Hinter Klostermauern
Mönche, Sex, falsche Wunder und nd ein gigantischer Spendenbetrug: Ein beispielloser Skandal erschüttert die orthodoxe Kirche Zyperns.
Fast täglich gibt es seit mehreren Wochen neue Enthüllungen über die dunklen Geheimnisse eines Klosters auf der griechischen Seite der geteilten Mittelmeerinsel Zypern, dessen Mönche so gar nicht auf dem Weg des Herrn wandelten. Der äußerlich schlichte Konvent liegt gut eine Autostunde von der Hauptstadt Nikosia entfernt in einem abgeschiedenen Gebirgstal. Hier startete die Skandal-Lawine, die durch immer neue schockierende Online-Videos stetig Fahrt aufnimmt. Denn das HabakukKloster war komplett kameraüberwacht, alles ist bestens in Bild und Ton dokumentiert.
So zeigt ein Überwachungsvideo den Klosterabt Nektarios und seinen Adlatus Porfyrios, beide Mitte 30, beim gemeinsamen Sex. In einem viral gegangenen Film verprügelt Porfyrios eine Reinigungsfrau brutal mit seinem Gürtel. Ein vieltausendfach geklicktes
Video illustriert, wie die beiden Mönche ein Kreuz mit „heiligem Myrrhe-Cocktail“für ein vorgetäuschtes Wunder präparieren.
Dann sieht man Nektarios, wie er Nonnen einschärft, die frohe Botschaft bloß nicht herumzuerzählen, um
„nicht Scharen von Pilgern anzulocken“. Dabei ging es den geschäftstüchtigen Klerikern genau darum: mithilfe von „Wundern“Tausende Euros von gutgläubigen Besuchern einzustreichen.
„Sind die Mönche so dumm, dass sie all diese Dinge taten, obwohl sie die Überwachung in ihrem Kloster kannten?“, fragte die Zeitung „Cyprus Mail“. Die Antwort lautet: Jein. Sie hatten zwar ganz offensichtlich die Kameras aus Sicherheitsgründen selbst installiert, aber nicht damit gerechnet, dass auch Außenstehende darauf zugreifen könnten. Doch dafür hatte der zuständige Bischof Isaias (55) aus der Diözese Tamassos gesorgt, als er seinen Bruder, der beim Geheimdienst arbeitet, offenbar heimlich eine Abhörleitung legen ließ.
Laut der griechischen Zeitung „Kathimerini“diente der bischöfliche Lauschangriff einerseits der Ausspähung der Mönche und andererseits „weitgehend als Erpressungswerkzeug“. Denn Isaias argwöhnte, dass ihm die Ordensleute Gewinne aus ihrem WunderBusiness vorenthielten. Berichte zyprischer Medien legen nahe, dass er die Mönche kurz vor der Razzia selbst mit den Videos konfrontierte und ihren Rücktritt forderte – was diese ablehnten. Daraufhin befahl er den Showdown.
Die Affäre um das Habakuk-Kloster betrifft so viele gesellschaftliche Tabus und lässt die mächtige zyprische Kirche in einem derart dunklen Licht erscheinen, dass die zu rund 90 Prozent christlich-orthodoxen Einwohner der Inselrepublik entsetzt in den Abgrund blicken, der sich vor ihren Augen auftut. Es geht nicht etwa nur um den Bruch des Zölibats oder die geächtete Homosexualität der Mönche, sondern auch um sexuellen Missbrauch und grenzenlose Bereicherung – Tabuthemen auf Zypern, denn Priester gelten als „heilige Männer“und die orthodoxe Kirche als ein Garant der zyperngriechischen Identität. Zyperns Staatspräsident Nikos Christodoulides sprach von einem „Skandal, der die gesamte Gesellschaft erschüttert“.
Die Affäre kam ins Rollen, als die Zeitung „Philelefteros“von der bizarren Razzia in dem kleinen Kloster mit seinen gerade mal neun Mönchen berichtete. Das Blatt enthüllte, dass Bischof Isaias die Polizei um Begleitung gebeten hatte, weil er „wertvolle Stücke, etwa Gold“sicher aus dem erst 2020 gegründeten Konvent abtransportieren müsse. Überwachungsvideos belegen, dass einige SUVs ohne Nummernschilder am Kloster vorfuhren, aus denen rund 40 Männer stiegen, darunter „zehn vermummte Gestalten in dunklen Hoodies“. Sie drangen in die Abtei ein und verschleppten mehrere Mönche. In den folgenden Tagen konnten „Philelefteros“und andere Medien viele Details der Operation enthüllen.
Demnach waren an diesem Überfall Anfang März mehrere Kirchenmitarbeiter beteiligt, dazu reguläre Polizisten, Zivilbeamte – und drei illustre Persönlichkeiten der zyperngriechischen Gesellschaft: ein Ex-Polizeichef, der Vorsitzende der Anwaltsvereinigung und Christos Christou, Chef der rechtsextremen Partei Elam. Von einer Auffrischung der „unheiligen Allianz zwischen Faschisten und der Orthodoxen Kirche“schrieb bereits die „Cyprus Mail“. Die Rechtspartei hatte offenbar auch die maskierten Truppen gestellt.
Bei der Razzia wurden Gold, dazu 807.000 Euro Bargeld und laut der zyprischen Zeitung „Politis“zudem „Sexualhilfsmittel und aufputschende Drogen“beschlagnahmt und dem Bischof übergeben. Die beiden Hauptbeschuldigten bestreiten alle Vorwürfe. Sie beklagten in einem offenen Brief, Opfer der „Korruption zwischen Kirche und Polizei“geworden zu sein, man habe sie „gekidnapped und eingesperrt“. Dann seien sie vom Bischof stundenlang verhört und zu „falschen Geständnissen“gezwungen worden.
Seither gehen sich die verfeindeten Priester gegenseitig öffentlich an die Gurgel. Laut „Philelefteros“versuchte Bischof Isaias zunächst noch, den Streit „innerhalb der Familie zu lösen“– vergeblich. Stattdessen wandten sich Nektarios und Porfyrios an die weltlichen Justizbehörden, nahmen sich Anwälte und wehren sich vehement in Interviews gegen alle Vorwürfe. Im Gegenzug wurden umgehend die kompromittierenden Videos an die Medien durchgestochen. Diese Videobeweise bezeichnen die Mönche allesamt als gefälscht und versuchen ihrerseits, den Bischof in die Schusslinie zu rücken. So erklärte Abt Nektarios im zyprischen Fernsehen, er habe Isaias im vergangenen Jahr Hunderttausende Euro Schwarzgeld übergeben; und nachdem er sich dann weigerte, mehr zu liefern, habe Isaias die Razzia angeordnet. Vor wenigen Tagen beklagte er in einem offenen Brief auf Facebook, dass den Mönchen grundlos „die unvorstellbarsten Dinge“vorgeworfen würden; entschuldigen müsse er sich nur für die „Alltagssprache“, die er und seine Klosterbrüder benutzt hätten.
Tatsächlich war das HabakukKloster eine Art „Wunder-Startup“, wie es die „Cyprus Mail“nannte, das schon ein Jahr nach der Gründung einen legendären Ruf genoss. Abt Nektarios warb auf Youtube mit Videos von Wunderheilungen. Social-Media-Berichte über Ikonen, die Tränen aus heiligem Myrrhe-Öl vergossen, lockten Tausende Pilger aus Zypern und Griechenland zum Konvent. Niemand ahnte, dass die heiligen Männer ihre Wunder mit kleinen Schläuchen hinter den Ikonen erzeugten. „Wenn Gott will, können die natürlichen Dinge und die Naturgesetze umgestürzt werden“, verkündete Nektarios.
Der Weg vom Wunder zur Kasse war kurz. „Das Kloster war eine Riesengeldmaschine unter Ausnutzung der Religiosität“, urteilt Professor Hubert Faustmann, Büroleiter der
SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Nikosia. Bischof Isaias steht inzwischen da wie ein Mafiapate, der seine Untergeben wegen mangelnder Zahlungsmoral abstrafen wollte. Schnell kam heraus, dass er selbst für die Klostergründung und Einsetzung des Abtes verantwortlich war; ebenso wie für die illegale Errichtung des Konvents in einem Naturschutzgebiet.
Im Parlament lehnte die konservative Mehrheit die Forderung der oppositionellen Linkspartei Akel nach einer Untersuchung religiöser Ausbeutung durch die Kirche jedoch ab. „Die Konservativen wollen nicht über die Kirche sprechen“, stellt die junge Politikerin Marina Savva vom Akel-Zentralkomitee fest. Immerhin sprach sich die Nationalversammlung für eine polizeiliche Untersuchung der Affäre aus. Nun ermitteln der Generalstaatsanwalt und das Finanzamt. Das Kloster wurde zwischenzeitlich durchsucht und geschlossen. Bischof Isaias sieht hinter den Vorwürfen eine Kampagne und beschwor die Gläubigen, sich nicht „von den Machenschaften der Feinde der Kirche mitreißen zu lassen“. Doch Akel fordert, dass auch gegen den Bischof ermittelt werde. „Kein Bürger darf einen anderen Bürger einfach festnehmen, verhören oder bedrohen. Die Kirche steht nicht außerhalb des Rechts“, sagt Savva. Zudem müsse geklärt werden, warum sich Isias ausgerechnet auf die faschistische Elam stützte.
Erzbischof Georgios, der Chef der zyprisch-orthodoxen Kirche, hat ein sechsköpfiges Synodalgericht aus Bischöfen eingesetzt, vor dem sich die beiden Mönche wegen „unangemessenen sexuellen Verhaltens“und „finanziellen Fehlverhaltens“verantworten müssen. In den vergangenen Wochen wurden Nektarios, Porfyrios, Bischof Isaias und zahlreiche weitere Zeugen stundenlang befragt. Ein Urteil steht noch aus.
Die Klosteraffäre wirft grundsätzliche Fragen über die Kirche in Zypern und ihr Verhältnis zum Staat auf. Doch am Ende, so befürchten Kritiker wie etwa Marina Savva, könnte alles ausgehen wie der Skandal um die „goldenen EU-Pässe“im Jahr 2020, in den nicht nur hohe zyprische Politiker, sondern auch die orthodoxe Kirche verwickelt waren. Die Gesetze wurden seitdem geändert, verurteilt wurde allerdings niemand.