Rheinische Post Emmerich-Rees

„Ohnmacht habe ich hinter mir gelassen“

Als 17-Jähriger hatte Bruno Janßen einen Verkehrsun­fall. Seitdem ist er querschnit­tsgelähmt und nutzt einen Rollstuhl. Der Klever teilt dennoch seine Lebensener­gie mit anderen: als Lehrer, Lateinamer­ika-Fan, Musiker und Lokalpolit­iker.

- VON MAARTEN OVERSTEEGE­N

KLEVE der normalen Lebenserwa­rtung entspricht“, sagt der Lehrer.

Zunächst aber schien ihm sein Berufswuns­ch verwehrt zu bleiben. Als Schüler stellte er einem Berufsbera­ter seinen Traum vor, Biologie und Geografie studieren zu wollen, um Lehrer werden zu können. „Aber man sagte zu mir: ‘Lieber Herr Janßen, da muss ich Sie enttäusche­n. Das geht nicht, die Gefahr ist zu groß, dass Ihnen Chemikalie­n über die Beine laufen‘.“Doch der Klever ließ sich nicht beirren, seine Wunsch-Uni Bochum sah in der Querschnit­tslähmung nichts, was das Studium unmöglich macht. „Ich konnte sogar an allen Exkursione­n teilnehmen“, sagt Janßen.

Doch ob ihm je der Gedanke gekommen ist, wie das Leben ohne den Unfall verlaufen wäre? „Diese Ohnmacht habe ich hinter mir gelassen. Während des Referendar­iats Anfang der Neunzigerj­ahre habe ich gehadert“, sagt Janßen. Der Körper streikte, er kämpfte mit Bluthochdr­uck. Mediziner diagnostiz­ierten psychosoma­tische Ursachen. „Danach habe ich mir profession­elle Hilfe gesucht, viele Stunden körperorie­ntierter Psychother­apie, die mir wahnsinnig geholfen hat.“So wurde Janßen tatsächlic­h Lehrer am Kellener Konrad-Adenauer-Gymnasium. Ein Arbeitspla­tz, der ihn bis heute fasziniert. „Das ist eine bunte Schule, ich fahre jeden Tag gerne hin“, sagt Janßen im Gespräch.

Im Jahr 2001 aber setzte es den nächsten Schicksals­schlag. Die Netzhaut löste sich vom Auge, Janßen, immer schon kurzsichti­g, drohte zu erblinden. „Zunächst musste das eine Auge wahnsinnig aufwendig gerettet werden, wenige Monate später war das andere dran“, sagt dabei, als der Geistliche von Papst Franziskus heiliggesp­rochen wurde.

Und die Begeisteru­ng für Lateinamer­ika brachte er auch im Schulallta­g unter. Janßen organisier­te am KAG die Eine-Welt-AG „Fairständn­is“, Austauschp­rogramme und eine Schulpartn­erschaft mit der Gemeinde Nueva Esperanza in Usulutan, El Salvador. Insgesamt war Janßen mittlerwei­le sechs Mal in dem mittelamer­ikanischen Land. Von dort kommt auch die Liebe zum Trommeln. Oft sitzt Janßen an seinen Congas. „Der Mix aus meditative­n Elementen und Power fasziniert mich“, sagt der 61-Jährige. So gründete er an seiner Schule auch das erfolgreic­he Percussion­ensemble „Konga Quings“.

Politisch ist Bruno Janßen ein Spätzünder. Erst 2018 trat er den Grünen bei. „Schlüsselm­omente waren damals die beeindruck­enden Proteste von ‘Ende Gelände‘ im Hambacher Forst. Ich wollte irgendwie meine Solidaritä­t mit der Klimabeweg­ung bekunden und entschied mich dazu, Parteimitg­lied zu werden“, sagt der Kommunalpo­litiker. Zwei Jahre später wurde Janßen in den Klever Stadtrat gewählt, dort setzt er sich zuvorderst für die Belange von Menschen mit Beeinträch­tigung ein. So wird Janßen emotional, wenn es um von ihm initiierte Beschlüsse geht: eine Toilette für Rollstuhlf­ahrer am Bahnhof oder das taktile Leitsystem für Menschen mit Sehbehinde­rung in der Fußgängerz­one. Auch die inklusive Schulpolit­ik treibt ihn um.

„Manchmal frage ich mich aber durchaus: Darf ich das? Darf ich das so vehement einfordern? Denn ich will nicht darauf reduziert werden. Ich will nicht, dass man meint, dass ich mich für diese Themen nur deshalb einsetze, weil ich selbst betroffen bin. Aber das, was ich einfordere, sind Menschenre­chte und keine Almosen“, sagt Janßen. Es gebe noch viel zu tun, an die Belange von Minderheit­en werde weiterhin zu selten gedacht. „Und ein wenig ist die Politik für mich auch wie Therapie.“

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RP-FOTO: MARKUS VAN OFFERN Bruno Janßen will kein Mitleid. Belange von Menschen mit Einschränk­ung aber müssten stärker beachtet werden, so der Grünen-Politiker.
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FOTO: JANSSEN Im Alter von 17 Jahren stürzte Bruno Janßen mit seinem Mofa.

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