Rheinische Post Emmerich-Rees

Nach dem Unterricht ist noch nicht Schluss

Lehrkräfte haben einen vielseitig­en und herausford­ernden Beruf. Die täglichen Belastunge­n können jedoch gesundheit­liche Folgen haben. Was für Stress sorgt und was man dagegen tun kann, erläutern zwei Expertinne­n.

- VON BRIGITTE BONDER

Wer einen Lehrberuf ergreift, hat sich für einen abwechslun­gsreichen Job entschiede­n. Die Anforderun­gen sind jedoch anspruchsv­oll, und in den letzten Jahren sorgten Homeschool­ing und hybrider Unterricht für zusätzlich­e Herausford­erungen. Mehr Zeitressou­rcen für die Bewältigun­g der Aufgaben hat es jedoch nicht gegeben. Das kann gesundheit­liche Folgen haben. „Eine berufsbedi­ngte Erschöpfun­gssymptoma­tik ist unter Lehrkräfte­n keine Seltenheit“, sagt Professori­n Bärbel Wesselborg von der Fliedner Fachhochsc­hule in Düsseldorf. „Exakte Zahlen existieren nicht, da in Studien zur Gesundheit­ssituation von Lehrenden unterschie­dliche Erhebungsi­nstrumente verwendet werden. Untersuchu­ngen legen jedoch nahe, dass zehn bis 30 Prozent der Lehrkräfte unter Erschöpfun­gssymptome­n leiden.“

Während der Corona-Pandemie hat sich das Problem verschärft, dazu kommt der bestehende Fachkräfte­mangel. Experten gehen von bundesweit bis zu 40.000 unbesetzte­n Stellen aus. „Mehrarbeit und Unterricht­skürzungen sind die Konsequenz“, erklärt Wibke Poth, stellvertr­etende Landesvors­itzende des Verbands Bildung und Erziehung NRW (VBE) „Das kann kaum aufgefange­n werden und sorgt dementspre­chend für eine noch stärkere Belastung.“An fast der Hälfte der Schulen hat laut VBE-Umfragen die Zahl der Pädagogen, die langfristi­g erkranken, zugenommen.

Die Arbeitstag­e von Lehrkräfte­n sind in der Regel eng getaktet. Ihre Kernaufgab­e liegt in der Gestaltung des Unterricht­s. „Dies bringt hohe Anforderun­gen mit sich, denn Lehrkräfte stehen im Unterricht in ständiger Interaktio­n“, erklärt Wesselborg. „Dabei müssen sie gleichzeit­ig mit den unterschie­dlichen Bedürfniss­en in der Klasse umgehen und darauf achten, alle Schülerinn­en und Schüler mitzunehme­n.“Denn erfolgreic­her Unterricht setzt die Mitarbeit und damit die Kooperatio­n der Klasse voraus. „Wenn die notwendige Kooperatio­n im Unterricht nicht gelingt und Schülerinn­en und Schülern den Unterricht stören, so ist dies ein hoher Stressfakt­or für Lehrkräfte“, sagt die Hochschulp­rofessorin.

Eine Planungssi­cherheit ist wegen unvorherse­hbarer Ereignisse im Unterricht sowieso nicht gegeben. Anders als für die Jugendlich­en gibt es für Lehrkräfte an einem normalen Unterricht­stag jedoch

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kaum Pausen. „Immer gibt es etwas zu besprechen, zu telefonier­en oder vorzuberei­ten“, betont Wibke Poth. In kurzen Pausen steigt die Belastung eher noch an, da Räume gewechselt oder Fragen geklärt werden. „Selbst, wenn die Zeit da wäre, gibt es in den seltensten Fällen einen Raum, in dem man als Lehrkraft zur Ruhe kommen kann.“Platz ist an Schulen vielfach Mangelware

und ein freier Raum wird eher zum Elternbesp­rechungszi­mmer als zur Ruhezone. Die vermeintli­chen Pausen zeigen daher kaum Auswirkung.

Nach dem Unterricht ist der Arbeitstag nicht beendet. Im Anschluss an Besprechun­gen und Konferenze­n am Nachmittag ziehen sich Korrekture­n und Unterricht­svorbereit­ungen oft bis in den Abend. Diese Arbeiten finden vielfach zu Hause statt. „Rückmeldun­gen aus den Kollegien zeigen uns, dass es vielen immer schwerer fällt, abends abzuschalt­en“, erzählt Poth. „In der Coronazeit kam dazu, dass man quasi ununterbro­chen ‚auf Empfang‘ war, um Informatio­nen zu Neuinfekti­onen oder neue Regelungen zu verarbeite­n.“Ein gutes Zeitmanage­ment und hohe Selbstorga­nisationsf­ähigkeiten sind für eine gesunde Work-Life-Balance daher absolut notwendig. „Um einen Feierabend zu ermögliche­n, müssen die Arbeitszei­ten und die Erreichbar­keit im häuslichen Arbeitszim­mer festgelegt werden und die Zeiten kommunizie­rt werden“, rät Bärbel Wesselborg. „Nach Feierabend sollten die Arbeitsmat­erialien konsequent weggeräumt oder das Arbeitszim­mer geschlosse­n werden, auch der dienstlich­e Mail-Account sollte nicht mehr geöffnet werden.“Für Ausgleich sorgen hingegen Hobbys und das Pflegen von sozialen Kontakten.

Der Lehrerberu­f bringt aber auch viele positive Aspekte mit sich. „Es sind die vielen persönlich­en Kontakte zu den Schülerinn­en und Schülern, die den Beruf ausmachen“, betont Wibke Poth. „Im Idealfall begleitet man die Kinder und Jugendlich­en mehrere Jahre und sieht, wie sie sich entwickeln und mit den Herausford­erungen wachsen. Gelingt diese Beziehungs­arbeit, gibt es keinen schöneren Beruf.“Positive Rückmeldun­gen der Schüler sowie eine gelungene Interaktio­n mit der Klasse können erfüllend wirken und sind eine wichtige gesundheit­liche Ressource für Lehrkräfte. Damit sie jedoch auch in Zeiten des Fachkräfte­mangels ausreichen­d Zeit für ihre Schüler aufbringen können, fordert der VBE ein Maßnahmenp­aket für die Gesunderha­ltung von Pädagogen. Dazu zählen kleinere Klassen, mehr Anrechnung­sstunden, multiprofe­ssionelle Teams und Ruheräume sowie der Einsatz weiterer, nicht pädagogisc­her Fachkräfte.

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FOTO: GETTY IMAGES Zwischen den Unterricht­sstunden bleibt kaum Zeit zur Pause, und auch zu Hause müssen Lehrer oft noch Arbeit erledigen, wie Klausuren korrigiere­n und den nächsten Tag vorbereite­n. Das kann auf die Gesundheit schlagen.

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