Rheinische Post Emmerich-Rees

Als die Beatles in die Zukunft aufbrachen

Das schönste Album der Gruppe erlebt eine Neuausgabe. „Revolver“klingt nun präsenter. Im Bonusmater­ial wartet eine Sensation.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Es gibt Menschen, die wehren sich gegen solche Neuabmisch­ungen legendärer Alben. Warum an etwas Perfektem herumpolie­ren, fragen sie, besser machen könne man es eh nicht mehr. Diese Leute haben natürlich recht. Zumal, wenn es um ein Album wie „Revolver“geht. Das ist die womöglich schönste Beatles-Platte, wobei „Rubber Soul“je nachdem, wie man sich gerade so fühlt, vielleicht sogar noch etwas schöner ist. Aber das sind nur Nuancen. „Revolver“ist nun jedenfalls in einer neuen Edition aufgelegt worden. Giles Martin, der Sohn des legendären BeatlesPro­duzenten George Martin, hat es bearbeitet, und bei allem Verständni­s für die Gralshüter des Ursprüngli­chen: Bringt euch nicht um dieses Vergnügen, bitte. Hört hin!

Es gibt mindestens drei Gründe, sich dem neuen „Revolver“zu widmen. Zum einen: Das ist eine Platte, die den Lauf der Popmusik verändert hat. Die wichtigste Band aller Zeiten begann, die akkuraten Pilzfrisur­en ins Kraut schießen zu lassen. Sie wurde aufmüpfig. Es war 1966, kurz nach Jahresbegi­nn, und sie ließ gegen den Willen ihres Managers Brian Epstein ein geplantes neuerliche­s Quatsch-Film-Projekt à la „A Hard Day’s Night“sausen. Stattdesse­n nahmen die Beatles erst mal vier Monate frei. Sie genossen das Leben, jeder auf seine Weise: Paul hörte Stockhause­n, John nahm LSD, George suchte die Erleuchtun­g. Und Ringo hoffte, dass es endlich weitergeht.

Im April trafen sie sich im Studio. Sie wirkten frisch, sie hatten aufgetankt, und bis Juni stellten sie diese Platte fertig. Ein kohärentes Patchwork aus Stimmungen und Stilen. Sie komponiert­en „Eleanor Rigby“und das irre schöne „Here, There And Everywhere“. Sie nahmen „Good Day Sunshine“auf und „Doctor Robert“. Sie experiment­ierten mit Abspielges­chwindigke­iten, ließen Gitarrensp­uren rückwärts laufen und fügten Sitarkläng­e hinzu. Ans Ende setzten sie das progressiv­ste Stück Popmusik jener Zeit: „Tomorrow Never Knows“ist eine Collage aus zerschnitt­enen und geklebten Tonbandsch­nipseln. So klang die Zukunft. Das Cover gestaltete

Klaus Voormann für ein Honorar von 40 Pfund. Die Beatles waren nun eine psychedeli­sche Band.

Ein weiterer Grund hinzuhören ist der Mix. Das Album galt als unberührba­r. Die Beatles hatten es nämlich live auf Tape aufgenomme­n. Sie standen dafür im Kreis zusammen und schnitten einfach mit, aber im One-Track-Verfahren. Die Herausford­erung bestand also darin, diese eine Spur zu „de-mixen“, aus ihr Instrument­e und Stimmen zu präpariere­n und jeweils auf eine eigene Spur zu bringen, um damit arbeiten

zu können. Dass das technisch möglich ist, hat Martin dem Audioteam von Regisseur Peter Jackson zu verdanken, das der für seine Doku „Get Back“angeheuert hatte. Nun war es möglich, das Album für eine Generation einzuricht­en, die Musik meist über Kopfhörer konsumiert. Der Sound ist frischer, crisper, dabei aber nicht verfälsche­nd oder von kalter Digitalitä­t. „Taxman“wirkt nun bitterer. Und bei „Eleanor Rigby“begreift man, warum Paul McCartney keine Schmuse-Streicher wollte, sondern ein Arrangemen­t wie in Bernard Herrmanns „Psycho“-Soundtrack.

So sind denn solche Neuausgabe­n auch ein Weg, das Erbe weiterzutr­agen. Vielleicht verstehen nachgebore­ne Generation­en über diesen Mix, wie großartig diese Musik ist. Außerdem bedeutet Stereo nun nicht länger, dass alle Instrument­e streng auf dem linken Ohr zu hören sind und die Stimmen auf dem rechten. Die Arrangemen­ts muten lebhafter an, die Beatles sind präsenter.

Der dritte Grund, warum auch die skeptischs­ten Puristen ihren Frieden mit dem neuen „Revolver“machen dürften, ist das aufschluss­reiche Bonusmater­ial. In der LuxusEditi­on umfasst die Edition fünf

CDs, aber auch auf der Variante mit zwei CDs findet man viel Erhellende­s. Die kleine Sensation schlummert dabei im Verborgene­n. Es ist das Demo von „Yellow Submarine“. In diesem gut anderthalb­minütigen Urzustand war der spätere Gassenhaue­r eine zerbrechli­che Folkballad­e. John wisperte sie zur Gitarre: „In the town, where I was born“, singt er, „no one cares“. Man möchte ihn umarmen, den armen Kerl, der bei der Tante aufwuchs. Und das ist eben das Wunder der Beatles, das nun offenbar wird: Wie sie mit dieser Skizze arbeiteten, wie Paul sie zu jenem unverwüstl­ichen Kinderlied umschrieb, zu einer Psychedeli­k-Albernheit. Er ahnte natürlich, dass es dafür keinen besseren Sänger geben könnte als Ringo.

Überhaupt machen die Demos vieler Stücke deutlich, was für ein melancholi­sches Album „Revolver“hätte werden können. Die Beatles haben damals noch aufeinande­r gehört, sie haben Ideen mit offensicht­lich viel Spaß (dieses Gekichere im Demo von „And Your Bird Can Sing“!) weiterentw­ickelt. Und sie holten aus dem Studio Töne heraus, von denen niemand wusste, dass es sie hergeben würde.

In „Rain“, einem ihrer besten Lieder, das hier erneut als solches zu entdecken ist, fragen die Beatles: „Can you hear me?“Die Antwort fällt nun umso leichter.

Ja!

Das Album galt als unberührba­r – die Beatles hatten es nämlich live auf Tape aufgenomme­n

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FOTO: DPA Die Beatles im Jahr 1966, als „Revolver“erschien.
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