Rheinische Post Emmerich-Rees

Wie ein Haus Brände und Kriege überstand

Der „Rote Hahn“ist Ratingens ältestes Fachwerkha­us. Nach dem Zweiten Weltkrieg wäre es beinahe abgerissen worden.

- VON MARITA JÜNGST

Wenn das Haus Oberstraße 23 reden könnte, hätte es viel über Ratingen und seine wechselvol­le Geschichte zu erzählen. Das älteste Fachwerkha­us der Stadt – älter ist nur das Alte Steinhaus, das aber eben kein Fachwerkha­us ist – überstand verheerend­e Feuer, Kriege und entkam auch am Ende einem geplanten Abriss. Es diente Familien als Wohnhaus und ist heute eine Gaststätte, die für alle Ratinger und auswärtige Besucher offen steht.

Doch zurück zu den Anfängen. Die ehemalige Ratinger Stadtarchi­varin Erika Münster datiert den Bau des Hauses auf 200 Jahre nach der Stadterheb­ung, vermutlich um das Jahr 1480. Bauherr war ein Heynricus van dem Broele (Bryll, oder Broille), der im Stadtbuch von 1472 erwähnt wird. Er war zeitweise Landschrei­ber in herzoglich­en Diensten.

Während des Dreißigjäh­rigen Krieges wurde das Haus beschädigt (1641), überstand aber als eines von insgesamt nur drei Häusern diesen Krieg. Danach wurde es umgebaut. Auch der große Stadtbrand von 1738 konnte dem Haus nichts anhaben. Die massive Bandschutz­mauer verhindert­e ein Übergreife­n der Flammen vom Nachbarhau­s.

Im Stadtbuch von 1750 wurde das Haus mit dem Namen „Zum Roten Hahn“bezeichnet. Im Jahr 1839 kaufte die jüdische Familie Waller dieses Haus, das furchtbare­n Bränden in der Stadt standgehal­ten hatte. Hermann Waller betrieb einen geachteten Pferdehand­el. Und ließ die zum Kauf bestimmten Pferde auf einem unbebauten Gelände am alten Stadtgrabe­n weiden. Wie andere, hochgeacht­ete jüdische Familien wohnten Wallers im Stadtkern, die Kinder der Nachbarsch­aft spielten miteinande­r.

Zur Familie gehörte Siegfried Waller, von dem nur Todesort und -datum bekannt sind: 1929 in Berlin. Sein Sohn Bernhard wurde 1908 geboren und emigrierte nach Brasilien. Hugo Waller, 1878 in Ratingen geboren, emigrierte 1938 nach Brüssel.

Sein Sohn Bernhard wiederum, der 1910 in Ratingen zur Welt kam, wurde 1937 hier abgemeldet. Bekannt ist, dass er 1942 nach Theresiens­tadt deportiert wurde und 1944 in Auschwitz umkam. Auch weitere Mitglieder der Familie starben im Konzentrat­ionslager, wenigen anderen gelang die Emigration. Vor dem Fachwerk-Gebäude, den heutigen Suitbertus­stuben,

erinnern heute Stolperste­ine an die ermordeten Ferdinand und Bernhard Waller.

Während der Zeit des Nationalso­zialismus wurde die Adresse des exponiert liegenden Hauses geändert: Es trug die Anschrift-Adolf-HitlerStra­ße 23. Die Stadt Ratingen kaufte das Haus und ließ das Fachwerk wieder freilegen. Und noch einmal blieb das Haus unbeschade­t. Es überstand den schweren Bombenangr­iff auf die Stadt am 22. März 1945, während umliegende Gebäude zerstört oder stark beschädigt wurden. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg wäre das älteste Fachwerkha­us der Stadt dann doch noch fast zerstört worden. Es sollte als Verkehrshi­ndernis einem Parkplatz weichen. Doch massive Proteste der Bevölkerun­g zeigten Wirkung. Der Landeskons­ervator stellte das Haus unter Denkmalsch­utz. Bis zu neun Parteien lebten dann zeitweise gleichzeit­ig in dem kleinen Haus, bis Hans-Willi Poensgen es 1966 von der Stadt Ratingen erwarb.

1967/ 68 erfolgte dann eine grundlegen­de Sanierung des Gebäudes durch Poensgen mit Rekonstruk­tion der ursprüngli­chen Kreuzstock­fenster. Heute sind im ehemaligen „Haus des Bergischen Kanzlers“, auf drei Etagen Plätze für Kunden des Gasthauses reserviert. Seine exponierte Stellung zwischen Oberstraße und Kirchgasse machen das Fachwerkha­us zu einem echten Hingucker.

Und über die Jahrhunder­te hat der Rote Hahn durch seine Standhafti­gkeit bewiesen, dass er sich aus dem Stadtbild nicht so einfach entfernen lässt.

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FOTO: ACHIM BLAZY Ein Hingucker: Das älteste Ratinger Fachwerkha­us beherbergt die Suitbertus-Stuben.

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