Durch die Schweiz des Nordens
Der Norden ist platt wie eine Flunder? Weit gefehlt! Die Holsteinische Schweiz verspricht hügelige Wald- und Seenlandschaften. Und wo sonst radelt man auf einer Prinzeninsel oder stöbert im Liebesbriefkasten einer uralten Eiche?
Keine zwei Kilometer vom Startpunkt der Tour im Luftkurort Bad MalenteGremsmühlen geht es direkt 147 Stufen hinauf. Der kleine Abstecher lohnt – was für eine Aussicht! Der Rundumblick schweift über tiefblaues Wasser, umrahmt von hügeligen, goldenen Äckern, von Wiesen und Wäldern. Sogar die Ostsee schimmert am Horizont.
Das Gipfelgefühl auf dem 30 Meter hohen Holzbergturm könnte nicht besser passen, schließlich thront die Aussichtsplattform ihrerseits auf einem Hügel inmitten der Holsteinischen Schweiz, einer eiszeitlich geschaffenen Moränenlandschaft, durchzogen von Auen und gespickt mit über 150 Seen. So ist der Ausguck auch eine perfekte Vorschau auf die Strecke, die es heute zu erradeln gilt: die FünfSeenRundtour von Malente über Plön – und zurück.
Dass der vermeintlich platte Norden den Beinamen „Schweiz“trägt, ist einem umtriebigen Geschäftsmann zu verdanken: Johannes Janus. Dieser erkannte das Potenzial der lieblichen Plöner Seenlandschaft bereits Ende des 19. Jahrhunderts. Und Janus war es, der die ersten Landungsstege, Aussichtspunkte und Ausflugsdampfer am Kellersee realisierte und schließlich nicht nur seinem Hotel den Namen „Holsteinische Schweiz“verpasste, sondern sogar eine Bahnstation offiziell danach benennen ließ.
Vor allem unter wohlhabenden Gästen aus Hamburg sprach sich die grünblaue Oase schnell herum – aus heutiger Sicht Marketing par excellence. Auch wenn Janus längst seine ewige Ruhe fand und das historische Hotel nicht mehr existiert: die Holsteinische Schweiz ist geblieben. Und immerhin: Der Bungsberg in Ostholstein, SchleswigHolsteins „Zugspitze“, ragt genauso hoch empor wie das höchste Bürogebäude der Schweiz: 168 Meter – und ist damit ein beliebter Rodelberg. Doch daran ist heute nicht zu denken. Schon am Vormittag klettert das Thermometer Richtung 30 Grad und es wäre geradewegs verlockend, gleich hier, unter dem schattigen Dach des Holzbergturms
die Picknickdecke auszubreiten, doch viel zu groß sind die Radellust auf herrliche Waldund Wiesenwege und die Neugier auf das historische Plöner Schloss, die Prinzeninsel und natürlich das romantische Highlight im Dodauer Forst: die Bräutigamseiche.
Bald säumen mannshohe Rapsfelder die Feldwege und immer wieder glitzert das nahe Blau der Seen, bis ein Pfad vor Plön direkt am Ufer des Schöhsees unter einem kühlenden Blätterdach entlangführt. Anmutig auf einem Hügel gelegen, glänzt das Prunkstück der Region schon von Weitem: das strahlend weiße Plöner Schloss. „Dieses Haus verströmt 400 Jahre Geschichte
und hat ganz unterschiedliche Epochen miterlebt“, erklärt Lars Hellberg auf einer Führung durch das Schloss – vom Gartensaal zum Rittersaal, von prunkvollen Gemächern mit kunstvollen Stuckdecken und Fayenceöfen bis hinunter in die historische Kapelle. Einst war dieses Schloss die Sommerresidenz des dänischen Königs Christian VIII, wurde nach der Übernahme Preußens 1864 unter Kaiser Wilhelm II. zur Kadettenanstalt, und nach dem Zweiten Weltkrieg büffelten hier schließlich Schülerinnen und Schüler: Über ein halbes Jahrhundert diente das Schloss als staatliches Internat.
Und wo ein Schloss steht, ist auch die Prinzeninsel nicht
weit. Ihren Namen erhielt sie durch die sechs Söhne Kaiser Wilhelms II. Über den Schlossgarten führt ein Sandweg hinab auf die rund anderthalb Kilometer in den See hineinragende Halbinsel. Uralte Hainbuchen und Stieleichen streben ins Himmelblau. Es ist wunderbar, durch den würzigen, Schatten spendenden Wald zu radeln, während links und rechts das Wasser hervorblitzt. In der Ferne schiebt eine erfrischende Brise weiße Segel über den Plöner See.
Vorbei am Badestrand geht es entlang der Seeufer wieder zurück Richtung Malente, zur 500jährigen Bräutigamseiche. Seit fast 100 Jahren hat sie eine eigene Postanschrift. Noch län
ger ist es her, dass ein junges Paar unter ihrem Blätterdach Hochzeit feierte. Und das kam so: Weil der Eutiner Oberforstmeister seiner Tochter den Umgang mit einem Leipziger Schokoladenfabrikanten verbot, tauschte das Pärchen seine Liebesbotschaften heimlich über das Astloch dieses Eichbaums aus – so lange, bis der strenge Vater einer Vermählung zustimmte. Über Kurgäste verbreitete sich dieses Happy End im ganzen Land, was dem knorrigen Baum den Spitznamen „Bräutigamseiche“einbrachte. „Die Eiche ist Romantik pur“, erzählt Karl Heinz Martens. Und der muss es wirklich wissen. 20 Jahre lang war er zuständiger Post
bote für die Bräutigamseiche. Menschen aus aller Welt schicken bis heute Kontaktgesuche an diesen Baum. „Hier gilt das Briefgeheimnis nicht“, meint der heute 76Jährige, „jeder kann die Leiter hinaufklettern, die Briefe aus dem Astloch nehmen, sie lesen oder mitnehmen und beantworten.“
Auch am heutigen Tag ist das Astloch gut gefüllt – Partnergesuche, selbst gemalte Bilder und freundliche Botschaften aus Deutschland, Großbritannien, den USA füllen die kleine Baumhöhle. „Es ist einfach toll, die Leute setzen sich mit einer Thermoskanne Tee auf die Bank, lesen die Briefe und Eichhörnchen flitzen an ihnen vorbei“. Und er verrät noch etwas: „Die Amerikaner wollen sogar einen Spielfilm über die Bräutigamseiche drehen“, auch japanische und italienische Foto und Fernsehteams seien gerade wieder für Interviews vor Ort gewesen. Das mache ihm immer noch viel Spaß.
Nur eines mag Martens nach Jahrzehnten als Postbote, beladen mit schweren Paketen und Briefen, nicht mehr: Radfahren. „Sie können mir das schönste Rad vor die Nase stellen, meinetwegen auch ein EBike, aber ich kann kein Rad mehr sehen“, sagt der Eutiner und lacht. Schade, denn die letzten Kilometer quer durch den Dodauer Forst zurück auf Start sind ein purer Genuss. In Malente wartet eine letzte Belohnung: ein Sprung in den erfrischenden Dieksee – besser als jede Dusche.