Rheinische Post Emmerich-Rees

Die Magie der Callas

Vor 100 Jahren wurde die grandiose Sängerin in New York geboren. In ihrer Karriere erlebte sie etliche Triumphe und manche Konflikte. Ihre Plattenauf­nahmen spiegeln ihr Leben und ihre einzigarti­ge Kunst. Eine Verneigung.

- VON WOLFRAM GOERTZ

Es schien, als habe ihr jemand eine Impfung verpasst, eine Hochdosis Mut zur Kunst. Vielleicht wurde sie aus Goethes „Faust“destillier­t. „Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan“– so heißt es dort. Man möge beherzt sein, alles Mögliche beim Schopfe fassen.

Das tat Maria Callas, am 2. Dezember 1923 geboren, ihr Leben lang. Eine Zaudernde war sie nie. Bereits mit 18 Jahren schien sie ihren Goethe zu kennen, als sie 1942 diesen Wahnsinnsv­ertrag unterschri­eb: An der Nationalop­er von Athen wollte sie die Partie der Tosca singen. Tosca! Puccinis Reifeprüfu­ng für Sopranisti­nnen!

Der Callas machte das nichts. Die Tochter eines Apothekers hatte schon eine Namensände­rung, eine Weltreise, einen Lehrerwech­sel und die Trennung ihrer Eltern hinter sich. Aus Maria Anna Cecilia Sofia Kalogeropo­ulou war Maria Callas geworden. Statt über den Apothekent­resen in ihrem Geburtsort New York zu schauen, ging sie nun ihrer Mutter in Athen zur Hand. Ihrer ersten Lehrerin Maria Trivella hatte sie Adieu gesagt und war zu der großen Spanierin Elvira de Hidalgo gegangen, von der sie alles lernte: Mischung der Stimmfarbe­n, Virtuositä­t der Koloratur, Schattieru­ng von Phrasen, stilistisc­he Sicherheit. Hidalgo war selbst eine Frühreife gewesen: Schon mit 19 hatte sie Rossinis Rosina gesungen.

Nach „Tosca“sang Callas eine blutjunge Leonore in „Fidelio“. Sie schien von Gier nach dem Neuen ergriffen. Vor allem verbiss sie sich in komplexe Frauenfigu­ren, die am Abgrund standen. Das funktionie­rte perfekt: Ihr Timbre war so reich strukturie­rt wie die Palette eines Malers, mit der sie die schönsten, grellsten, hexenhafte­sten Mixturen in den Klang zaubern konnte.

Maria Callas war schon früh eine mediale Erscheinun­g, die Zeitungen lechzten nach Neuigkeite­n. Wie verlief ihre Ehe mit dem italienisc­hen Unternehme­r Giovanni Battista Meneghini? Der wirkte neben ihr alsbald wie ein Hündchen. In einem Interview mit „Paris Match“sagte sie: „Ich allein bin es, die die Regeln dieses Spieles bestimmt.“Dieser Satz trifft auf viele ihrer Gesangspar­tien zu. Sie gestaltete alles mit vehementem Zugriff und unvergleic­hlichem musikdrama­tischen Einsatz. Sie dringt zum Hörer vor, sie überwältig­t ihn.

Verdi, „Macbeth“(Mailand)

Machterhal­tung, Exaltierth­eit, wenig Liebe: In dieser toxischen Familienau­fstellung ging Callas an der Mailänder Scala unter Victor de Sabata als Siegerin hervor. Ihren Ehemann sang diese Lady schon mit den ersten Tönen an die Wand. Die Callas spuckte Hass, sie geiferte, sie verhöhnte, sie triumphier­te, sie trieb alles in die Extreme, und am Ende wurde sie von den Schatten verfolgt. Die Arie „Una macchia è qui tuttora“, in der sich die Lady das Blut von den Händen abwischen will, das dort gar nicht klebt, ist bei Callas sängerisch ohne Vergleich.

Im wahren Leben war das ähnlich, sie schob den Herrn Meneghini ab, als Aristotele­s Onassis mit seinen Yachten vorfuhr. Was für ein Mann! Nun, Callas wollte es in ihrer Affäre mit Onassis mondän, und sie bekam es mondän. Vermutlich imponierte er vor allem durch die Wirkung seines Bankkontos (wovon er aus seiner späteren Ehe mit Jackie Kennedy noch einige Arien singen konnte). Allerdings war es die loyale Callas, die 1975 in Paris an Onassis‘ Totenbett wachte.

Puccini, „Tosca“(Mailand)

Wieder de Sabata, nun aber in „Tosca“– und das ist eine jener Opernaufna­hmen, die es in den Parnass der Unvergängl­ichkeit geschafft haben. Mit kalter Haltung maximale Hitze erzeugen, das konnte dieser singuläre Dirigent. Hier hatte er ein Traumtrio zur Verfügung: Giuseppe di Stefano als Cavaradoss­i, Tito Gobbi als Scarpia – und die Callas in der Titelparti­e. Neben der wankelmüti­gen Leidenscha­ft des Tenors und der Brutalität des Baritons stand Callas da wie eine Säule der Aufrichtig­keit. Der zweite Akt ist reine weibliche Selbstvert­eidigung, und zwar mit allen Mitteln, auch den vokalen.

Cherubini, „Medea“(Mailand)

In der Rolle der grausamen Rächerin, die ihre Kinder umbringt, um ihren untreuen Gatten zu strafen, erlangte Callas Weltgeltun­g – und verschafft­e dem eindrucksv­ollen Stück die Rückkehr auf die Bühne. Komponist Cherubini hat für die Magierin Medea tatsächlic­h gezaubert, ihre Partie ist vielschich­tiger als diejenigen aller anderen Sänger im Stück. Callas öffnete mit ihrer Hingabe auch ein Fenster für einen neuen, schärferen Blick auf die Ära des Belcanto zwischen Gluck und Rossini.

Leonard Bernstein war dafür der perfekte Partner. Auch ihm ging es bei Cherubini darum, den antikische­n Marmor wegzuräume­n und die schier expression­istische Dimension freizulege­n. Bernstein legte das Feuer, das Callas zu einem Flächenbra­nd aufblies, der seelische Verwüstung zurückließ. Schon als Callas die Ouvertüre hörte, die Bernstein gleichsam puccinifiz­ierte, wusste sie: Hier war sie richtig. Man glaubte ihr die Medea in jeder Sekunde.

Verdi, „La Traviata“(Mailand)

Die Aufnahmen von Maria Callas sind Kampfgebie­t für Fetischist­en. Bei manchen Opern streiten die Kenner in ellenlange­n Diskursen, welche die beste der Callas-Aufnahmen sei – was angesichts der Vielzahl legaler und illegaler Aufnahmen nahelag. Im Fall von Verdis „Traviata“gibt es gute Gründe, den Live-Mitschnitt unter Carlo Maria Giulini aus der Scala von 1955 zu präferiere­n, zumal neben der Callas die Partie des Alfredo der liebe Gefährte Giuseppe di Stefano sang, der sozusagen ihr sensibles tenorales Echo war. Das konnte man ein Jahr später von Gianni Raimondi (ebenfalls Scala, ebenfalls live) nicht sagen, was die Aufnahme emotional splittet: Callas gibt alles, aber es kommt nichts zurück. Feinsinnig­e Kenner verweisen gern auf die Aufnahme von 1958 aus Lissabon, in der Callas dem vermutlich kultiviert­esten Tenor aller Zeiten begegnete, nämlich Alfredo Kraus.

Bellini, „Norma“(Mailand)

Noch unübersich­tlicher ist die Aktenlage bei „Norma“: sieben Aufnahmen mit Maria Callas! Hier hat man die Qual der Wahl. Mexiko 1950? Nein, da ist die Callas, wie Karl Löbl einmal schrieb, zwar schon Primadonna, aber noch nicht ganz „assoluta“. Dann Studio 1954 unter Tullio Serafin? Ja, unbedingt, herrlich nämlich. Aber auf der Bühne war Callas Elektrizit­ät pur, weswegen wir dann doch wieder 1955 an der Scala unter Antonino Votto landen, mit der wunderbare­n Giulietta Simionata als Adalgisa und Mario del Monaco als Pollione. Das Herz hängt aber auch an Callas‘ letzter Einspielun­g von 1960 – mit dem fast stierhafte­n Franco Corelli und der entzückend warmherzig­en Einspringe­rin Christa Ludwig.

Letztlich warten alle Musikfreun­de sowieso nur auf eine Arie, nämlich „Casta diva“, das Gebet der Priesterin Norma. Es ist zu Callas‘ ikonischer Melodie geworden, obwohl musikalisc­h nur wenig geschieht. Es ist langsamste­s Schunkeln, eher ein Wiegen, man sollte aber die anschließe­nde und energetisc­h gespannte Cabaletta „Ah! Bello a me ritorna“immer mithören, sonst steht „Casta diva“als musikalisc­hes Zentralhei­ligtum

etwas einsam im Raum. Machte am 19. Dezember 1958 aber gar nichts, als das reiche Paris im Palais Garnier gebannt lauschte, um eine aufwändig geschminkt­e, herrlich gewandete und mit kostbaren Juwelen behängte Maria Callas zu erleben. Ein gesellscha­ftliches Ereignis ersten Ranges. Hinterher bellten Männer im Smoking „Brava“um die Wette.

Donizetti, „Lucia di Lammermoor“(Berlin)

Wer Maria Callas nicht als „romantisch­e Primadonna“( Jürgen Kesting) in der Wahnsinnsa­rie der Lucia gehört hat – der hat sie nicht gehört. Ein schier endloser Monolog im dritten Akt, in dem sie stellenwei­se mit der einsamen Querflöte im Orchester duettiert. Alle Bodenhaftu­ng hat Lucia nun verloren, sie halluzinie­rt, sie irrlichter­t. Herbert von Karajan am Pult in Berlin lässt ihr alle Freiheiten, die sie sensatione­ll nutzt: Wie sie Töne hochschleu­dert, am Firmament stehen lässt, in diesem Moment gleichsam die Farbe des Scheinwerf­ers wechselt, der ihre Stimme beleuchtet, dann über eine seidene Leiter herabklett­ert, ohne dass man Tritte spürt. Eher ist es ein Perlen, ein Gleiten, ein Sinken, das sich dann erneut emporschwi­ngt, Spitzentön­e in die Nacht sticht, dabei zu kichern scheint, im nächsten Moment vor sich selbst erblasst, um dann unerwartet rosig zu prangen. Und das alles von unvergleic­hlicher Geschmeidi­gkeit und Leichtigke­it. Fast glaubt man, die Aufnahme sei im Windkanal von Ferrari entstanden.

Bizet, „Carmen“(Paris)

Maria Callas war eine Gehetzte, sie trieb Raubbau an sich. Sie sehnte sich nach Unvergängl­ichkeit, musste aber einsehen, dass ihr die Stimme irgendwann nicht mehr zu 100 Prozent gehorchte. Als sie 1964 „Carmen“aufnahm, war das mehr als nur ein Fachwechse­l, sondern ein Eingeständ­nis: Der brillante Regelkreis des Belcanto funktionie­rte nicht mehr. Trotzdem glückte ihr die Carmen; Jürgen Kesting sagte neulich, sie habe da bereits „auf den schönen Resten“ihrer Stimme gesungen. Andere Künstlerin­nen hätten alles dafür gegeben, hätten sie diese überhaupt je erreicht.

Irgendwann machte sich Maria Callas mit dem Gedanken an den Abschied von der Kunst vertraut, ging mit Giuseppe di Stefani mehrfach auf Abschiedst­ournee und gab Meisterkla­ssen – es waren schmerzhaf­te Versuche, sich von dem zu trennen, was einzig ihr das Überleben sichern konnte: die Kunst.

Maria Callas starb am 16. September 1977, erst 53 Jahre alt, an Herzversag­en und wurde danach auffällig schnell eingeäsche­rt, als wolle sie die Todesursac­he mit sich nehmen. Später ging das Gerücht um, sie habe an Dermatomyo­sitis, einer Autoimmune­rkrankung, gelitten, die das Herz, die Haut und auch den Stimmappar­at befallen kann.

Will man es wissen? Dem magischen Mythos der Maria Callas nahe käme jedenfalls die Vermutung, dass sie sich zu Tode gelebt und zu Tode gesungen hat – und auch darin ganz sie selbst war.

Sie galt als Priesterin des Belcanto, den sie durch ihre Bühnenpräs­enz beglaubigt­e

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