Wenn die Welt zum Schleier wird
Millionen Deutsche leiden an der altersabhängigen Makuladegeneration. Sie verlieren einen Großteil ihres Augenlichts. So auch Paul Böffgen. Der Weezer hilft anderen, die von der Krankheit betroffen sind – auch um sich selbst zu helfen.
Nach seiner Diagnose fiel Paul Böffgen in „ein schwarzes Loch“. Denn da war sofort die Angst: Was passiert jetzt mit meinem Augenlicht? Werde ich blind? Wie verändert sich mein Leben? 2014 wurde bei dem heute 73-Jährigen die altersabhängige Makuladegeneration (AMD) festgestellt.
AMD ist die häufigste Augenkrankheit in Deutschland, bis zu sieben Millionen Menschen sind von ihr betroffen. Vereinfacht gesagt, verlieren die Sinneszellen an ihrer schärfsten Stelle, der Makula, immer mehr ihre Funktion. Das, was zentral im Blickfeld ist, ist schwer zu erkennen, oft liegt darauf eine Art Schleier, Kontraste sind schwerer wahrzunehmen. Und: Die Krankheit ist chronisch, geheilt werden kann sie nicht.
„Man unterscheidet zwischen der feuchten und der trockenen AMD“, erklärt Andreas Pieper, Augenarzt in Xanten und Geldern. Die trockene AMD entsteht durch Ablagerungen auf der Netzhaut. Bei der feuchten AMD sondern kranke Blutgefäße unter der Netzhaut Flüssigkeit ab. Diese Flüssigkeit sorgt dafür, dass es in der Netzhaut zu Wassereinlagerungen und Einblutungen kommt, was wiederum die Makula schwächt. Bei der feuchten AMD wird zudem nicht nur das Sichtfeld eingeschränkt. Gerade Linien erscheinen plötzlich wellig, wenn man an der Krankheit leidet: Wenn man zum Beispiel im Badezimmer auf die Fugen schaut und diese wellig anstatt gerade sind, sollte man dringend einen Augenarzt aufsuchen. Auch der Amsler-Gitter-Test, den man einfach zu Hause vor dem Computer machen kann, hilft, die Krankheit gegebenenfalls frühzeitig zu erkennen.
Paul Böffges leidet an der feuchten AMD. Dies hat eine gute und eine schlechte Seite: Die gute ist, dass die feuchte behandelbar ist. „Ich bin alle sechs Wochen beim Augenarzt“, sagt Böffgen. Hier bekommt der Patient eine Spritze mit Medikamenten, die die Neubildung von Blutgefäßen verhindern – und
somit quasi dabei helfen, den Status quo der Krankheit einzufrieren und verhindern, dass die Krankheit noch schlimmer wird. Die schlechte Nachricht bei der feuchten AMD ist: Unbehandelt schreitet sie rasch voran und führt schneller zu Sehbehinderungen als die trockenen AMD. Dafür die Erkrankung allerdings um einiges seltener. Über 80 Prozent der Erkrankten leiden an trockener AMD.
Die hingegen sei
„nicht sinnvoll behandelbar“, so Augenarzt Pieper.
Nachdem Böffgen nach seiner Diagnose in das „schwarze Loch“gefallen war, versuchte er, sich dort wieder heraus zu kämpfen. Irgendwann aber wurde er aktiv – und gründete eine Selbsthilfegruppe. Einmal im Monat treffen sich jetzt Betroffene in der Familienbildungsstätte in Geldern, um sich über ihre Krankheit auszutauschen, sich Tipps zu geben, gegenseitig Mut zuzusprechen. „Es ist wichtig, den Leuten zu sagen: Sie werden nicht blind. Zumindest nicht vollblind“, sagt Böffgen. Die Angst vor der Erblindung hatte er nach seiner Diagnose auch, doch sie ist unbegründet. „Die Betroffenen werden nicht vollblind“, sagt auch Augenarzt Pieper. Das heißt: Auch im schlimmsten Fall können die betroffenen Menschen weiterhin ihre Umgebung wahrnehmen.
Der 73-Jährige aus Weeze leitet nicht nur die Selbsthilfegruppe, er ist außerdem als ehrenamtlicher Berater bei Pro Retina, einer gemeinnützigen Patientenvereinigung für Menschen mit Netzhauterkrankungen und deren Angehörige. Hier können sich Betroffene bei ihm melden, wenn sie Fragen zu ihrer Krankheit haben. „Es ist manchmal wichtig, einfach zuhören zu können. Das hilft vielen Menschen schon“, sagt Böffgen. Ihm selbst hilft, dass er aktiv ist, sich mit seiner Krankheit befasst.
AMD ist übrigens keine neue Krankheit. Außerdem ist es eine Krankheit, von der fast ausschließlich ältere Menschen ab dem 50. Lebensjahr betroffen sind. Und: Je älter man wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, an AMD zu erkranken. Früher wäre der Tenor gewesen: Die Person ist eben alt – und sieht deswegen schlecht. „Man konnte ja eh nicht viel daran ändern, die Behandlungsmöglichkeiten waren nicht da“, sagt Augenarzt Pieper. Das hat sich geändert. Inzwischen gibt es endlich Medikamente, die zumindest bei der feuchten AMD verhindern können, dass sich die Krankheit verschlimmert. Neben dem Alter sind genetische Veranlagung, hoher Blutdruck und Rauchen weitere Risikofaktoren.
„Die Menschen sind erst einmal schockiert, wenn sie die Diagnose bekommen“, sagt Pieper. Auch bei ihm in der Praxis komme dann die Frage auf, was man denn jetzt alles noch machen könne – und was nicht. Autofahren zum Beispiel ist im Anfangsstadium nicht verboten. Paul Böffgen fährt trotzdem nicht mehr, obwohl bei ihm nur ein Auge betroffen ist. Auch brauchen viele Menschen Hilfen im Alltag, je nach Grad der Erkrankung. Böffgen zum Beispiel eine Kantenfilterbrille. Sie filtert schädliche Wellenlängen des Lichts und sorgt zudem dafür, dass das Auge Kontraste schärfer erkennt. Böffgen trägt sie, wenn er bei Sonnenschein das Haus verlässt. Um seine Augen zu schützen.
Es ist wichtig, den Leuten zu sagen: Sie werden nicht blind. Zumindest nicht vollblind Paul Böffken (73)