Auszeit für den König
Am Fuß der schottischen Highlands sind die Royals ganz privat. Eine Stippvisite in Braemar im Herbst
Wir waren ein kleines Grüppchen enthusiastischer Wanderinnen im Cairngorms Nationalpark nordwestlich von Braemar. Der Herbst hatte die schottischen Highlands längst im Griff. Besenheide und Erika waren verblüht, Blaubeeren und Schlehen gepflückt. War es nicht grad noch August und das heilige Kraut der Druiden hatte die Täler und Hänge mit prachtvollem Purpur geflutet? Nun erlosch die Landschaft. Nur die Früchte der Vogelbeeren leuchteten weit, so wie die Hüte der zahlreichen Fliegenpilze zu Füßen der Birken, die unseren Weg säumten. Es duftete nach Pfifferlingen, nach Morcheln. Zeit der Pilze.
Das muss sich der Mann im tarnfarbenen Dress mit den Kniebundhosen auch gedacht haben, der sich entschlossen hügelan gegen den Sprühregen stemmte, die Schiebermütze tief in die Stirn gezogen. Ein Körbchen schaukelte auf seinem Unterarm. „Da kommt King Charles“, frotzelten wir. Hieß es doch, dass der König von Britannien schier verrückt nach den Pilzen sei und schon mal die zehn Kilometer von Schloss Balmoral herkommend das Körbchen füllte, während seine Queen Consort Camilla die Bratpfanne auf den Herd setzte. Rotkäppchen war es jedenfalls nicht, so allein unterwegs.
Als wir gleichauf waren schaute er auf, tippte er an seine Kappe, grüßte uns freundlich und war schon vorbei. Es war ein ganz normaler Dienstag, und wir sind dem englischen König begegnet. Ein Mann, der schon zahlreiche Sommer auf Schloss Balmoral verbrachte und die Natur heftig lieben lernte. Just jetzt endete die royale Trauerzeit nach dem Tod seiner Mutter, für ihn vielleicht für länger das letzte Mal, unbefangen in seiner Lieblingslandschaft ausschreiten zu können.
Wir waren grad von der schönen Aussicht auf einer Anhöhe gekommen, wo der Lochnagar mit 1155 Metern als höchste Er
hebung der südlichen Cairngorms ein großartiges Panorama bildet. Dort, wo auch König Charles mit seinen Geschwistern, Mutter und Großmutter bei Gurkensandwiches viele Kindersommer Rast machte, während die Corgis den Schmetterlingen nachjagten.
Der Herbst ist magisch in den Highlands. Kaum, dass die Wolken sich verziehen und
eine gleißende Sonne Berg und Tal in goldenes Braun, Kupfer und tiefes Weinrot taucht, kommt schon der nächste heftige Schauer. Dann spannten sich zwei Regenbogen über die mächtige Landschaft. Wir wünschten uns was. Etwa dort am Ende des Regenbogens müsste Braemar liegen. Das Örtchen liegt 300 Meter hoch am oberen Lauf des Flus
ses Dee im Bezirk Aberdeenshire zu Füßen der Berge. Gerade mal 450 Menschen leben in Braemar. Früher trafen sich dort bloß Jäger und Fischer. Nur im Frühherbst, wenn die englische Königsfamilie vom Schloss Balmoral herüber kam, um die Braemar Gatherings zu eröffnen, war mehr los. Danach kehrte Stille ein. Das ist jetzt anders. Seit ein paar Jahren reisen auch Kunstfreunde an, um im Hotel Fife Arms zu wohnen wegen seines einzigartigen Interieurs und der spektakulären Art Pieces, die viele Räume schmücken. Die Kunstmäzene Manuela und Iwan Wirth hatten das herunter gekommene Hotel gekauft und 2017 wiedereröffnet.
Das englische Königshaus ist mit Braemar und dem Fife Arms lange verbunden. Hotel und Schloss Balmoral gehörten einst dem Earl of Fife. Queen Victoria und Prinz Albert hatten sich 1848 in die Landschaft verliebt. Das Schloss war vakant. Sie ließen es mit allerlei Türmchen zu ihrem Sommersitz ausbauen. Zugleich übernahm die Queen die Schirmherrschaft für die Festspiele.
Seitdem ging es aufwärts mit Braemar, und die Royals gehören seitdem zur Community. Charles III. hat das schöne Hotel gern eröffnet, und jetzt kann man dort drei seiner Aquarelle anschauen.
Sie zeigen den Landsitz Sandringham sowie die Schlösser Windsor und Balmoral. Im Foyer hängt ein Hirschporträt seiner UrUrUrGroßmutter Queen Victoria. Überhaupt steht die Jagd hoch im Kurs im Haus. Der ausgestopfte Hirsch im Speiseraum hätte es sich bestimmt nicht träumen lassen, im MuranoLüsterglanz für immer und ewig zu bestehen. Die Kunst im Fife Arms ist hochkarätig und beglückend, ohne einzuschüchtern.
Ob der König sein Körbchen für das Abendessen füllen konnte? Wir fahren nach Balmoral, wo vor wenigen Wochen seine Mutter im Alter von 96 Jahren starb. Tausende hatten ihren Trauerzug nach Edinburgh gesäumt und vor das Tor zur Auffahrt Blumen gelegt. „We miss you!“, steht auf handgeschriebenen Billetts. „Geliebte Königin“und „Queen of Scotland“. Rührende Danksagungen und Verneigungen vor einer Jahrhundertfrau.
In Braemar ist die Dämmerung eingebrochen. Im Hotel knistern die Kaminfeuer. Zeit für einen Cocktail in Elsa’s Bar. „From Vicky with love“ist Queen Viktoria gewidmet. In den Zimmern herrscht Ruh. Ein jedes der 46 Refugien ist anders gestaltet. Es ist einer Landschaft, einer Pflanze oder einer schottischen Persönlichkeit gewidmet. Man lernt jede Menge über die Menschen der Region, ihre Poeten, Entdecker, royalen Nachbarn und Künstler.
Wir aber haben den englischen König gesehen und den Lochnagar sonnenbeschienen in seiner ganzen Schönheit, dem Charles 1980 in seinem Kinderbuch „Der alte Mann von Lochnagar“ein Denkmal setzte. Die Landschaft bietet Stoff für Märchen. Sie weckt Sehnsüchte. Wir denken an die verstorbene Königin, die davon schwärmte, dass man in den Highlands stundenlang gehen könne, ohne jemandem zu begegnen. Wie wir wissen, gibt es Ausnahmen.