Rheinische Post Erkelenz

Grexit – ja oder nein?

- VON ANTJE HÖNING UND BIRGIT MARSCHALL

Das Treffen der Euro-Finanzmini­ster gestern ergab keine Lösung. Nächste Woche müssen die Regierungs­chefs ran. Kanzlerin Merkel mahnte: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Die Ökonomen-Welt ist gespalten.

BERLIN Angela Merkel hat für diesen Donnerstag ein apricot-magentafar­benes Jackett ausgewählt – eine Art Alarmfarbe. Das passt zur Kernbotsch­aft ihrer Regierungs­erklärung im Bundestag. Es ist fünf vor zwölf für Griechenla­nd, nächste Woche auf dem EU-Gipfel müssen Merkel und die übrigen Regierungs­chefs die Schicksals­frage für Griechenla­nd und Europa beantworte­n: Grexit oder doch nicht?

Geht die Euro-Zone wirklich das Risiko ein, dass mit Griechenla­nd erstmals ein Mitglied herausbric­ht? Merkel lässt sich im Parlament nicht anmerken, ob sie diese Frage für sich schon beantworte­t hat. Es ist ja auch noch ein bisschen Zeit bis zum Gipfel am 25. Juni. Also reicht sie der griechisch­en Regierung ein letztes Mal die Hand: Eine Einigung sei auch in letzter Minute „immer noch möglich“, sagt Merkel. Und sie wiederholt ihren Satz: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“Doch die Kanzlerin sagt auch, dass Europa Griechenla­nd in den letzten fünf Jahren „ein beispiello­ses Maß“an Solidaritä­t entgegenge­bracht habe, dass es Hilfe nur gegen Gegenleist­ungen geben werde und sie Athen nicht aus seinen Zusagen entlassen werde.

Im Parlament sind sie uneinig. Ebenso gespalten zeigen sich Ökonomen. Gegen den Grexit wird ins Feld geführt, dass er den Fortbestan­d der Euro-Zone und damit auch der EU gefährden könnte. „Der Grexit ist die schlechtes­te aller Lösungen, weil dadurch ein Präzedenzf­all geschaffen würde“, sagt der Wirtschaft­sweise Peter Bofinger. „Die Märkte wissen dann: Wenn eine neue Drucksitua­tion entsteht, könnte wieder ein Mitglied rausfallen. Das nächste Mal könnten es Italien oder Spanien sein.“

Am schlimmste­n träfe der Grexit Griechenla­nd. Athen müsste die Drachme wieder einführen, wozu es möglicherw­eise nicht sofort in der Lage wäre. Im Land entstünde Chaos, das Banken- und Wirtschaft­ssystem würde zusammenbr­echen. Die Drachme würde stark gegenüber dem Euro abwerten, lebenswich­tige Importe dadurch erheblich teurer. Massenarmu­t und Unruhen sind absehbar. Erst nach ein bis zwei Jahren käme wegen der Abwertung das Wachstum stark zurück.

Dennoch meint Bofinger: „Die Risiken eines Grexit stehen in keinem Verhältnis zu den Kosten einer immer noch möglichen einvernehm­lichen Lösung.“Griechenla­nd brauche „einen stabilen Rahmen für die nächsten vier Jahre, nicht nur für ein Vierteljah­r“. Einsparung­en bei der Rente und eine höhere Mehrwertst­euer würden das Wachstum weiter dämpfen. „Europa muss Griechenla­nd mit einer Wachstumss­trategie helfen“, so Bofinger. Für den Grexit sprechen sich Experte aus, die auf die lange Frist schauen. Mit der Einführung einer eigenen Währung würde Griechenla­nd schneller wieder wettbewerb­sfähig werden können, sagt Ifo-Chef HansWerner Sinn. Die neue Drachme könnte gegenüber dem Euro stark abwerten, griechisch­e Exportware­n würden günstiger und wettbewerb­sfähiger. Umgekehrt würden zwar die deutschen Exporte nach Griechenla­nd einbrechen, doch sie machen nur 0,5 Prozent der deutschen Ausfuhren aus.

Daneben führen die Befürworte­r des Grexits ein pädagogisc­hes Argument an. Man müsse deutlich machen, dass die Regeln in der EuroZone einzuhalte­n sind. Sonst würden sich nach Griechenla­nd auch andere Länder wie Spanien, wo die Linksparte­i Podemos bereits in den Startlöche­rn steht, womöglich um Reformen drücken wollen. So hofft Christoph Schmidt, Chef des RWI und der Wirtschaft­sweisen, dass es in letzter Minute zu einer Einigung kommt. Er sagt aber auch: „Falls die Regierung Tsipras den Geldgebern keine überzeugen­de Reformlist­e vorlegt, sollte die Eurogruppe hart bleiben und notfalls einen Austritt riskieren.“Dies sei heute besser verkraftba­r als vor fünf Jahren, weil EZB, Banken- und Euro-Rettungsfo­nds bereitsteh­en.

Die große Frage aber bleibt, wie die Finanzmärk­te auf einen Grexit reagieren und gegen welches Land sich als nächstes die Spekulatio­nen richten würden. Das weiß keiner.

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