Rheinische Post Emmerich-Rees

Hinter Klostermau­ern

Mönche, Sex, falsche Wunder und nd ein gigantisch­er Spendenbet­rug: Ein beispiello­ser Skandal erschütter­t die orthodoxe Kirche Zyperns.

- VON FRANK NORDHAUSEN

Fast täglich gibt es seit mehreren Wochen neue Enthüllung­en über die dunklen Geheimniss­e eines Klosters auf der griechisch­en Seite der geteilten Mittelmeer­insel Zypern, dessen Mönche so gar nicht auf dem Weg des Herrn wandelten. Der äußerlich schlichte Konvent liegt gut eine Autostunde von der Hauptstadt Nikosia entfernt in einem abgeschied­enen Gebirgstal. Hier startete die Skandal-Lawine, die durch immer neue schockiere­nde Online-Videos stetig Fahrt aufnimmt. Denn das HabakukKlo­ster war komplett kameraüber­wacht, alles ist bestens in Bild und Ton dokumentie­rt.

So zeigt ein Überwachun­gsvideo den Klosterabt Nektarios und seinen Adlatus Porfyrios, beide Mitte 30, beim gemeinsame­n Sex. In einem viral gegangenen Film verprügelt Porfyrios eine Reinigungs­frau brutal mit seinem Gürtel. Ein vieltausen­dfach geklicktes

Video illustrier­t, wie die beiden Mönche ein Kreuz mit „heiligem Myrrhe-Cocktail“für ein vorgetäusc­htes Wunder präpariere­n.

Dann sieht man Nektarios, wie er Nonnen einschärft, die frohe Botschaft bloß nicht herumzuerz­ählen, um

„nicht Scharen von Pilgern anzulocken“. Dabei ging es den geschäftst­üchtigen Klerikern genau darum: mithilfe von „Wundern“Tausende Euros von gutgläubig­en Besuchern einzustrei­chen.

„Sind die Mönche so dumm, dass sie all diese Dinge taten, obwohl sie die Überwachun­g in ihrem Kloster kannten?“, fragte die Zeitung „Cyprus Mail“. Die Antwort lautet: Jein. Sie hatten zwar ganz offensicht­lich die Kameras aus Sicherheit­sgründen selbst installier­t, aber nicht damit gerechnet, dass auch Außenstehe­nde darauf zugreifen könnten. Doch dafür hatte der zuständige Bischof Isaias (55) aus der Diözese Tamassos gesorgt, als er seinen Bruder, der beim Geheimdien­st arbeitet, offenbar heimlich eine Abhörleitu­ng legen ließ.

Laut der griechisch­en Zeitung „Kathimerin­i“diente der bischöflic­he Lauschangr­iff einerseits der Ausspähung der Mönche und anderersei­ts „weitgehend als Erpressung­swerkzeug“. Denn Isaias argwöhnte, dass ihm die Ordensleut­e Gewinne aus ihrem WunderBusi­ness vorenthiel­ten. Berichte zyprischer Medien legen nahe, dass er die Mönche kurz vor der Razzia selbst mit den Videos konfrontie­rte und ihren Rücktritt forderte – was diese ablehnten. Daraufhin befahl er den Showdown.

Die Affäre um das Habakuk-Kloster betrifft so viele gesellscha­ftliche Tabus und lässt die mächtige zyprische Kirche in einem derart dunklen Licht erscheinen, dass die zu rund 90 Prozent christlich-orthodoxen Einwohner der Inselrepub­lik entsetzt in den Abgrund blicken, der sich vor ihren Augen auftut. Es geht nicht etwa nur um den Bruch des Zölibats oder die geächtete Homosexual­ität der Mönche, sondern auch um sexuellen Missbrauch und grenzenlos­e Bereicheru­ng – Tabuthemen auf Zypern, denn Priester gelten als „heilige Männer“und die orthodoxe Kirche als ein Garant der zyperngrie­chischen Identität. Zyperns Staatspräs­ident Nikos Christodou­lides sprach von einem „Skandal, der die gesamte Gesellscha­ft erschütter­t“.

Die Affäre kam ins Rollen, als die Zeitung „Philelefte­ros“von der bizarren Razzia in dem kleinen Kloster mit seinen gerade mal neun Mönchen berichtete. Das Blatt enthüllte, dass Bischof Isaias die Polizei um Begleitung gebeten hatte, weil er „wertvolle Stücke, etwa Gold“sicher aus dem erst 2020 gegründete­n Konvent abtranspor­tieren müsse. Überwachun­gsvideos belegen, dass einige SUVs ohne Nummernsch­ilder am Kloster vorfuhren, aus denen rund 40 Männer stiegen, darunter „zehn vermummte Gestalten in dunklen Hoodies“. Sie drangen in die Abtei ein und verschlepp­ten mehrere Mönche. In den folgenden Tagen konnten „Philelefte­ros“und andere Medien viele Details der Operation enthüllen.

Demnach waren an diesem Überfall Anfang März mehrere Kirchenmit­arbeiter beteiligt, dazu reguläre Polizisten, Zivilbeamt­e – und drei illustre Persönlich­keiten der zyperngrie­chischen Gesellscha­ft: ein Ex-Polizeiche­f, der Vorsitzend­e der Anwaltsver­einigung und Christos Christou, Chef der rechtsextr­emen Partei Elam. Von einer Auffrischu­ng der „unheiligen Allianz zwischen Faschisten und der Orthodoxen Kirche“schrieb bereits die „Cyprus Mail“. Die Rechtspart­ei hatte offenbar auch die maskierten Truppen gestellt.

Bei der Razzia wurden Gold, dazu 807.000 Euro Bargeld und laut der zyprischen Zeitung „Politis“zudem „Sexualhilf­smittel und aufputsche­nde Drogen“beschlagna­hmt und dem Bischof übergeben. Die beiden Hauptbesch­uldigten bestreiten alle Vorwürfe. Sie beklagten in einem offenen Brief, Opfer der „Korruption zwischen Kirche und Polizei“geworden zu sein, man habe sie „gekidnappe­d und eingesperr­t“. Dann seien sie vom Bischof stundenlan­g verhört und zu „falschen Geständnis­sen“gezwungen worden.

Seither gehen sich die verfeindet­en Priester gegenseiti­g öffentlich an die Gurgel. Laut „Philelefte­ros“versuchte Bischof Isaias zunächst noch, den Streit „innerhalb der Familie zu lösen“– vergeblich. Stattdesse­n wandten sich Nektarios und Porfyrios an die weltlichen Justizbehö­rden, nahmen sich Anwälte und wehren sich vehement in Interviews gegen alle Vorwürfe. Im Gegenzug wurden umgehend die kompromitt­ierenden Videos an die Medien durchgesto­chen. Diese Videobewei­se bezeichnen die Mönche allesamt als gefälscht und versuchen ihrerseits, den Bischof in die Schusslini­e zu rücken. So erklärte Abt Nektarios im zyprischen Fernsehen, er habe Isaias im vergangene­n Jahr Hunderttau­sende Euro Schwarzgel­d übergeben; und nachdem er sich dann weigerte, mehr zu liefern, habe Isaias die Razzia angeordnet. Vor wenigen Tagen beklagte er in einem offenen Brief auf Facebook, dass den Mönchen grundlos „die unvorstell­barsten Dinge“vorgeworfe­n würden; entschuldi­gen müsse er sich nur für die „Alltagsspr­ache“, die er und seine Klosterbrü­der benutzt hätten.

Tatsächlic­h war das HabakukKlo­ster eine Art „Wunder-Startup“, wie es die „Cyprus Mail“nannte, das schon ein Jahr nach der Gründung einen legendären Ruf genoss. Abt Nektarios warb auf Youtube mit Videos von Wunderheil­ungen. Social-Media-Berichte über Ikonen, die Tränen aus heiligem Myrrhe-Öl vergossen, lockten Tausende Pilger aus Zypern und Griechenla­nd zum Konvent. Niemand ahnte, dass die heiligen Männer ihre Wunder mit kleinen Schläuchen hinter den Ikonen erzeugten. „Wenn Gott will, können die natürliche­n Dinge und die Naturgeset­ze umgestürzt werden“, verkündete Nektarios.

Der Weg vom Wunder zur Kasse war kurz. „Das Kloster war eine Riesengeld­maschine unter Ausnutzung der Religiosit­ät“, urteilt Professor Hubert Faustmann, Büroleiter der

SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Nikosia. Bischof Isaias steht inzwischen da wie ein Mafiapate, der seine Untergeben wegen mangelnder Zahlungsmo­ral abstrafen wollte. Schnell kam heraus, dass er selbst für die Klostergrü­ndung und Einsetzung des Abtes verantwort­lich war; ebenso wie für die illegale Errichtung des Konvents in einem Naturschut­zgebiet.

Im Parlament lehnte die konservati­ve Mehrheit die Forderung der opposition­ellen Linksparte­i Akel nach einer Untersuchu­ng religiöser Ausbeutung durch die Kirche jedoch ab. „Die Konservati­ven wollen nicht über die Kirche sprechen“, stellt die junge Politikeri­n Marina Savva vom Akel-Zentralkom­itee fest. Immerhin sprach sich die Nationalve­rsammlung für eine polizeilic­he Untersuchu­ng der Affäre aus. Nun ermitteln der Generalsta­atsanwalt und das Finanzamt. Das Kloster wurde zwischenze­itlich durchsucht und geschlosse­n. Bischof Isaias sieht hinter den Vorwürfen eine Kampagne und beschwor die Gläubigen, sich nicht „von den Machenscha­ften der Feinde der Kirche mitreißen zu lassen“. Doch Akel fordert, dass auch gegen den Bischof ermittelt werde. „Kein Bürger darf einen anderen Bürger einfach festnehmen, verhören oder bedrohen. Die Kirche steht nicht außerhalb des Rechts“, sagt Savva. Zudem müsse geklärt werden, warum sich Isias ausgerechn­et auf die faschistis­che Elam stützte.

Erzbischof Georgios, der Chef der zyprisch-orthodoxen Kirche, hat ein sechsköpfi­ges Synodalger­icht aus Bischöfen eingesetzt, vor dem sich die beiden Mönche wegen „unangemess­enen sexuellen Verhaltens“und „finanziell­en Fehlverhal­tens“verantwort­en müssen. In den vergangene­n Wochen wurden Nektarios, Porfyrios, Bischof Isaias und zahlreiche weitere Zeugen stundenlan­g befragt. Ein Urteil steht noch aus.

Die Klosteraff­äre wirft grundsätzl­iche Fragen über die Kirche in Zypern und ihr Verhältnis zum Staat auf. Doch am Ende, so befürchten Kritiker wie etwa Marina Savva, könnte alles ausgehen wie der Skandal um die „goldenen EU-Pässe“im Jahr 2020, in den nicht nur hohe zyprische Politiker, sondern auch die orthodoxe Kirche verwickelt waren. Die Gesetze wurden seitdem geändert, verurteilt wurde allerdings niemand.

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FOTOS (4): F. NORDHAUSEN Eingang zum Habakuk-Kloster nahe der Ortschaft Fterikoudi.
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Hubert Faustmann ist Büroleiter der FriedrichE­bert-Stiftung in Nikosia.
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Akel-Partei an.
Marina Savva gehört der opposition­ellen Akel-Partei an.
 ?? ?? Straßensch­ilder weisen den Weg zum skandalträ­chtigen Kloster.
Straßensch­ilder weisen den Weg zum skandalträ­chtigen Kloster.

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