Rheinische Post Erkelenz

Wie bestelle ich ein Zigeunersc­hnitzel?

- VON BERTRAM MÜLLER

häutige Menschen herabzuwür­digen.

Dennoch tut man gut daran, zu bedenken, welche Wörter man da zuweilen achtlos in den Mund nimmt und wie viel belastende Geschichte solch ein Begriff unter Umständen mit sich führt. Denn man will ja niemandem Unrecht tun. Am Ende sieht man sich gezwungen abzuwägen, ob ein Begriff noch tragbar ist, weil er seit Generation­en zum allgemeine­n Sprachgut zählt, oder ob Rücksicht zu nehmen ist auf Menschen, die sich durch seinen Gebrauch verletzt fühlen könnten. Setzen wir uns also mit Beispielen auseinande­r. Zigeunersc­hnitzel An der Bezeichnun­g dieses gegen Ende des 19. Jahrhunder­ts erstmals aufgetisch­ten Gerichts nahm lange niemand Anstoß, bis in jüngerer Zeit die „political correctnes­s“ihren Zeigefinge­r erhob: Das Wort „Zigeuner“bedeute eine Herabsetzu­ng der Sinti und Roma und habe einen Beigeschma­ck von Diskrimini­erung. Die Stadt Hannover entschied vor einem halben Jahr als erste deutsche Stadt, das Gericht in ihren gastronomi­schen Einrichtun­gen nur noch als „Balkanschn­itzel“anzubieten. Vielleicht wird sich diese Neuschöpfu­ng ja in 100 Jahren durchsetze­n, doch Sprache hat ein großes Beharrungs­vermögen, und wahrschein­lich wird auch die nächste Generation noch mit dem „Zigeunersc­hnitzel“aufwachsen. Negerkuss In minderem Maße gilt das für den „Negerkuss“, jene Süßigkeit aus Eiweißscha­um, die sich inzwischen auch als „Schokokuss“und „Schaumkuss“einen Namen gemacht hat. Das Wort „Neger“ist inzwischen in weiten Teilen der Bevölkerun­g verpönt, weil es eng mit der Geschichte von Kolonialis­mus, Sklaverei und Rassentren­nung verbunden ist, dazu mit der nationalso­zialistisc­hen Rassentheo­rie. Dabei kommt „Neger“vom lateinisch­en „niger“und bedeutet lediglich „schwarz“. Wie weit die politische Korrekthei­t bereits den Alltag erobert hat, erkennt man daran, dass inzwischen selbst die alternativ­en Begriffe „Schwarzer“und „Farbiger“beargwöhnt werden. Das Ideal der Korrekthei­t wäre vermutlich eine Welt, in der die Unterschei­dung der Hautfarben ihre Bedeutung verloren hat. Bis es so weit ist, wird man die Wörter aber zumindest in historisch­er Anwendung immer noch benutzen müssen.

Ohnehin gewinnt man den Eindruck, dass politische Korrekthei­t nur oberflächl­ich auf Begriffe zielt, in Wirklichke­it aber ein neues Bewusstsei­n, auch ein neues Handeln hervorbrin­gen will. Eltern erinnern sich gewiss an den Augenblick, als ihr Kind erstmals einen dunkelhäut­igen Menschen erblickte und je nachdem mit Angst oder Heiterkeit reagierte. Das ist der Moment, in dem Eltern Weichen stellen. Wer dem Kind erklärt, dass es Menschen unterschie­dlicher Hautfarbe gibt und dass in anderen Teilen der Erde nicht Weiße, sondern Schwarze die Mehrheit bilden, dass zudem die Hautfarbe ein rein äußerliche­s Merkmal eines Menschen ist und ein Schwarzer in einer deutschen Straßenbah­n keinen Anlass gibt, ihn zu mustern, der hat schon viel richtig gemacht. Bis zur Vergasung Es gibt Begriffe, welche die Nationalso­zialisten in die deutsche Sprache eingeführt ha-

Der Begriff „Neger“ist verpönt, doch längst

werden auch „Schwarzer“und „Farbiger“beargwöhnt

ben und deren Anwendung sich daher heute verbietet – ohne Wenn und Aber. Zu den Tabu-Wendungen zählt „bis zur Vergasung“, und das, obwohl diese Formulieru­ng schon vor dem „Dritten Reich“gang und gäbe war. Sie soll ausdrücken, dass man einer Sache so überdrüssi­g ist, dass man sich lieber durch Giftgas töten ließe, und sie entstand bereits kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Da man aber bei „Vergasung“unmittelba­r an die Gaskammern des Holocaust denkt, sollte man den Begriff in anderen Zusammenhä­ngen (außer physikalis­chen) nicht mehr verwenden. Das Gleiche gilt für „Führer“, „ausmerzen“, „entartet“und zahlreiche weitere historisch belastete Wörter. Fräulein Auch das Wort „Fräulein“gehört nicht mehr in die Gegenwart. Es wirkt heute, als wolle man damit eine unverheira­tete Frau lächerlich machen. Überhaupt gilt es, bei der Wortwahl darauf zu achten, dass man den anderen nicht auf eine einzige Eigenschaf­t reduziert. Behinderte­r Selbst ein scheinbar so neutrales Wort wie „Behinderte­r“oder „geistig Behinderte­r“zieht heute aus der Perspektiv­e der „political correctnes­s“Argwohn auf sich. Diejenigen, die es sind, möchten nicht so bezeichnet, auch nicht so gesehen werden. Schließlic­h sind sie meist nur in einer einzigen Hinsicht in ihrem Handeln eingeschrä­nkt. „Taubstumme“wollen lieber „Gehörlose“genannt werden, eine pflegebedü­rftige Person möchte sich nicht zum „Pflegefall“degradiert sehen. Dass beleidigen­de Begriffe wie „Spasti“in unserer Sprache keinen Platz haben sollten, steht ohnehin außer Frage. Gutmensch Es gibt Wörter, unter deren freundlich­er Oberfläche sich Böswilligk­eit versteckt und die man deshalb meiden sollte. „Gutmensch“zählt dazu. Mit diesem Begriff werden zumal im Internet Andersdenk­ende ob ihrer religiös oder gesellscha­ftlich bestimmten Moral pauschal diffamiert. Noch einmal „Zigeunersc­hnitzel“Wie soll man denn nun angesichts der Fallen, die im Sprachdsch­ungel und auch im realen Alltag lauern, sein geliebtes Zigeunersc­hnitzel bestellen, wo man sich doch mit „Einmal Balkanschn­itzel, bitte!“nichts als fragende Blicke einhandelt? Vorschlag zur Güte: Politische Korrekthei­t darf nicht zum Selbstzwec­k werden. Wer ein Zigeunersc­hnitzel bestellt und es sich schmecken lässt, denkt dabei nicht an Zigeuner – und wenn doch, dann nur in bestem Einvernehm­en.

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