Im Netz der Dealer
Messengerdienste wie Telegram spielen beim Handel mit harten Drogen eine immer größere Rolle. Angesichts der steigenden Zahl von Toten wirft die SPD im Düsseldorfer Landtag der Landesregierung vor, das Problem zu ignorieren.
In der Landespolitik zeichnet sich ein Streit über den Fokus bei der Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität ab. Die SPD im NRW-Landtag wirft Innenminister Herbert Reul (CDU) vor, einen zentralen Vertriebsweg nicht ausreichend im Blick zu haben: Messengerdienste wie Telegram.
Tatsächlich kommt das Bundeskriminalamt in seinem jüngsten Bundeslagebild Rauschgiftkriminalität zu der Einschätzung: „Vermehrt wird der Handel von Rauschgift über Messengerdienste festgestellt, wobei offen zugängliche Chat-Gruppen als Vertriebswege genutzt werden. Die tatsächlichen Verkaufsgespräche finden dann zumeist in privaten Chats statt.“Die große Nutzerzahl von Messengerdiensten und die dortige umfangreiche Auswahl von Betäubungsmittelangeboten spreche möglicherweise Personenkreise an, die vorher keine Berührungspunkte zum Drogenkonsum gehabt hätten.
Die SPD-Landtagsabgeordneten Ina Blumenthal und Rodion Bakum werfen dem Land nun vor, dass der Markt via Messengerdienst in den Betrachtungen keine zentrale Rolle spielt. In einer Kleinen Anfrage mit dem Titel „Zahl der Drogentoten in NRW verdreifacht – Ist der Landesregierung überhaupt bekannt, wie leicht man heutzutage in Nordrhein-Westfalen an harte Drogen über Telegram kommt?“fordern sie detaillierte Auskünfte.
Tatsächlich verzeichnet das Land einen massiven Anstieg bei den Drogentoten. 693 waren es im Jahr 2021 – eine Verdreifachung gegenüber 2017 und der höchste Stand seit 30 Jahren. Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist beim unerlaubten Handel und Schmuggeln von Rauschgiften im vergangenen Jahr insgesamt 13.408 bekannt gewordene Fälle auf. Zwar ging die Zahl der
zur Anzeige gebrachten Fälle damit leicht zurück, ebenfalls zurück ging allerdings auch die Aufklärungsquote. Das Dunkelfeld dürfte weitaus größer sein.
Die Kritik der Opposition fällt scharf aus. So schreiben die beiden
SPD-Politiker in ihrer Anfrage: „Während Innenminister Herbert Reul unversteuerten Tabak in Shisha-Bars mit einem unglaublich großen Aufgebot an Beamtinnen und Beamten jagt, bleibt die Organisierte Kriminalität im Rauschgifthandel weitestgehend unbehelligt.“
Es reiche bereits das Einschalten der GPS-Ortung auf einem Smartphone und das Öffnen des Messengers Telegram. Dann suche man nach lokalen Gruppen und suche sich aus den Gruppenmitgliedern die eindeutig durch einschlägige Emoticons gekennzeichneten Drogendealer heraus. „Dort bestellt man einfach via verschlüsselter Direktnachricht. Entweder macht man dann einen Ort für die Übergabe aus oder man bekommt es sogar bis an die Haustür geliefert – frei Haus“, heißt es.
Unserer Redaktion liegen Screenshots mehrerer Telegram-Gruppen vor, in denen mehr oder weniger unverhohlen
Cannabis, Kokain, LSD, Ecstasy, Crystal Meth oder Ketamin angeboten werden. Die Angebote beschränken sich dabei nicht nur auf Großstädte wie Köln, Duisburg oder Düsseldorf, sondern stammen auch aus kleineren Städten wie Steinfurt.
Die Fragesteller probierten noch im Landtagsgebäude die Suche selbst aus und wurden in der nahen Umgebung sogleich fündig: „Wenn man im Gebäude des Landtags sitzt und dort mit der Recherche beginnt, öffnet man die Gruppe ‚Wer ist wach?’“. In der Liste der 3710 Gruppenmitglieder stoße man schnell auf Mitglieder mit Nutzernamen wie „SPEED COKE WEED MDMA METH S KITAMINE RITALIN“, mit entsprechenden Emojis versehen.
Die beiden Oppositionspolitiker verlangen nun Details darüber, über welche Erkenntnisse das Land in Sachen Telegram-Drogenhandel verfüge und wie viele polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen bisher in NRW im Zusammenhang mit illegalem Handel von psychotropen Substanzen auf Telegram geführt und abgeschlossen wurden. Zudem erkundigen sie sich nach einem Austausch mit dem Unternehmen Telegram sowie nach gezielten Schulungen für das LKA und die Polizeibehörden vor Ort.
Das LKA NRW erklärte auf Anfrage unserer Redaktion, es sei bekannt, dass Betäubungsmittel über das Internet und insbesondere in sozialen Medien zum Verkauf angeboten würden: „Wir bitten jedoch um Verständnis, dass wir aus polizeitaktischen Gründen keine Angaben zu einzelnen Internetdiensten beziehungsweise den dort durchgeführten Maßnahmen machen können.“Die Landesregierung ließ eine Anfrage unserer Redaktion bis zur Produktion dieser Zeitung zunächst unbeantwortet.