90 Jahre Lokalgeschichte
Vor neun Jahrzehnten übernahm die Familie Schmitz die Gaststätte „Haus Bresserberg“. Das Lokal thront über Kleve, hat zwei Weltkriege überstanden und ist reich an Geschichte. Tochter Marie-Luise führt es mit 87 Jahren noch heute.
Es ist ein Samstag von vielen am „Haus Bresserberg“. Auf dem Parkplatz stehen unsortiert Autos herum. Die Kennzeichen deuten darauf hin, wie bekannt die Gaststätte auf dem Klever Berg ist: Duisburg, Mülheim – auch das Ruhrgebiet fühlt sich hier wohl. Das Lokal ist über die Stadtgrenzen hinaus beliebt. Seit Jahrzehnten gilt es als erste Adresse für Amüsierwillige an den Wochenenden. Jetzt wird das Haus 90 Jahre alt.
Wirtin Marie-Luise Klar führt die Gaststätte mit Geschichte. Die 87-jährige Dame ist besser unter dem Namen „Puppa“Schmitz bekannt. Ihre Mutter Paula hatte ihr den Namen gegeben, da Marie-Luise bereits im zarten Alter Männer jenseits der Theke mit obergärigen Getränken versorgte. „Puppa, zapf doch noch ein paar Pils“, sagte sie einst. Heute ist Puppa die ungekrönte Königin in der Klever Gastronomie und steht noch im hohen Alter hinter der Theke. „Wenn es den Laden nicht mehr gäbe, wäre ich auch nicht mehr da“, sagt sie. Schmitz blickt auf ein Leben zwischen Wirtschaft und Wohnung zurück, das allein durch die Treppe in den ersten Stock des Gebäudes getrennt ist.
Die 90-jährige Geschichte des Haus Bresserberg begann für die Familie Schmitz 1934. Zunächst pachteten Puppas Eltern Gottfried und Paula Schmitz das heruntergekommene Gasthaus. Nach einigen Umbauten startete der Betrieb. 1941 ging es dann in ihren Besitz über. Gekauft hatten es die Eheleute vom Kreis Kleve. Zuvor gehörte das Areal dem Klever Schuhfabrikanten Gustav Hoffmann. Er hatte unter anderem die Terrasse vor dem Haus ausgebaut und die Tennisplätze angelegt. Aufgrund einer finanziellen Durststrecke musste Hoffmann die Flächen an die Behörde verkaufen. „Meine Eltern haben es damals zu einem Schnäppchenpreis gekauft. Die vom Kreis waren froh, dass sie es los waren“, erzählt die Gastwirtin.
Die Eltern von Marie-Luise Klar stammen beide aus der Gastronomie. Der Vater vom Klever Hotel „König von Preußen“, die Mutter vom Kranenburger Jägerhof. „Sie wussten, wie man eine Gaststätte führt.“Bei den Erzählungen hebt die 87-Jährige immer ihre Mutter hervor, wenn es um den Erhalt der Gaststätte ging: „Sie hat dafür gekämpft, dass wir das Lokal halten konnten.“
In den Kriegsjahren ging es darum, irgendwie über die Runden zu kommen. Deutsche Soldaten wurden in der Gaststätte einquartiert und sorgten für eine solide Einnahmequelle.
Sie lagen bis an die Theke heran, tranken Jägermeister und rannten den Mädchen mit dem Säbel hinterher, so Puppa. Vater Schmitz war als Major im Krieg. Sein Sold wurde immer sofort an den Kreis überwiesen, um die Schulden für den Kauf abzubezahlen. Als die Front näherkam, mussten Marie-Luise und ihre Mutter nach Westfalen fliehen. Was sie bei der Heimkehr vorfanden, war besser, als man befürchten musste. „Zwei Zimmer standen noch, in der Gastwirtschaft fehlten nur ein paar Fenster“, sagt Puppa. Es dauerte nicht lange, bis das Haus Bresserberg wieder die Türen öffnete. Auf den Tischen standen damals zunächst Dosen, gefüllt mit Öl und einem Docht darin, die für Licht sorgten. Strom gab es nicht.
Aber die Wintermonate bereiteten Sorgen. In denen kamen die Umsätze nahezu völlig zum Erliegen. Allein einige Nikolaus- oder Weihnachtsfeiern wie von der Schuhfabrik Rogmann oder dem Klever Kaufhof sorgten in der in den dunklen Monaten für Einnahmen. Paula Schmitz wollte die mageren Zeiten mit Motto-Partys überbrücken. „Moulin Rouge“nannte sie eine. Puppa ist diese in besonderer Erinnerung geblieben. „Plötzlich standen hier ein paar Holländer vor der Theke und fragten, wo denn nun die Prostituierten seien.“
1954 nahm sich Puppas Vater das Leben. Er litt an Depressionen – die Kriegsjahre, die ständige Sorge, ob das Geld reicht. Damals musste sich die Familie bei Verwandten Geld leihen, um den Kredit abzahlen zu können.
Mit dem Aufschwung der Wirtschaft änderte sich auch die Situation im Haus Bresserberg. Die 60er-Jahre gehörten für Marie-Luise Klar zu den schönsten: „Als der Arbeitslohn noch in einer Tüte verteilt wurde, fand hier regelmäßig der Lohntütenball statt.“Da standen Rechtsanwälte, Arbeiter, Angestellte nebeneinander und vertranken ihre Einkünfte, bis die Sonne wieder aufging. „Ich habe bedient und mitgetrunken. Meine Leber ist trotzdem auch heute noch tipptopp“, sagt die 87-Jährige. 1979 starb Paula Schmitz. Bereits einige
Jahre zuvor führte Puppa den Betrieb nahezu alleine.
Es kamen die Zeiten, in denen mehr Piccolos im Haus Bresserberg getrunken wurde. Die zahlungskräftige Klientel der Tennisspieler kam verstärkt und bevölkerte Terrasse und Theke. Wer es sich leisten konnte, der Klever Tennisvereinigung RotWeiß beizutreten, besaß auch das Geld für höherwertige Speisen und Getränke. Regelmäßig und intensiv feierten die Freunde des weißen Sports große Partys in der Gaststätte. Zu den besten Zeiten stieg die Zahl der Mitglieder auf 600 und die der Tennisplätze auf sieben. Durch die Schließung des Hotel Schweizerhaus erfuhr das Haus einen weiteren Aufschwung.
Für zahlreiche Gäste ist das Haus auf dem Berg noch heute die Anlaufstelle
auf der Suche nach dem Glück oder schlichtweg einem gelungenen Wochenausklang. Wer hierhin kommt, weiß in der Regel, worauf er sich einlässt. Es ist das Gesamtkunstwerk, das die Gaststätte so interessant macht. Das gediegene Ambiente, immer Köpi am Hahn, kein Gedöns, am Wochenende gibt’s Livemusik und Kartenzahlung ist nach wie vor nicht möglich. Hier wird auch Jägermeister, Korn oder Sambuca in Flaschen verkauft. Der Alleinunterhalter auf der Bühne spielt Lieder aus der Kategorie „Du hast mich tausend Mal belogen, du hast mich tausend Mal verletzt…“Es wird Foxtrott getanzt.
Puppa ist keine der üblichen Selbstständigen, die versuchen, gute Geschäfte kleinzureden. „Es ist ein ständiges Auf und Ab. Aber wir haben mit dem Haus und den Plätzen gutes Geld verdient“, sagt sie. Nach der Corona-Zeit geht es wieder bergauf. Die Hausherrin kennt auch die Tage, an denen sich ein paar verlorene Seelen mit ihren Geschichten aus besseren Tagen am Tresen festhielten.
Worauf die 87-Jährige stolz ist: „In unserem Haus war so gut wie nie die Polizei im Einsatz.“Trotz einer Gesellschaft, deren Respekt vor Recht und Gesetz zunehmend schwächer ausgeprägt ist. Einen Türsteher hat das Haus nicht. „Ich habe hier immer alles selbst geklärt“, sagt Puppa und erklärt: „Gründe für Meinungsverschiedenheiten gibt es ohnehin nur zwei. Frauen oder Alkohol.“
Seit Jahren wird ein weiteres Angebot des Hauses gut angenommen: Der Beerdigungscafé an der Fensterfront bietet den Hinterbliebenen einen traumhaften Blick über Kleve hinweg. In den Wintermonaten ist der Friedhof zu sehen, weil das abgefallene Laub die Sicht freigibt. Puppa macht sich keine Sorgen, dass dieses Geschäft einbricht. „Gestorben wird immer“, sagt sie. Auf ihr eigenes Grab kann sie von ihrem Haus auch blicken.
Das Haus Bresserberg wird auch nach ihrem Tod weiterleben. Der Sohn der Chefin wird es jedoch nicht weiterführen. Er ist Lehrer und wohnt nur einige Meter von der Gaststätte entfernt. „Er hat mit der Gastronomie überhaupt nichts am Kopf“, sagt Klar. Dennoch ist die Nachfolge bereits geregelt. Puppas Mitarbeiterin Steffi wird die Traditionsgaststätte übernehmen. „Ich habe das lieber vorher alles geklärt. Gott weiß, wie viel Zeit mir noch bleibt. Ich kann morgen aufwachen und plemplem sein. Aber die Gastwirtschaft, die muss doch weiterlaufen.“Nur schwer vorstellbar, aber das Haus Bresserberg mit seiner Historie hat auch ohne Puppa eine Zukunft.