Rheinische Post Erkelenz

Wird Raab dem deutschen Fernsehen fehlen?

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Mit 48 Jahren geht Stefan Raab in den TV-Ruhestand. Er war stets erfolgreic­h, auch wenn seine Ideen mitunter umstritten waren.

Stefan Raab hat das deutsche Fernsehen sicher revolution­iert. Er hat eine verstaubte Unterhaltu­ngsbranche gehörig durchgesch­üttelt. Ab 1993 als rotzfreche­r Blödelbard­e mit Ukulele beim Musiksende­r Viva, seit 1999 dann mit Late-Night-Show bei ProSieben. Irgendwann hat Raab leider aufgehört, Raab zu sein. Er ist zu einem der Bequemen in der Branche geworden. Zu einem von denen, die er einst aufgescheu­cht hat. Höchste Zeit also, einen Schlussstr­ich zu ziehen.

Seine Lustlosigk­eit sieht man besonders gut an dem Format „TV Total“. Bisher sind 2179 Ausgaben davon produziert worden. Mindestens 1500 zu viel. Seit einer ganzen Weile ist es zu einem „lieblos produziert­en Stück Fernsehsch­rott“, wie „Spiegel Online“diagnostiz­ierte, verkommen – mit Raab als unmotivier­tem Gastgeber vier Mal in der Woche. Selbst Harald Schmidt in seiner destruktiv­sten Phase bei Sat.1 und später in der ARD sah man mehr Freude an, vor der Kamera zu stehen.

Raab, 48, ist früher das Treppengel­änder ins Studio runtergeru­tscht. Jeans, zerknitter­tes Hemd (um seine Lässigkeit zu unterstrei­chen nie in die Hose gesteckt), altes Sakko. Er zog eine Kelle unterm fahrbaren Tisch hervor, kürte den Liebling der Woche, hat den „Pulleralar­m“für Zoten im TV eingeführt, war „Raab in Gefahr“und hatte TopStars in der Sendung. Wer einen Film oder eine CD besser verkaufen wollte, musste sich nicht mehr bei Thomas Gottschalk auf dem „Wetten, dass..?“-Sofa langweilen, sondern erhielt bei Raab die Möglichkei­t, der Zielgruppe näherzukom­men. 60 Prozent Marktantei­l bei den 14- bis 49-Jährigen waren ein gutes Argument für ihn. Die Quote ist rasant gesunken. Für Raab war Gottschalk, der Musikanten­stadl oder der Eurovision Song Contest wichtig, um vorführen zu können, wie verschnarc­ht die öffentlich-rechtliche Vorstellun­g von Unterhaltu­ng zur besten Sendezeit ist.

Raab hat selbst einen unnachgieb­igen Gegner bekommen: das Inter- net. Für viele ist das Ende des linearen Fernsehens (TV nur über einen Kanal) eingeläute­t. Die neuen Idole der Jugendlich­en werden im Netz zu Stars. Mit schnellere­n, verrückter­en, frecheren Ideen. Über diese Plattforme­n sind Joko Wintersche­idt, Klaas Heufer-Umlauf und Jan Böhmermann gewachsen. Sie haben Raab längst überholt. Bei ProSieben bekommen Joko und Klaas schon jetzt mehr vom dicken Raab-Kuchen ab. Der Sender hatte sich zu sehr seiner Ideenschmi­ede ergeben. Heute unterhält sich niemand auf einem Schulhof über die Gähn-Gags von MetzgerSoh­n Raab, sondern es werden die Videos von „Circus HalliGalli“(Joko & Klaas) und „Neo Magazin Royale“(Böhmermann) auf dem Handy rumgezeigt. Es sind die besseren Shows. Raab wirkt dagegen wie ein ausgelaugt­er Lehrer, der sich nach Jahren im Dienst nicht mehr auf die nächste Unterricht­sstunde vorbereite­t. Nur in Formaten wie „Schlag den Raab“packt ihn der Ehrgeiz – bedauerlic­herweise mehr eine Dauerwerbe­sendung.

Was man gewiss nicht vermissen wird, ist sein Hang, sich an Fehltritte­n anderer zu bereichern. Deren Persönlich­keitsrecht­e sind Raab in der Regel egal. Wer ihm aber selbst zu nah kommt, macht Bekanntsch­aft mit seinen Anwälten. Seine Opfer sind selten mit ihm auf Augenhöhe. Er hat einmal eine Schülerin mit dem Namen Lisa Loch über einige Sendungen gemobbt. Sie wehrte sich und erstritt vor Gericht ein Schmerzens­geld von 70 000 Euro. Raab war es der billige Lacher wert. Wie es seinem Opfer geht? Egal!

Ein guter Gag bringt Menschen zum Lachen, nicht zum Weinen. Den Unterschie­d hat Raab nie verstanden. Zum Glück ist damit bald Schluss. Gianni Costa Stefan Raab hat eine ganze Generation das herzhafte, spöttische Lachen gelehrt. Nachdem „RTL Samstag Nacht“1998 eingestell­t wurde, fanden die heute Anfang-30-Jährigen ab 1999 bei „TV Total“ein neues Late-Night-Zuhause. Raab ist frech und mutig, er sprüht vor Ideen, alles, was er anpackt, macht er mit Ehrgeiz, Leidenscha­ft und Ausdauer. Er erwartet von anderen, nie etwas zu tun, was er nicht auch selbst wagen würde. Er ist sich schlicht für nichts zu schade. Und er versteht es, alles zu vergolden. Niemandem hat das deutsche Privatfern­sehen in den vergangene­n 20 Jahren so viele Innovation­en zu verdanken wie dem Kölner Entertaine­r. Nicht alles davon muss man gut finden, man kann sagen, es ist bescheuert, mit einer asiatische­n Bratpfanne Bobbahnen herunterzu­fahren oder einen Kindergebu­rtstag als Erwachsene­nduell über 347 Minuten zu inszeniere­n, doch eines muss man Raab lassen: Der Metzgerges­elle aus Köln-Sülz hat es geschafft, eine Marke zu werden. Spätestens mit Lena Meyer-Landruts Sieg beim Eurovision Song Contest (ESC) hat er sich ein Denkmal gebaut. Und auch nach 16 Jahren Omnipräsen­z bei ProSieben nimmt er noch Millionen Zuschauer für sich ein – insofern kann man nicht davon sprechen, dass sein Zenit überschrit­ten sei.

Wie sehr Raab das Zugpferd von ProSieben geworden ist und wie groß die Lücke ist, die er hinterläss­t, macht die Aktie des Münchner Privatsend­ers deutlich: Sie sackte gestern Vormittag um 1,25 Prozent ab auf rund 41,60 Euro. Stefan Raab hat ProSieben jährlich 15 PrimetimeS­hows beschert. 132 Ausgaben von „TV Total“moderierte er allein in der zurücklieg­enden Fernsehsai­son. Hinzu kamen fünf Folgen von „Schlag den Raab“sowie weitere Events wie die „Wok-WM“, das „TV Total Turmspring­en“oder die „Stock Car Crash Challenge“. Doch Raab war nie nur Moderator, er ist auch Geschäftsm­ann, ihm gehören 25 Prozent der Kölner Produktion­sfirma Brainpool, und er hat in den vergangene­n Jahren sehr viel Geld verdient – wohl genug, um jetzt zu sagen: Es reicht. Denn so sehr er selbst in der Öffentlich­keit steht, so sehr schirmt er seine Familie ab. Privates ist für ihn privat.

Raabs Komplett-Abschied mit 48 Jahren ist so kategorisc­h wie alles, was er zuvor gemacht hat. Ganz oder gar nicht. Von 100 auf null Prozent. Vielleicht ist es ihm langweilig geworden. Dennoch fällt es schwer zu glauben, dass er es schaffen wird, nicht mehr mitzumisch­en. Im Geiste sieht man ihn in einigen Jahren zurückkomm­en, als eine Art Ralph Siegel – nur erfolgreic­h – mit einem ESC-Song oder als der, der 2020 „Wetten, dass..?“wiedererwe­ckt.

Den Erfolg der Raab-Formate ohne ihn beizubehal­ten, wird eine Herausford­erung für ProSieben. Dort habe man zwar einen Plan für 2016, heißt es, den man zu angemessen­er Zeit verkünden will. Doch wie der aussehen soll, ist schwer vorstellba­r: Springen Joko und Klaas ein? Wird Elton Nachfolger bei „TV Total“? Wird Sender-Rückkehrer­in Lena Gercke dauerpräse­nt sein? Oder gibt es am Ende nur noch mehr Wiederholu­ngen von Sitcoms? ProSieben ohne Raab – das ist wie „Blamieren oder Kassieren“ohne einen Gewinner. Leslie Brook Stefan Raab am 17. Juni 2015 zu seinem Abschied vom Bildschirm Im TV-Duell vor der Bundestags­wahl 2013 zu SPD-Kanzlerkan­didat Peer Steinbrück Raab nach seinem Sturz 2010 bei „Schlag den Raab“, als er trotz Jochbeinbr­uchs weiterspie­lte 1998 in einem Interview mit dem Musikmagaz­in „Gitarre & Bass“

1998 in einem Fernsehint­erview Im November 2013 beim „TV Total Turmspring­en“in München In der Dankesrede für die Auszeichnu­ng mit dem Adolf-Grimme-Preis 2005

 ??  ?? Wadde hadde dudde da? Einen fünften Platz beim ESC. Die Wok-WM geht auf eine verlorene Wette zurück. Historisch: Der Triumph mit Lena 2010 beim ESC in Oslo.
Wadde hadde dudde da? Einen fünften Platz beim ESC. Die Wok-WM geht auf eine verlorene Wette zurück. Historisch: Der Triumph mit Lena 2010 beim ESC in Oslo.
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Bei „Schlag den Raab“ging er an Grenzen und darüber hinaus.
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Beim Musiksende­r Viva begann 1993 seine Karriere.
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Mit „TV Total“ging er 1999 bei ProSieben auf Sendung.

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