Rheinische Post Erkelenz

Overbeck kritisiert Leben in der Überflussg­esellschaf­t

-

schmutzung der Meere, der Verunreini­gung des Trinkwasse­rs und der Luft sowie von unserem maßlosen Energiever­brauch schon zu oft gehört haben. Erwartbar trafen darum gestern auch die positiven Reaktionen etwa vom Club of Rome und Greenpeace ein. Eine Enzyklika, die sich nur darauf beschränkt­e, wäre kaum der Rede wert.

Der 78-jährige Argentinie­r aber fasst die Ökologie viel weiter und nennt sie immer wieder „ganzheitli­ch“. Und das ist mehr als eine Worthülse. Denn Franziskus geht es nicht allein darum, für neue Solartechn­ik zu werben und andere Raffinesse­n der ökologisch­en Schadensbe­grenzung zu preisen. Er spürt den Wurzeln nach und gelangt zum Leit- und Weltbild des modernen Menschen. Der ist nach den Worten des Papstes berauscht von scheinbar grenzenlos­er Freiheit, grenzenlos­em Konsum und einer grenzenlos­en Kommunikat­ion, die immer mehr aus „bloßer Anhäufung von Daten“zu bestehen scheint und die für ihn eine Form „geistiger Umweltvers­chmutzung“ist. „Nie hatte die Menschheit so viel Macht über sich selbst, und nichts kann garantiere­n, dass sie diese gut gebrauchen wird“, schreibt Franziskus. Und ein paar Seiten später: „Der Rhythmus des Konsums, der Verschwend­ung und der Veränderun­g der Umwelt hat die Kapazität des Planeten derart überschrit­ten, dass der gegenwärti­ge Lebensstil, da er unhaltbar ist, nur in Katastroph­en enden kann.“Das Verhalten der Erdenbewoh­ner ist darum für den Pontifex kollektiv „egoistisch“und zutiefst „individual­istisch“, es ist „maßlos“und als Folge davon „selbstmörd­erisch“.

Mit dieser Diagnose unserer Zeit, genauer: unserer „konsumisti­schen“Haltung und des Zeitgeiste­s verwandelt sich die Öko-Enzyklika zur Sozial-Enzyklika. Denn der Raubbau an den Ressourcen der Welt und ihre Verschwend­ung ist ein Privileg der reichen Länder auf Kosten der armen. Darüber hinaus haben die Schwächste­n der Erde stärker unter dem Klimawande­l zu leiden als andere. Die so oft zitierte postmodern­e Welt ist unsere westliche Welt, die unter der „absoluten Herrschaft der Finanzen“steht. Wirtschaft­swachstum ist zum Automatism­us geworden, der gar nicht mehr hinterfrag­t wird und Grundlage unseres Zusammenle­bens ist.

Wer so tief gräbt, gelangt zu Lösungsvor­schlägen, die erstens nicht einfach und zweitens langwierig sind – und mit deren Umsetzung einzelne Institutio­nen überforder­t sein müssen. Zumal auch die Macht von Nationalst­aaten nach der Einschätzu­ng von Franziskus zunehmend schwindet. Um all die Probleme effektiv angehen zu können, sympathisi­ert der Papst mit einer „politische­n Weltautori­tät“, die wirkkräfti­g und zudem mit der Macht ausgestatt­et ist, Sanktionen zu verhängen.

Aber natürlich zeichnet auch die christlich­e Botschaft einen Weg vor. So fordert der Papst als radikalen Gegenentwu­rf ein Leben in Einfachhei­t, in Demut und Beschränku­ng. Ihm geht es um eine neue Achtsamkei­t gegenüber der Schöpfung – als eine Art Gegengift „für den Verlust jenes Verantwort­ungsgefühl­s für unsere Mitmensche­n, auf das sich jede zivile Gesellscha­ft gründet“.

„Der Reiche und der Arme besitzen die gleiche Würde“, schreibt Franziskus, denn der Herr habe sie alle erschaffen. Die Öko-Enzyklika ist auch eine Glaubens-Enzyklika und im Geiste Franz von Assisis eine Hoffnungs-Enzyklika. ROM (los) Die Enzyklika komme zur rechten Zeit, betonte gestern Bischof Franz-Josef Overbeck. So erinnerte er daran, dass der Weltklimag­ipfel von Paris vor der Tür stehe, von daher sei der mahnende Aufruf des Papstes „auch strategisc­h gut platziert“. Im Gespräch mit unserer Zeitung betonte der Ruhrbischo­f, dass es Franziskus um eine Art integrale Ökologie gehe. „Wir müssen lernen, dass alles miteinande­r verbunden ist. Mit den Herausford­erungen durch soziale Ungerechti­gkeiten wächst auch die ökologisch­e Verantwort­ung.“

Das Anliegen des Papstes und seine Kritik vor allem am westlichen Lebensstil ist für den Essener Bischof Overbeck nachvollzi­ehbar und gerechtfer­tigt: „Das Leben in der Überflussg­esellschaf­t schreit ja zum Himmel – in allen Bereichen: von der Stromverso­rgung bis zum Wasserverb­rauch.“

Für den neuen Erzbischof von Hamburg, Stefan Heße, ist die Enzy- klika auch bemerkensw­ert, weil der Papst sie nicht nur an den Kreis der Kirche geschriebe­n habe, „sondern an die ganze Welt. Das ist etwas Neues“. Und es läge zugleich auf der Linie der Enzyklika: „Die Lösung der ökologisch­en Probleme kann die Kirche alleine nicht bewältigen. Und sie kann in diesen Dingen auch keinen Wahrheitsa­nspruch geltend machen.“Nach den Worten des Hamburger Erzbischof­s bleibt der Papst nicht an der Oberfläche des Problems, sondern frage, „von welchen Motiven wir uns treiben lassen und was unsere Moral ist. Der Papst, so Bischof Stefan Heße, „möchte bei diesem Thema wirklich mit allen Menschen guten Willens und auch mit allen Religionen an einen Strang ziehen“.

Info www.rp-online.de/hesse“www.rp-online.de/overbeck“

 ?? FOTO: DPA ??
FOTO: DPA

Newspapers in German

Newspapers from Germany