neuausgabe. „Revolver“klingt nun präsenter. Im Bonusmaterial wartet eine Sensation.
Es gibt Menschen, die wehren sich gegen solche Neuabmischungen legendärer Alben. Warum an etwas Perfektem herumpolieren, fragen sie, besser machen könne man es eh nicht mehr. Diese Leute haben natürlich recht. Zumal, wenn es um ein Album wie „Revolver“geht. Das ist die womöglich schönste Beatles-Platte, wobei „Rubber Soul“je nachdem, wie man sich gerade so fühlt, vielleicht sogar noch etwas schöner ist. Aber das sind nur Nuancen. „Revolver“ist nun jedenfalls in einer neuen Edition aufgelegt worden. Giles Martin, der Sohn des legendären BeatlesProduzenten George Martin, hat es bearbeitet, und bei allem Verständnis für die Gralshüter des Ursprünglichen: Bringt euch nicht um dieses Vergnügen, bitte. Hört hin!
Es gibt mindestens drei Gründe, sich dem neuen „Revolver“zu widmen. Zum einen: Das ist eine Platte, die den Lauf der Popmusik verändert hat. Die wichtigste Band aller Zeiten begann, die akkuraten Pilzfrisuren ins Kraut schießen zu lassen. Sie wurde aufmüpfig. Es war 1966, kurz nach Jahresbeginn, und sie ließ gegen den Willen ihres Managers Brian Epstein ein geplantes neuerliches Quatsch-Film-Projekt à la „A Hard Day’s Night“sausen. Stattdessen nahmen die Beatles erst mal vier Monate frei. Sie genossen das Leben, jeder auf seine Weise: Paul hörte Stockhausen, John nahm LSD, George suchte die Erleuchtung. Und Ringo hoffte, dass es endlich weitergeht.
Im April trafen sie sich im Studio. Sie wirkten frisch, sie hatten aufgetankt, und bis Juni stellten sie diese Platte fertig. Ein kohärentes Patchwork aus Stimmungen und Stilen. Sie komponierten „Eleanor Rigby“und das irre schöne „Here, There And Everywhere“. Sie nahmen „Good Day Sunshine“auf und „Doctor Robert“. Sie experimentierten mit Abspielgeschwindigkeiten, ließen Gitarrenspuren rückwärts laufen und fügten Sitarklänge hinzu. Ans Ende setzten sie das progressivste Stück Popmusik jener Zeit: „Tomorrow Never Knows“ist eine Collage aus zerschnittenen und geklebten Tonbandschnipseln. So klang die Zukunft. Das Cover gestaltete
Klaus Voormann für ein Honorar von 40 Pfund. Die Beatles waren nun eine psychedelische Band.
Ein weiterer Grund hinzuhören ist der Mix. Das Album galt als unberührbar. Die Beatles hatten es nämlich live auf Tape aufgenommen. Sie standen dafür im Kreis zusammen und schnitten einfach mit, aber im One-Track-Verfahren. Die Herausforderung bestand also darin, diese eine Spur zu „de-mixen“, aus ihr Instrumente und Stimmen zu präparieren und jeweils auf eine eigene Spur zu bringen, um damit arbeiten
zu können. Dass das technisch möglich ist, hat Martin dem Audioteam von Regisseur Peter Jackson zu verdanken, das der für seine Doku „Get Back“angeheuert hatte. Nun war es möglich, das Album für eine Generation einzurichten, die Musik meist über Kopfhörer konsumiert. Der Sound ist frischer, crisper, dabei aber nicht verfälschend oder von kalter Digitalität. „Taxman“wirkt nun bitterer. Und bei „Eleanor Rigby“begreift man, warum Paul McCartney keine Schmuse-Streicher wollte, sondern ein Arrangement wie in Bernard Herrmanns „Psycho“-Soundtrack.
So sind denn solche Neuausgaben auch ein Weg, das Erbe weiterzutragen. Vielleicht verstehen nachgeborene Generationen über diesen Mix, wie großartig diese Musik ist. Außerdem bedeutet Stereo nun nicht länger, dass alle Instrumente streng auf dem linken Ohr zu hören sind und die Stimmen auf dem rechten. Die Arrangements muten lebhafter an, die Beatles sind präsenter.
Der dritte Grund, warum auch die skeptischsten Puristen ihren Frieden mit dem neuen „Revolver“machen dürften, ist das aufschlussreiche Bonusmaterial. In der LuxusEdition umfasst die Edition fünf
CDs, aber auch auf der Variante mit zwei CDs findet man viel Erhellendes. Die kleine Sensation schlummert dabei im Verborgenen. Es ist das Demo von „Yellow Submarine“. In diesem gut anderthalbminütigen Urzustand war der spätere Gassenhauer eine zerbrechliche Folkballade. John wisperte sie zur Gitarre: „In the town, where I was born“, singt er, „no one cares“. Man möchte ihn umarmen, den armen Kerl, der bei der Tante aufwuchs. Und das ist eben das Wunder der Beatles, das nun offenbar wird: Wie sie mit dieser Skizze arbeiteten, wie Paul sie zu jenem unverwüstlichen Kinderlied umschrieb, zu einer Psychedelik-Albernheit. Er ahnte natürlich, dass es dafür keinen besseren Sänger geben könnte als Ringo.
Überhaupt machen die Demos vieler Stücke deutlich, was für ein melancholisches Album „Revolver“hätte werden können. Die Beatles haben damals noch aufeinander gehört, sie haben Ideen mit offensichtlich viel Spaß (dieses Gekichere im Demo von „And Your Bird Can Sing“!) weiterentwickelt. Und sie holten aus dem Studio Töne heraus, von denen niemand wusste, dass es sie hergeben würde.
In „Rain“, einem ihrer besten Lieder, das hier erneut als solches zu entdecken ist, fragen die Beatles: „Can you hear me?“Die Antwort fällt nun umso leichter.
Ja!
Das Album galt als unberührbar – die Beatles hatten es nämlich live auf Tape aufgenommen