Aktionäre setzen Hiesinger unter Druck
Drei Jahre feierten sie ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger als Hoffnungsträger. Jetzt kippt die Stimmung. Auf der Hauptversammlung machten die Aktionäre deutlich: Hiesingers Schonfrist ist vorbei. Entlastet wurde er gleichwohl.
BOCHUM Die Stimmung unter den ThyssenKrupp-Aktionären kippt. Das war gestern bei der Hauptversammlung im Bochumer Ruhrkongress deutlich zu spüren: Vor einem Jahr klatschten sie noch, als Konzernchef Heinrich Hiesinger ihnen von seinen Erfolgen beim Kulturwandel des Ruhrkonzerns berichtete. Von seinen Plänen für den Umbau des hoch verschuldeten Stahlgiganten, der sich mit einer Serie von Kartellen, Korruptionsvorwürfen und einer milliardenschweren Fehlinvestition in Brasilien an den Rand des Ruins gewirtschaftet hat. Gestern bekam der 53-Jährige kaum noch Beifall. Lauten Applaus ernteten nur noch seine Angreifer.
„Sie rühmen sich, Schlimmeres verhindert zu haben. Aber das kann es ja wohl nicht sein“, sagte Thomas Hechtfischer von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Beim Abwägen der guten und der schlechten Nachrichten seit Hiesingers Amtsantritt vor drei Jahren komme die DSW auf ein Unentschieden. Hechtfischer: „Ihr Vertrag geht in die zweite Halbzeit. Da muss noch was passieren.“Großaktionär Bernd Günther sagte: „Wenn das so weitergeht, kommen Sie in die Rubrik der Versager“.
Im Dezember gab Hiesinger den dritten Milliardenverlust in Folge bekannt. Für das Katastrophenwerk in Brasilien sucht er vergeblich nach Käufern. Sogar seinen bislang größten Erfolg – den Verkauf der kriseln- den Edelstahl-Sparte an die finnische Outokumpu – muss er jetzt teilweise rückabwickeln, weil die Finnen inzwischen selbst in Not geraten sind.
Die Aktionäre, die es in Bochum gut mit ihm meinten, erklärten das mit der Größe der Probleme, die seine Vorgänger ihm hinterlassen haben. Seine Kritiker hielten ihm eigene Fehler vor. Zumindest einen davon räumt Hiesinger ein. Mit Blick auf das Brasilien-Desaster sagte er: „Sicherlich war es ein taktischer Fehler, den Verkauf des Stahlwerks bis zum vergangenen Mai angekündigt zu haben.“In seiner Rede betonte er dann aber überwiegend seine Erfolge. „In allen Geschäftsbereichen, außer in der amerikanischen Stahlsparte, haben wir im vergangenen Jahr ein positives operatives Ergebnis erzielt.“Zum ersten Mal seit sechs Jahren habe ThyssenKrupp einen positiven Mittelzufluss erwirtschaftet. Die Verschuldung sei um 800 Millionen Euro verringert worden. „Das sind greifbare, messbare Erfolge des Veränderungsprozesses“, sagte Hiesinger.
An seiner Strategie, die Stahl-Aktivitäten von ThyssenKrupp zugunsten der Dienstleistungen und des Technologie-Geschäftes einzudampfen, hält er fest. High-Tech statt Hochofen: Das Stahlgeschäft sei zu konjunkturabhängig und binde auch zu viel Kapital. „Am Ende des letzen Geschäftsjahres betrug die Stahlproduktion weniger als 30 Prozent des Umsatzes. 70 Prozent sind also schon Geschäfte mit Industriegütern oder Dienstleistungen“, fasste Hiesinger die jüngere Konzernvergangenheit zusammen. Dass er darin einen Erfolg sieht, dürfte die 14 000 Mitarbeiter im Duisburger Thyssen-Stahlwerk beunruhigen. Zumal Hiesinger die wesentlichen Chancen der Zukunft ohnehin außerhalb von Europa sieht: „Wir stellen nicht erst in den letzten Jahren fest, dass das Wachstum überwiegend außerhalb Europas stattfindet“sagte Hiesinger. Allerdings sei die Brammenherstellung in Brasilien „immer noch teurer als in Duisburg“. Für das laufende Geschäftsjahr kündigte Hiesinger „eine deutliche Verbesserung des Jahresergebnisses in Richtung eines wieder ausgeglichenen Ergebnisses“an.
Trotz aller Kritik haben die Aktionäre Vorstand und Aufsichtsrat am Abend mit großer Mehrheit das Vertrauen ausgesprochen. Für die Entlastung von Hiesinger sprachen sich mehr als 92 Prozent der anwesenden Anteilseigner aus. Auch der erneute Verzicht auf eine Dividende fand Zustimmung.