Das Psychogramm eines genialischen Fälschers
Das frühere Luxusleben dürfte dem Strafgefangenen Wolfgang Beltracchi besser gefallen haben als der Alltag im Knast mit nur gelegentlichem Freigang. Obwohl Ferraris, Schiffe oder Schlösser zu kaufen nicht das Wichtigste im Leben des Kunstfälschers war, bekennt er: „Wir haben den Luxus genossen.“Sein Leben ist und war, glaubt man den Ausführungen in einem Gespräch mit der „Zeit“, die Kunst. Und da der 62-jährige Sohn eines Kirchenmalers aus Höxter auf legalem Weg offenbar nicht berühmt und reich werden konnte, verlegte er sich aufs Illegale.
Des bandenmäßigen Betrugs wurde er 2011 nach 30 aktiven Jahren als Fälscher überführt und zu sechs Jahren Haft im offenen Vollzug verurteilt. Als Fälscher war er etwas Besonderes, einer, der nach Art berühmter Vorbilder malte und seine Bilder unter deren Namen in den Mark schleuste. Rund 30 Millionen Euro soll er damit erwirtschaftet haben, genug, um ein schönes Leben zu führen.
In seinem Atelier in Bergisch Gladbach posiert dieser Tage Beltracchi, der eigentlich Fischer heißt, mit seiner Frau Helene, von der er den Namen übernommen hat. Klingt interessanter, irgendwie künstlerischer. Seit 1992 sind sie ein Paar. Beide haben für heutiges Empfinden extrem lange Haare, er graublond, sie mittelblond mit hennaroten Strähnen. Frisurtechnisch sind sie auf dem Stand der 1960er Jahre stehen geblieben. Beltracchi ist gebräunt, was im Winter auffällt. Es könnte Selbstbräuner sein. Mehr Schein als Sein – das passt zu diesem Mann, dessen Bruder als deutlich weniger wohlhabender und bekannter Maler in der Nähe von Aachen lebt.
In Aachen war einst auch Wolfgang Fischer alias Beltracchi zu Hause; nachdem er des Gymnasiums verwiesen worden war, hat er an der dortigen Werkkunstschule bald sein Studium geschmissen. Es war die Zeit, als Sex, Drugs und Rock’n’Roll viele jüngere Menschen dazu verführten, nicht den geradlinigen Weg einzuschlagen. So auch Fischer. Er ist in jungen Jahren ein Versager, ein Abbrecher gewesen, wie alte Wegbegleiter berichten, zudem ein Rebell. Und ein begabter Maler. Damals in Aachen soll ihm auch die Idee gekommen sein, es mit dem Fälschertum zu versuchen.
Die Beweggründe für seine kriminellen Taten erklärt Beltracchi im „Zeit“-Interview nicht, aber er erklärt dafür gerne, für wie begabt er sich hält. „Manchmal war es das Schwierigste für mich“, sagt er, „nicht so gut zu malen, wie ich konnte.“Er habe Achtung vor der Kunst. Für ihn sei Fälschen ein kreativer Prozess, schließlich sei er nicht Kopist. Wie man denn ein guter Fälscher werde? Begabung sei eine Voraussetzung, sagt er, und Ausbildung. Von seinem Vater, dem Kirchenmaler, habe er das Handwerk gelernt. „Man muss danach sehr gut malen können und kunsthistorisch eine Menge draufhaben.“
Seine Angeberei hält an, obwohl sein kunsthistorisch wohl einmaliger Schwindel aufgeflogen ist. Heute könnte er Bilder malen, die niemand entlarven würde, sagt er. Ja, er beginne wieder mit dem Malen. Der geläuterte Beltracchi versichert aber, dass er nie wieder ein Bild unter falschem Namen auf den Markt bringen will. „Ich bin in jedem Fall auch ein großer Betrüger“, sagt er. „Heute bereue ich das sehr.“Was seine künftigen Bilder kosten werden, vermag er nicht zu sagen.
Helene Beltracchi wurde als Komplizin des Kunstfälschers zu vier Jahren Haft verurteilt, die sie bereits abgesessen hat. Ihr Leben nach dem Auffliegen, das sie „als Erleichterung“empfunden hat, ist in Geheimnisse gehüllt. Dass die beiden sehr vermögend sein sollen, verweisen sie ins Reich der Spekulation. „Wir haben unser Geld weitgehend verlebt“, heißt es. Mit Büchern bessern sie jetzt ihre Kasse auf.
Für ihre zwei Kinder, die gemeinsame Tochter Franziska und Beltracchis Sohn Manu, sei die Verhaftung ein großer Schock gewesen, „vor allem, weil wir mit gezückten Waffen wie Schwerverbrecher aus dem Auto herausgeholt worden sind“. Die bei der Verhaftung 17 und 19 Jahre alten Kinder hätten von dem Doppelleben der Eltern nichts gewusst, man habe ihnen das Leben von Kunsthändlern vorgegaukelt, sagt Helene Beltracchi. Ihre Liebe hat alle Unruhen gut überstanden, sagt sie auch. Als Verbrecherpaar waren sie auf Gedeih und Verderb verbunden, während der 14 Monate währenden Untersuchungshaft haben sie sich täglich Briefe geschrieben, 8000 Seiten an Handschriften werden jetzt veröffentlicht.
Das Gesetzlose haben die Beltracchis offenbar aus dem Alltag ausgeblendet, „wir waren ein Künstlerpaar“, sagt Helene im Rückblick, „wie etwa Christo und Jeanne-Claude“. Als ungeheure Beschönigung und Anmaßung liest sich das angesichts eines Lebens, das auf Lug und Trug aufgebaut ist.