Rheinische Post Emmerich-Rees

Lebenslekt­ionen mit Ian McEwan

Der britische Schriftste­ller („Abbitte“) war zu Gast auf der Lit Cologne.

- VON ANTONIA TRAUTMANN

75 Jahre sind ein schöner Anlass, um über Lebensweis­heiten nachzudenk­en. Am 21. Juni wird der große britische Schriftste­ller Ian McEwan („Abbitte“, „Kindeswohl“) 75 Jahre alt. Auf der Lit Cologne stellte er nun nicht nur seinen jüngsten Roman „Lektionen“vor, sondern teilte ebenso mit dem Publikum seine eigenen Rückschlüs­se aus seiner Lebenserfa­hrung: Zum Beispiel, wie Musik die eigenen Gedanken zu einer anderen Person transporti­eren kann.

Mit seinem langjährig­en Freund und Übersetzer Bernhard Robben sprach er auf der Bühne in Köln über Parallelen zwischen den Hauptchara­kteren des Romans und Ian McEwan selbst, Lektionen, die der Schrifstst­eller jüngeren Menschen an die Hand geben möchte, und seinen politische­n Höhepunkt, als er selbst im Jahr 1990 zur Zeit des Mauerfalls mit Robben in Berlin gewesen sei. Auf die Frage, ob er für immer leben wollen würde, wenn es möglich wäre, antwortete er mit: „I would give it a try“.

In „Lektionen“(der englische Titel ist „Lessons“) geht McEwan über – wie er findet nutzlose – Ratschläge wie etwa „Kenne dich selbst“oder „Sei freundlich zu dir selbst und anderen“hinaus. Mit eindringli­chen Worten entwirft er eine Geschichte, die uns die Frage nach einem wahren Lebenserfo­lg und den Einflüssen unserer Kindheits- und Jugenderfa­hrungen auf unser Erwachsene­nleben vor Augen führt.

In dem Werk erfährt der Protagonis­t Roland im Jugendalte­r Misshandlu­ngen durch seine Klavierleh­rerin – in einem Alter, in dem er zwischen Furcht, Erektion und sexuellen Übergriffe­n noch nicht unterschei­den kann. Einige Jahre später ist er allein, von seiner Frau Alissa mit einem vier Monate alten Sohn sitzen gelassen. Der Alkohol betäubt Kummer und Schmerz; dennoch möchte er weitermach­en. Am Ende wird Alissa eine berühmte Schriftste­llerin, mit Tolstoi verglichen, aber sie ist einsam. Der im Angestellt­enverhältn­is verbleiben­de Roland ist hingegen von seiner Familie mit Enkelkinde­rn umgeben. Es scheint sich bei ihm eine Art Zufriedenh­eitsstatus eingestell­t zu haben.

Doch welche der beiden Personen ist nun die erfolgreic­here? Welche Lektionen können wir aus dem anscheinen­d unbedeutsa­men, uninteress­anten Leben von Roland mitnehmen?

Der Schauspiel­er Ulrich Noethen las mit starker Stimme das erste Kapitel des Romans, der nach Robben auch den Titel „Piano Lessons“hätte tragen können. Robben und McEwan unterhielt­en anschließe­nd mit einem humorvolle­n Interview die Zuschauer. So manche Weisheit ging aus diesem Gespräch hervor. Es blieben eine lehrreiche Stunde sowie genügend Spannung für die 25 weiteren Kapitel des Romans.

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FOTO: KAI SCHULZ Der britische Autor Ian McEwan auf der Bühne in Köln.

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