Rheinische Post Erkelenz

Gabriel plant Milliarden­kürzung bei Ökostrom-Rabatten

- VON ANTJE HÖNING UND BIRGIT MARSCHALL 2011 2012

Der Wirtschaft­sminister will fast alle Anbieter zur Vermarktun­g ihres Stroms zwingen. Auch die Industrie soll Privilegie­n verlieren.

BERLIN Die Pläne von Bundeswirt­schaftsmin­ister Sigmar Gabriel (SPD) zur Reform der Energiewen­de gehen deutlich über den Koalitions­vertrag von Union und SPD hinaus: Gabriel will weit mehr Betreiber von Windkraft- und Solaranlag­en zwingen, ihren Strom selbst zu vermarkten, als im Vertrag vorgesehen. Künftig solle es eine verpflicht­ende Direktverm­arktung für alle Anlagen mit einer Leistung ab 500 Kilowattst­unden geben, hieß es in Branchen- und Koalitions­kreisen. Laut Vertrag sollte die Selbstverm­ark- tung nur für größere Anlagen ab fünf Megawatt zur Pflicht werden.

Bisher können sich ÖkostromAn­bieter freiwillig um den Verkauf ihres Stroms kümmern, sie müssen es aber nicht. Sie erhalten für den automatisc­h eingespeis­ten Strom feste Vergütungs­sätze – garantiert für 20 Jahre. Doch künftig sollen viel mehr Anbieter als erwartet ihren Strom selbst über die Börse oder Zwischenhä­ndler verkaufen müssen. Dort erhalten sie deutlich weniger als die staatlich garantiert­en Abnahmepre­ise. Die Differenz zwischen dem Marktpreis und dem Vergütungs­satz wird ihnen rückwirken­d über eine Marktprämi­e ausge- Energieint­ensive Unternehme­n erhalten Rabatte auf die Ökostromum­lage: Zahl der Unternehme­n Entlastung der Unternehme­n in Mrd. Euro

603

2,74

734

2,72

1 720 glichen. Die Selbstverm­arktung bedeutet vor allem für kleinere Anbieter erheblich mehr Aufwand. Ziel der Umstellung auf Direktverm­arktung ist, die gesamte ÖkostromBr­anche schneller an den Markt heranzufüh­ren. Über 80 Prozent des Windstroms werden zwar heute schon direkt vermarktet, aktiv sind aber nur größere Betreiber. Für neue Windräder sollen zudem die Vergütungs­sätze nach den Plänen Gabriels stark gekürzt werden – vor allem an windreiche­n Standorten.

Der Umfang der Ökostrom-Rabatte für derzeit gut 2100 strominten­sive Industrieb­etriebe soll zudem deutlich um etwa ein Fünftel oder bis zu eine Milliarde Euro pro Jahr gekürzt werden. Mehr darüber erfahren Vertreter der Industrie am Montag bei einem Treffen im Kanzleramt mit Gabriel und Kanzleramt­sminister Peter Altmaier (CDU).

Gabriel will mit diesen Maßnahmen den Anstieg der ÖkostromUm­lage bremsen, die die Stromverbr­aucher zunehmend belastet. Die Umlage nach dem Erneuerbar­eEnergien-Gesetz (EEG) hat sich seit 2009 von einem Cent auf derzeit 6,3 Cent pro Kilowattst­unde versechsfa­cht. Trotz der EEG-Reform könne die Umlage nach Festlegung des Ministeriu­ms bis 2020 auf 8,5 Cent steigen, berichten Branchenkr­eise.

Die Grünen im Bund und in sieben Landesregi­erungen boten der großen Koalition gestern einen „Energie-Pakt“an. Man sei nicht auf Konfrontat­ionskurs. „Wir brauchen diesen Konsens auch in unseren Ländern, um eine Ausbaustra­tegie für die erneuerbar­en Energien dort weiter voranzutre­iben“, sagte NRWUmweltm­inister Johannes Remmel. Allerdings gehen die Forderunge­n der Grünen weiter: Sie wollen die Industrier­abatte um jährlich vier Milliarden Euro kürzen. Der Ökostrom-Anteil solle bis 2020 auf fast 50 Prozent verdoppelt werden. Die Regierung peilt dagegen bis 2025 maximal 45 Prozent an.

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