Rheinische Post Erkelenz

Blick zurück in die Gegenwart

- VON DOROTHEE KRINGS

Das Dino-Abenteuer „ Jurassic World“hat den erfolgreic­hsten Filmstart aller Zeiten hingelegt. Menschen begeistern sich für die Giganten der Vorzeit. Und projiziere­n ihre eigenen Ängste in die Vergangenh­eit.

DÜSSELDORF Ein Rascheln. Ein Zittern. Ein Zweigeknac­ken. Etwas sehr Großes, sehr Schweres erschütter­t den Wald. Dann bricht es hervor: ein neuer Dinosaurie­r, von Menschen erdacht, gezüchtet, genetisch designed, größer und gefährlich­er als je zuvor. Zum ersten Mal blickt das Publikum in die gelben Reptiliena­ugen des neuen HybridGiga­nten, der „Jurassic World“unsicher machen wird. Da reißt das Vieh mit der Krokodilha­ut schon sein Maul auf, brüllt in den Kinosaal und ein vergnügter Schauder geht durch die Reihen: Gefahr macht Spaß, wenn sie nicht echt ist. Und noch mehr Spaß, wenn sie die gigantisch­en Ausmaße von Dinosaurie­rn hat, jener Kolosse, die alle gewöhnlich­en irdischen Maßstäbe überschrei­ten – und ganz sicher ausgestorb­en sind.

Die Dinos sind zurück. Mehr als 20 Jahre nach dem Erfolg der Riesentier­e in Steven Spielbergs Abenteuer-Klassiker „Jurassic Park“sorgt die Prähistori­e wieder für volle Kinosäle. 524 Millionen US-Dollar (etwa 460 Millionen Euro) weltweit hat sein neuer Film „Jurassic World“allein am Eröffnungs­wochenende eingespiel­t. Allzeitrek­ord. Es sei die Übermächti­gkeit von Dinosaurie­rn, die Menschen schon immer fasziniert habe, sagt der Kulturwiss­enschaftle­r Alexis Dworsky, der bei Ästhetik-Professor Bazon Brock über die Kulturgesc­hichte der Dinosaurie­r promoviert hat. „Dinosaurie­r sind größer, stärker, gefährlich­er als wir, aber sie können uns nichts mehr anhaben“, sagt Dworsky, „darum taugen sie so gut zur Identifika­tion: Wir fühlen uns selbst stärker durch sie, empfinden Erhabenhei­t, ohne uns ernsthaft fürchten zu müssen.“

Das hat auch schon vor Spielberg funktionie­rt. Die Dino-Begeisteru­ng ist kein neues Phänomen. Schon bei der Weltausste­llung 1851 in London waren nachgebaut­e Dinosaurie­r in Lebensgröß­e eine Attraktion. Und auch damals gab es schon Merchandis­ing: Karten, Poster, Dino-Spielzeug brachten die Prähistori­e nach Hause. Heute ist der Verkauf solcher Fan-Artikel das eigent- liche Geschäft. Als „Jurassic Park“in die Kinos kam, lag der Umsatz mit Merchandis­ing-Produkten in den USA bereits bei mehr als 62 Milliarden Dollar. Heute werden mit der Vermarktun­g einzelner Blockbuste­r mehrere Milliarden pro Film umgesetzt.

Allerdings sah man in Dinosaurie­rn lange nur schwerfäll­ige Kolosse, zum Aussterben prädestini­ert. Die fortschrit­tsselige Gesellscha­ft der Jahrhunder­twende fühlte sich den dummen Riesenviec­hern überlegen. Die Zeit hatte schließlic­h über sie geurteilt, Darwins Gesetze gegen sie entschiede­n.

Doch das Dino-Bild hat sich verändert. Bei Spielberg 1993 sind die Saurier auf einmal rasante, schlaue, berechnend­e Raubtiere – der Natur weit besser angepasst als der Mensch. Spielberg hat den damaligen Stand der Forschung einfließen lassen, allerdings war die Tricktechn­ik noch nicht so weit, etwa das Federkleid mancher Saurierart­en nachbilden zu können. Trotzdem war „Jurassic Park“eine Revolution. Nicht nur wegen der für damalige Verhältnis­se beeindruck­enden Animation von Urviechern, die mehr waren als ein kurzer Effekt. Der Film reflektier­te auch die Wende zum Zeitalter der Genetik und des Digitalen. Der Kalte Krieg war vorbei, der Computer auf dem Vormarsch in den Alltag. Im Geiste dieses Aufbruchs konnte ein Film begeistern, der die fantastisc­hen Möglichkei­ten der Genetik durchspiel­t. Chancen wie Gefahren der neuen Technik fasziniert­en gleicherma­ßen.

Wie sich zeigte, ist die Urwelt bestens geeignet, die Gegenwart zu spiegeln. Gerade weil über die Epochen 150 Millionen Jahre vor Christus vieles nicht bekannt ist, kann die Kunst sie nach ihren Vorstellun­gen modelliere­n – und so offenbaren sich in der Fiktion die Wünsche und Ängste der Gegenwart. Darum ist auch der aktuelle Erfolg von „Jurassic World“aufschluss­reich. Diesmal stürzt der Dino-Park ins Verderben, weil die Betreiber ihren Gästen immer dollere Attraktio

nen bieten wollen. So wird im Labor ein Saurier erzeugt, der alle gefährlich­en Eigenschaf­t seiner Spezies vereint und erhält den hochmütige­n Namen „Indominus Rex“. Nicht mehr die Gentechnik an sich löst Ängste aus, sie ist inzwischen das akzeptiert­e Werkzeug, um Leben auf Wunsch zu formen. Doch unter dem Druck des Marktes nutzen gierige Unternehme­r dieses Werkzeug fahrlässig. Erst dadurch wird die Technik zur Gefahr – das spiegelt die Skepsis unserer Tage. Der Super-Raptor, der dann bald den Gehegen entschlüpf­t, ist allerdings gar nicht beeindruck­ender als seine älteren Kollegen. Das ist eine weitere Pointe dieses Films: Das Höher, Schneller, Weiter bleibt ein leeres Verspreche­n. Der Glaube ans Wachstum ist massiven Zweifel gewichen.

Natürlich ist die Tricktechn­ik erst in „Jurassic World“auf dem Stand, tatsächlic­h die Illusion erweckter Dinosaurie­r zu erzeugen. Ansonsten versucht der Film jedoch nicht, seine Vorgänger zu überbieten. Im Gegenteil: „Jurassic World“kommt überrasche­nd altmodisch daher und ist gespickt mit Anspielung­en auf seinen Vorgänger von 1993. Schriftzüg­e, Fan-T-Shirts, Fahrzeuge aus den 90ern tauchen wieder auf, sogar das alte Tor öffnet sich auch im neuen Saurier-Park und jenes Banner, das bei der ersten Katastroph­e zu Boden ging, wird in der neuen SaurierWor­ld wieder aus dem Dreck gescharrt. Der Film ist also für jene gemacht, die mit „Jurassic Park“aufgewachs­en sind, die damals der ersten Dino-Manie verfielen. Darum darf dieser Film gar nicht fortschrit­tlich sein, er funktionie­rt, weil er seine Zuschauer in Erinnerung­en schwelgen lässt. Er ist eine Feier der Nostalgie, ein Retro-Machwerk. Und dann tauchen zum finalen Kampf in der „Jurassic World“auch noch die T-Rex-Saurier aus der filmischen Vergangenh­eit auf. Das Alte kämpft gegen das Neue. Und Steven Spielberg lässt den Zeitgeist siegen.

„Dinos sind größer, stärker, gefährlich­er als wir, aber sie können uns nichts mehr anhaben“

Alexis Dworsky

Kulturwiss­enschaftle­r und Künstler

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FOTO: UNIVERSAL Ein alter Bekannter: Tyrannosau­rus rex

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