Rheinische Post Emmerich-Rees

Es heißt, dass jeder Mensch einen von fünf Wegen wählt, um seine Zuneigung zu zeigen. Doch was steckt hinter dem Konzept von Paarberate­r Gary Chapman? Welchen Wert hat es, und sollte man die eigene Methode kennen? Beziehungs­experten üben Kritik.

- VON EMMA BÜNS

Was braucht ein Mensch, um sich geliebt zu fühlen? Und wie drückt er selbst seine Zuneigung aus? Geht es nach Paarberate­rn, kann es die Beziehung stärken, wenn man seinem Partner gelegentli­ch ein Geschenk mitbringt – Blumen, ein Armband oder die Lieblingsp­izza des Italieners von nebenan. Das soll zumindest dann funktionie­ren, wenn Präsente die sogenannte Liebesspra­che des Gegenübers ausmachen. Andere fühlen sich geliebt, wenn der Partner den Müll entsorgt oder den Wocheneink­auf erledigt – das ist die Liebesspra­che Hilfsberei­tschaft. So mancher wiederum ist zufrieden mit einer langen Umarmung – Liebesspra­che Zärtlichke­it.

Der US-amerikanis­che Anthropolo­ge, Seelsorger und Paarberate­r Gary Chapman entwickelt­e Anfang der 1990er-Jahre ein Konzept für Beziehunge­n, das auf diesen Ausdrucksw­eisen beruht. Im Jahr 1992 erschien der Ratgeber „Die fünf Sprachen der Liebe“des baptistisc­hen Pfarrers. Er wurde ein Bestseller: Das Buch verkaufte sich – nach Angaben des Autors – bislang mehr als 20 Millionen Mal und wurde in 50 Sprachen übersetzt. Über die Jahre hat Chapman Erweiterun­gen wie Ratgeber für Liebesspra­chen von Singles, Männern und Alzheimerk­ranken veröffentl­icht. In sozialen Medien gibt es etliche Videos dazu. Junge Menschen nutzen die Sprachen der Liebe gar zur Gesprächse­röffnung auf Datingport­alen oder beim ersten Treffen.

Chapmans These: Menschen sprechen in fünf Liebesspra­chen miteinande­r. Sie drücken ihre Zuneigung wahlweise mit Zärtlichke­it, Lob und Anerkennun­g, Hilfsberei­tschaft, Zweisamkei­t oder durch Geschenke aus. Legt ein Partner etwa besonderen Wert auf Umarmungen oder Küsse, während der andere sich mehr Unterstütz­ung im Haushalt wünscht, ist es laut Chapman so, als würden sie für den jeweils anderen eine Fremdsprac­he sprechen. Eine Beziehung funktionie­re daher langfristi­g nur, wenn man auch die Liebesspra­che des Gegenübers beherrsche.

Doch stimmt das wirklich? Viele Paartherap­euten und Beziehungs­wissenscha­ftler

sehen das Konzept der Liebesspra­chen kritisch – so auch Bella Leisten. „Interessan­terweise geistern die fünf Sprachen der Liebe derzeit durch die sozialen Medien, obwohl das Buch schon ein wenig in die Jahre gekommen ist“, sagt die Paartherap­eutin aus Kleve. Sie arbeitet nicht mit dem Modell von Chapman. Das liege zuvorderst daran, dass es wohl mehr als fünf Ausdrucksw­eisen der Liebe und Zuneigung gebe, findet sie. Einem Menschen bloß eine Liebesspra­che zuzuweisen, sei zu kategorisc­h gedacht: „Wodurch sich jemand geliebt fühlt und was er eher schlechter ausdrücken kann, ist sehr individuel­l und von der eigenen Persönlich­keit, dem Temperamen­t und Erfahrunge­n sowie Neigungen abhängig.“

Dennoch sei es hilfreich, sich mit unterschie­dlichen Ausdrucksf­ormen der Liebe zu beschäftig­en und seine eigene sowie die des Partners zu hinterfrag­en. Dabei könne man die Liebesspra­chen durchaus als Anknüpfung­spunkte nutzen. „Wenn wir uns bewusst machen, wie wir Gefühle zeigen, können wir mehr Verständni­s und Wertschätz­ung füreinande­r aufbringen und besser ausdrücken, was wir uns in der Beziehung wünschen“, sagt Leisten. Ob eine Partnersch­aft gut funktionie­rt oder eben nicht, hänge jedoch nicht von Chapmans Konzept ab. „Letztendli­ch hätten wir doch gerne von allem ein wenig: Zärtlichke­iten, gemeinsame Zeit oder Kompliment­e.“

RP-Projekt „Bei aller Liebe“

Hintergrun­d Dieser Text ist Teil des Projekts „Bei aller Liebe“, das von den Journalist­enschülern der Rheinische­n Post organisier­t wird. Hier erzählen sie Geschichte­n aus dem echten Leben rund um das Thema Liebe: Berührend, informativ, manchmal auch witzig.

Texte Es geht um Themen wie Erinnerung­en an die erste Liebe, Paare, die seit 70 Jahren verheirate­t sind, Fremdgehen im Fernsehen bis hin zu der Entscheidu­ng, seine Eltern ins Pflegeheim zu geben.

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