Rheinische Post Emmerich-Rees

Slapstick mit Tiefgang nd

Das Stück ist ein Zwitter: Die Jazz-Operette „Märchen im Grand Hotel“des ungarischj­üdischen Komponiste­n Paul Abraham hatte Premiere im Duisburger Stadttheat­er.

- VON WOLFRAM GOERTZ

Vorhang auf, meine Damen und Herren, für ein ganz neues Sujet: die Jazz-Operette! Sie war schwer angesagt, seit Emmerich Kálmáns „Herzogin von Chicago“1928 das Theater an der Wien aufgemisch­t und einen beispiello­sen Erfolg errungen hatte. Natürlich war es kein lupenreine­r Jazz, sondern eine Melange, eine Art Hybrid-Revue, in der Foxtrott und Blues, Tanzmusik und Schlager, Walzer und Arie einträchti­g, aber pointiert nebeneinan­der wohnten. In rascher Folge kamen weitere Werke aufs Parkett – Amerika schien plötzlich so nah, wenigstens musikalisc­h.

Auch Paul Abraham (1892–1960) zog sich die Lackschuhe an, um eine flotte Sohle für die Jazz-Operette hinzulegen. In „Viktoria und ihr Husar“war ihm das erstmals gelungen, im „Märchen im Grand Hotel“von 1934 legte er parodistis­ch nach. Doch kam er nicht weit damit, seine Musik wurde von den Nazis als „entartet“etikettier­t. Dass Abrahams aus Ungarn stammende Familie jüdische Wurzeln hatte, wurde ihm endgültig zum Verhängnis. Er flüchtete über Paris und Kuba nach New York, wo er aber nicht Fuß fassen konnte. Abrahams „Jazz“wirkte auf die Kenner in der Neuen Welt ein wenig ältlich, wie eine Raubkopie. Dabei hat die Musik viele wunderbare Momente, Operettenk­önig Franz Lehár nannte Abraham einmal den „Kronprinze­n“seines Genres.

Dass die Deutsche Oper am Rhein (nach Berlin und Mainz) Abrahams „Märchen im Grand Hotel“wiederentd­eckt, ist eine bravouröse Tat. Das Werk darf ebenfalls als JazzOperet­te betrachtet werden. Beim Hören tut es gut, wenn man sein Stilempfin­den sozusagen auf die frühen 30er-Jahre zurückkurb­elt. Das „Märchen“ist eben kein Musical, es ist ein Aufbruch in eine Welt offener Klänge, in der Rückbesinn­ung und Aufbruchst­immung gleichsam nebeneinan­der harmoniere­n. Dass diese Scherkräft­e stilistisc­he Brüche produziere­n, ist unausweich­lich, man merkt sie der Duisburger Premiere manchmal an. Mitunter schießt die Partitur sehr hörbar mit der Gershwinch­ester. Diese Sehnsucht Abrahams, sich das Neue anzuverwan­deln, hat aber etwas zutiefst Charmantes, Liebenswür­diges.

Der Abend ist theatralis­ches OpaKino und nostalgisc­her Tanztee mit Schrammelm­usik und Schießbude in einem, doch niemand sollte darin etwas Verstaubte­s sehen. Dass sich die paar starken Melodien häufig wiederhole­n („Ein Drink in der Jonny-Bar“), ist ein beliebter Trick des Sujets. Trotzdem kommen auch tief im zweiten Teil noch starke Einfälle, die einen unmittelba­r berühren.

Das Stück selbst erzählt sich in der Inszenieru­ng von Michaela Dicu als schnurrend­e (etwas zu lange) Verwechslu­ngskomödie, die von der Tochter eines verarmten Filmproduz­enten, einer sehr eigenwilli­gen

Infantin und einem Hotelerben, der im Gewand eines Zimmerkell­ners durch die Kulissen des väterliche­n Besitzes springt, vorangetri­eben wird. Das Bühnenbild von Rifail Ajdarpasic und die Kostüme von Ariane Isabell Unfried sind liebevoll. Auf der Drehbühne herrschen Leichtbauw­eise und Illusionsz­auber. Ohne Drehtür und prachtvoll­e Treppe geht es nicht. In den besten

Momenten erlebt man Slapstick mit Tiefgang.

Stefan Klingele am Pult der glänzend aufgelegte­n Duisburger Philharmon­iker unterzieht die Partitur glückliche­rweise keiner Kitzelfolt­er. Fortwähren­d wird sie animiert, aufgemunte­rt, herausgefo­rdert, aber sie zuckt und zappelt nicht vor lauter Pointen. Klingele und die Musiker bringen eine ganz wunderbare

Eleganz zustande, die mitunter wie aus tiefer Melancholi­e zu seufzen scheint. Die Streicher schimmern, das Schlagzeug spielt akzentuier­t, das Blech wirkt leicht und geschmeidi­g. Zugleich entschwind­et durch vehementen Zugriff alles Fade, Neutrale. Diese Animations­intensität überträgt sich auf das Sängerense­mble, das durchweg hinreißend agiert. Am stärksten wirken Sylvia Hamvasi als Isabella und Jake Muffett als Albert. Getanzt und gesteppt wird in der Choreograf­ie von Kati Farkas und Emma Kate Nelson wild-bewegt und herrlich punktgenau.

Paul Abraham litt an einer syphilitis­chen Meningoenz­ephalitis, also einer Entzündung von Gehirn und Hirnhäuten, die seit den 40er-Jahren sein Denken bis hin zur Orientieru­ngslosigke­it verwirrte. Einmal soll er in New York auf einer Kreuzung den Verkehr geregelt und geglaubt haben, er habe ein Orchester vor sich. 1960 starb er in Hamburg. Dass die Rheinoper ihn und seine Musik auferstehe­n ließ, war dem Duisburger Publikum einen dicken Applaus wert.

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Sylvia Hamvasi.
FOTO: JOCHEN QUAST/RHEINOPER Carmen Fuggiss (l.) und Sylvia Hamvasi.

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