Beim Hagen-Quartett bleibt diesmal alles in der Familie
Vor zwei Jahren erfüllte sich der Herzenswunsch der Cellistin Julia Hagen: Schuberts Streichquintett mit dem Hagen-Quartett aufzuführen. Es besteht aus Vater Clemens (Cello), Onkel Lukas (Violine),TanteVeronika(Viola)unddem Geiger Rainer Schmidt. Wie gut es ihr gelingt, sich in die Formation einzufügen, die seit mehr als 40 Jahren Weltruhm genießt, war jetzt in der Tonhalle Düsseldorf zu erleben.
Schuberts letztem Kammermusikwerk geht das 2. Streichquartett von Béla Bartók voran, ein düster gefärbtes Stück voller Spannungen, das in der Zeit des Ersten Weltkriegs entstand. Das Hagen-Quartett leistet an diesem Abend, was nur die Besten vermögen: Es zeigt Zusammenhänge auf, zieht Querverbindungen, bis die Kompositionen in neuem Licht erscheinen. Sie schenken dem Publikum eines jener Konzerte, aus denen man klüger herauskommt, als man hineingegangen ist.
Röntgengleich richten die Streicher ihren Blick in die Tiefe. Bartóks Opus 17 gilt als Höhepunkt seiner expressionistischen Phase, wirkt aber nachromantisch-ausdrucksvoll. Die Hagens scheuen sich nicht vor ruppigen Gesten, schärfen die Rhythmik bis an die Grenze zum Geräuschhaften. Bei aller emotionsgeladenen Kraft spüren sie den Schatten zwischen den Zeilen nach: Gefilden der Verlorenheit, die kaum einen Silberstreif am Horizont kennen. Ernst, rätselhaft und ohne Tränen tritt uns das „Lento“entgegen, das fast anklagenden Charakter erhält. Die Musik versinkt in tiefer Resignation.
Die findet sich auch in Schuberts Streichquintett, das nur sieben Wochen vor dem Tod des Komponisten entstand. Es ist das Aha-Erlebnis des Abends, wie Bartóks Tonsprache in dieser Schubert-Interpretation nachzuklingen scheint, obschon dessen Schwanengesang fast ein Jahrhundert früher entstand. Aber auch in ihm gibt es Gesten verzweifelter Gegenwehr, dissonante Reibungen, heftige Einbrüche.
Die fünf Streicher verweigern einen Wohlfühl-Schubert. Sein Quintett wird bei ihnen zu einer Musik am Rande des Verstummens, die ins Stocken gerät, die sich zurückzieht in ein kaum noch hörbares PianoPianissimo. Das Scherzo hat nichts Fröhliches mehr an sich, sondern ist obsessiv. Die erste Geige irrlichtert in höchsten Höhen, als suche sie einen Ausweg. Die oft himmlisch genannten Längen des Adagio werden zum leuchtenden Grabgesang. Es ist der Schubert der „Winterreise“, der hier zu uns spricht: jener, der zu Ende ist mit allen Träumen.