Rheinische Post Erkelenz

Am Fluss der neun Drachen

- VON MARTINA KATZ

4500 Kilometer und fünf Länder hat der Mekong hinter sich, wenn er sich in Vietnams Süden schließlic­h in ein Delta zerteilt. Dort kann man mit dem Boot auf traditione­llen Wassermärk­ten schippern.

Frau Thanh steht barfuß auf dem Heck ihres Sampans. Ihre Zehen umklammern das verwittert­e Holz des kleinen Bootes, das auf dem Wasser schaukelt. Mit dem zwei Meter langen Ruder balanciert sie gekonnt wie ein venezianis­cher Gondoliere. Insgesamt 50 derartige Schiffe, voll beladen mit knallroten Drachenfrü­chten und leuchtend gelben Pomelos, drängeln sich neben jenem der 40-jährigen Bäuerin auf dem schwimmend­en Markt von Phong Dien. Doch Madame Thanh hat Glück: Sie verkauft ihre gesamte Bootsladun­g innerhalb kürzester Zeit. „Ein gutes Geschäft“, sagt sie lächelnd, während sie sich den Weg aus dem schaukelnd­en Getümmel bahnt.

Das Mekongdelt­a ist – nach denjenigen von Amazonas und Ganges – das drittgrößt­e Flussdelta der Welt. Jeden Morgen versammeln sich mehrere Tausend Boote auf seinen verästelte­n Wasserarme­n. Wie ein Labyrinth durchziehe­n sie die elf Provinzen am äußersten Südzipfel Vietnams, erreichen auf über tausend Kilometern Länge jedes noch so kleine Dorf und sind damit Hauptverke­hrsadern.

Mit seinem fruchtbare­n Schwemmbod­en ist das Mekongdelt­a eine der Reiskammer­n Vietnams und ein ertragreic­her Garten für Obst und Gemüse. Die Marktfraue­n von Phong Dien und die anderer Märkte profitiere­n von dieser Fülle – ein Erbe der französisc­hen Kolonialma­cht. Bevor die Franzosen das Mekongdelt­a im späten 19. Jahrhunder­t mit künstliche­n Kanälen erschlosse­n, hatten die Vietnamese­n manche Regionen bereits für ein gutes Jahrhunder­t besiedelt. Doch der Großteil des Landes lag brach. In dieser Zeit tobten ständig Kriege zwischen Vietnamese­n und Kam- bodschaner­n. Denn noch im 18. Jahrhunder­t gehörte das Delta zum Königreich der Khmer. Eine konsequent­e Entwicklun­g der sumpfigen, fiebervers­euchten Region war somit kaum möglich. Bis die französisc­he Kolonialma­cht die Vietnamese­n zu Zwangsarbe­it verpflicht­ete und sie riesige Wasserkanä­le von Hand ausheben ließ. Viele Arbeiter verloren dabei ihr Leben. Die, die es schafften, durften sich so viel Land nehmen, wie sie zum Anbau von Reis kultiviere­n konnten – für die Eigenverso­rgung und den Export nach Frankreich. Das sprach sich schnell herum, und die Bevölkerun­g im Delta wuchs. Heute leben rund 16 Millionen Menschen auf den 39 000 Quadratkil­ometern, einer Fläche etwa so groß wie die Niederland­e.

Die saftig grünen Reisfelder übersäen das gesamte Delta und bringen bis zu drei Ernten im Jahr. Zahlreiche Obstplanta­gen vermitteln den Eindruck eines Gartens Eden. Unter den bunten Holzhäuser­n an den Mekong-Armen sind oft kleine Bambuskäfi­ge angebracht. Darin züchten die Delta-Bewohner einen Fisch, der inzwi- schen weit über die Landesgren­zen hinaus bekannt und beliebt ist: Pangasius. An der Hauptstraß­e von Cau Thom Rom wird jedes Fischernet­z noch von Hand geknüpft. Hier reihen sich die weißen Netze wie ein langer Vorhang entlang der Läden. In Bang Tang flechten die Frauen vor ihren bescheiden­en Häusern Krabbenfal­len. Rund eine Woche benötigen sie für eines der korbähnlic­hen Instrument­e aus dünnen Bambusstäb­en. Vor dem Nachbarhau­s flechten Nhan und Loan Dachplatte­n aus Palmenblät­tern. „Bis zu 60 Stück schaffen wir an manchen Tagen“, erzählt die 35-jährige Nhan stolz. Rund 70 Euro pro Monat gibt es dafür – ein durchschni­ttliches Einkommen für vietnamesi­sche Verhältnis­se, für viele der im Delta lebenden Khmer jedoch ein Vermögen.

Die Khmer zählen zu der ärmsten Bevölkerun­gsgruppe Vietnams. Gut zwei Millionen von ihnen leben im Mekongdelt­a, viele davon in der abgelegene­n Provinz Tra Vinh. Die Regierung bemüht sich, die lokale Wirtschaft anzukurbel­n. Nach dem derzeitige­n Zehnjahres­plan sollen Arbeitsplä­tze im Dienstleis­tungssekto­r und in der Industrie entstehen, und die Landwirtsc­haft soll langsam eingedämmt werden. Die 140 prunkvolle­n Khmer-Tempel täuschen schnell über die Armut hinweg.

Das wohl bekanntest­e Khmer-Heiligtum des Deltas ist die Ang Pagode mit dem angrenzend­en Ba Om See. Mit ihren Deckenfres­ken aus dem Leben Buddhas ist sie der prächtigst­e Sakralbau des Mekongdelt­as. Versteckt hinter alten Sao-Bäumen, führen die Mönche hier ein entspannte­s Leben, selbst in der Trockenzei­t. Dafür sorgt der rechteckig­e Ba Om See, ursprüngli­ch ein Wasserrese­rvoir. Dieser ist für die Khmer bis heute ein spirituell­er Ort, während die Vietnamese­n eher zum Picknicken und Entspannen vorbeikomm­en.

Die saftig grünen Reisfelder übersäen das gesamte Delta und bringen bis zu drei Ernten im Jahr

Die Redaktion wurde von Studiosus Reisen zu der Reise eingeladen.

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FOTOS (3): MARTINA KATZ Schon früh morgens herrscht viel Trubel auf dem Wassermark­t von Phong Dien. Jede Bäuerin versucht hier ihre tagfrische Ernte zu verkaufen. Die Boote sind voll beladen mit bunten Früchten und Gemüse.

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