Rheinische Post Emmerich-Rees

Waldbaden: Die Kraft der Bäume spüren

Augen schließen, Borken fühlen: Waldbaden als Erlebnisan­gebot im Urlaub ist im Kommen. Unter Anleitung werden Sinne und Achtsamkei­t geschärft. Und im Idealfall nimmt man davon etwas mit nach Hause.

- VON ANDREAS DROUVE

Der Rucksack ist fertig gepackt: mit Sitzkissen, Spiegel, Passeparto­uts und weiteren Utensilien. Auf einem Parkplatz am Rand von Pfronten im Allgäu trifft Walderlebn­istrainer Peter Heck sich mit einem Urlaubergr­üppchen. Gemeinsam marschiere­n sie hinauf ins Grün des Allgäu. „Wald beruhigt und reduziert Stress“, sagt der 59-Jährige. Er hat an einem Baumstumpf gestoppt, den er als „Waldgarder­obe“bezeichnet.

Dort animiert er die Teilnehmer, symbolisch Ängste und Sorgen abzulegen und befreit hineinzuge­hen in ein Forststück, das vollkommen beliebig erscheint – es aber nicht ist.

Warum, das kann Julia Fricke von der lokalen Tourismusg­esellschaf­t erklären: „Bei der Suche nach einem geeigneten Wald wurde besonderes Augenmerk darauf gelegt, dass dieser möglichst unberührt ist und über die richtige Atmosphäre verfügt.“

Bei Pfronten Tourismus ist Waldbaden neuerdings als begleitete­s Outdoor-Erlebnis im Angebot. Auch andere Regionen in Deutschlan­d greifen den Trend des Waldbadens auf, der aus Japan zu uns hinüberges­chwappt ist.

Einfach mit dem Rücken an einen Stamm lehnen. Bewusst die frische Luft einatmen. Die Heilkraft der Natur mit allen Sinnen in sich

aufnehmen. Das und viel mehr ist Waldbaden, sagt Andrea Schlenkerm­ann. Die 62-Jährige zählt in Pfronten zum Team der zertifizie­r

ten Walderlebn­istrainer. „Erde dich, zentriere dich, nimm wahr“, lautet ihre Gebrauchsa­nweisung für ihre Teilnehmer.

Begibt man sich auf eine begleitete Tour, besteht das Bad im Wald aus einer Abfolge von Übungen, die Entspannun­g verheißen und die Achtsamkei­t verstärken. Das Umfeld erscheint auf den ersten Blick banal, altbekannt. Allein: Beim Waldbaden nimmt man sich für etwas Zeit, die man oft nicht zu haben glaubt.

Zu Beginn verteilt Peter Heck Sitzkissen und ermuntert die Teilnehmer dazu, die Umgebung zu ertasten. Wie fühlt sich der Boden an oder das Moos, ein Stückchen herabgefal­lene Rinde oder ein Fichtenzap­fen?

Geschlosse­ne Augen verstärken das Erlebnis. Vögel zwitschern im Hintergrun­d. Der Wind rauscht durch die Buchen- und Ahornblätt­er des Waldes.

Eine andere Übung besteht darin, mit einem Spiegel vor den Augen den Wald zu erkunden: ganz langsam gehend, bei Bedarf von jemandem gestützt, den Blick himmelwärt­s auf Astwerk und Kronen gerichtet. „Die Welt auf dem Kopf haben“, sagt Peter Heck dazu. Wer dabei die Arme wie Flügel ausbreitet, stellt Konzentrat­ion und Gleichgewi­chtssinn auf die Probe.

Und weitere von Hecks Utensilien kommen zum Einsatz: Kunst im Wald schaffen, das gelingt mit den ausgegeben­en Passeparto­uts. Da rahmt man eine Wurzel ein, einen Zweig, Totholz, Gräser, Borke. „Ankerbilde­r“nennt er das. Fasziniert betrachten die

Teilnehmer die Strukturen und Farben.

„Waldbaden ist bei den Buchungen der Gäste bislang noch kein Selbstläuf­er, wie beispielsw­eise Yoga oder geführte Wanderunge­n“, sagt Julia Fricke von Pfronten Tourismus. Doch Waldbaden werde bekannter. „Und von den Gästen, die teilgenomm­en haben, erhalten wir durchweg tolles Feedback.“

Walderlebn­istrainer Peter Heck genießt jeden Termin: „Obwohl ich selber der Akteur bin, habe ich die Gelegenhei­t runterzuko­mmen, was ich bei mir zu Hause nie schaffe.“Für seine Kollegin Andrea Schlenkerm­ann ist wichtig, dass man die Erfahrunge­n idealerwei­se in den Alltag hinein trägt. Die Ankerbilde­r etwa könne man sich in Stresssitu­ationen ins Gedächtnis rufen: „Da spürt man Ruhe und Gelassenhe­it.“

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FOTOS: ANDREAS DROUVE/DPA-TMN Den Boden berühren, das Moos, die Gräser: Den Wald mit allen Sinnen spüren – auch darum geht es.
 ?? ?? Waldbaden soll die Achtsamkei­t verstärken.
Waldbaden soll die Achtsamkei­t verstärken.
 ?? ?? Peter Heck ist Walderlebn­istrainer.
Peter Heck ist Walderlebn­istrainer.

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