Bayers Aschenputtel auf dem Weg in den Dax
LEVERKUSEN Patrick Thomas ist Vater von vier Kindern. Vier Mal hat der Brite es erlebt, wie es ist, wenn die Kinder flügge werden. Seine Söhne zog es nach Brüssel und Tokio, seine Tochter nach London. Nun will der Manager selbst aufbrechen. Sein Unternehmen, Bayer Material Science, die KunststoffSparte des Dax-Konzerns, soll sich zum 1. September von der Mutter abspalten und unter dem Namen Covestro behaupten.
„Jetzt bekommen wir die Freiheit zu entscheiden“, sagt der 57-Jährige. Als Unternehmen mit 17 000 Mitarbeitern könne man schneller handeln als als Teil eines behäbigen Großkonzerns. Künftig konkurriere man nur noch mit Wettbewerbern anstatt mit den anderen Bayer Sparten Health Care (Gesundheit) und Crop Science (Pflanzenschutz). Und könne sich auch selbst Kapital für Wachstum besorgen.
Bisher haben die Töchter stets um die knappen Investitionsmittel streiten müssen. Der Legende nach soll Thomas vor ein paar Monaten zu Bayer-Chef Marijn Dekkers gekommen sein, um mehr Investitionen einzufordern. Doch anstatt Milliarden gab es überraschend die Trennung.
Was für Thomas erst ein Schlag war, wird nun zur Chance: Vom Sparten-Chef steigt er zum Chef eines eigenständigen Konzerns auf, der mit einem Börsenwert von womöglich zehn Milliarden Euro Chancen hat, in den Dax zu kommen und dort die geschwächte Lanxess abzulösen. Bayers Aschenputtel auf dem Weg in die Erste Liga.
Auch Lanxess ging als Abspaltung von Chemie-Geschäften aus Bayer hervor. Während Lanxess von Beginn an auf Abgrenzung aus war und die Zentrale nach Köln verlegte, setzt Covestro bewusst auf BayerTradition. Im bunten Logo finden sich die Bayer-Farben blau und grün wieder, die Zentrale soll in Leverkusen bleiben.
Derzeit arbeiten Deutsche Bank und Morgan Stanley am Börsenprospekt. In den nächsten Monaten entscheidet der Aufsichtsrat, ob die Covestro-Aktie klassisch über die Börse verkauft (IPO) oder den Bayer-Aktionären ins Depot gelegt (Spin-Off) wird.
Thomas hat in Oxford studiert. Jahrzehnte arbeitet er beim britischen Konzern Imperial Chemical Industries im Facility-Management und Marketing, seit 2007 führt er die Bayer-Kunststoffe. In den vergangenen Jahren schaffte er es nicht, das Unternehmen so zu trimmen, dass es seine Kapitalkosten verdient. Doch nun helfen niedriger Ölpreis, schwacher Euro und gute Konjunktur, das Geschäft zu beleben. Im ersten Quartal 2015 sprang die Gewinnmarge auf 14 Prozent. „In diesem Jahr werden wir unsere Kapitalkosten wieder verdienen“, verspricht Thomas.
Covestro stellt Polyurethane (Vorprodukte für Schäume und Polster), Polycarbonate (Vorprodukte für Lampen und CD) sowie Farbstoffe zur Beschichtung von Möbeln, Kleidung und Smartphones her. Covestro sei auf seinen Weltmärkten jeweils die Nummer eins oder zwei, erklärt Thomas.